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Musikfestival in HamburgAmerican Tension

Beim Festival „Age of Anxiety“ spielte das NDR-Orchester US-amerikanische Musik des 20 Jahrhunderts. Mit dabei: Miles Davis und Chet Baker.

Nervös? Dieses Bild von NDR-Chefdrigent Alan Gilbert entstand 2017 bei ganz anderer Gelegenheit Foto: Axel Heimken/dpa

Amerika geht immer? Den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert, ausdrücklich verstanden als „Nation im Aufbruch“, widmete das NDR-Hausorchester jetzt ein kleines Festival in der Hamburger Elbphilharmonie: An sechs Terminen innerhalb von acht Tagen waren das vier verschiedene Konzertprogramme, Klassik und zeitgenössische E-Musik, aber auch Cool Jazz. Das NDR-Elbphilharmonieorchester begrüßte als Gast-Solisten den Violinisten Leonidas Kavakos und Jean-Yves Thibaudet am Flügel sowie als Dirigentin Marin Alsop. Ebenfalls beteiligt war die Bigband des Senders, und die NDR-Reihe „das neue werk“ hatte das Kölner Ensemble Musikfabrik eingeladen, spezialisiert auf zeitgenössische Komposition.

Eine Nation im Aufbruch? Sicher: Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das große lange einfach (fälschlich) für leer erklärte Blatt, bereitstehend für die Realisierung von Eingewanderten-Träumen, ja: ein ganzer Kontinent denen, die ihr Glück machen wollen durch eigene Leistung (und wenig sonst). Klingt nach Klischees? Ja, nach solchen, die widerlegt sein dürften; deren Appeal mindestens etwas Lack gelassen hat, zuletzt, und das weißgott nicht nur wegen dieses entsetzlich geschmacklosen Ex-Präsidenten.

„Wir wollen eine faszinierende, positive Seite der amerikanischen Musik zeigen“, ließ Chefdirigent Gilbert vorab wissen. Daran ist bemerkenswert, dass er selbst zwar US-Amerikaner ist, sich in seiner Karriere aber immer wieder dagegen gesträubt hat, etwas spezifisch Amerikanisches zu repräsentieren: „Ich wollte mich nie als amerikanischen Dirigenten präsentieren“, so zitierte ihn dieser Tage der NDR. „Ich sehe mich als einen Weltbürger, der sich in Europa, Asien oder in den USA gleich wohl fühlt.“

Dass Aufbrechen nicht per se gut ist, dass mitunter aufbricht, wer das muss, weil andere Übles wollen oder etwa der Hungertod droht: Das alles mag man widerhallen finden im Titel de Ganzen: „Age of Anxiety“, Zeitalter der Sorge, ja: der Angst. Das passt nun umso besser in die Gegenwart, auch wenn die Angst-Zutaten gerade vielleicht nicht so sehr amerikanischer Provenienz sind.

Ihm gelang, was der „Amerikanische Traum“ behauptet: Leonard Bernstein 1947 in New York City Foto: Str/AP Library of Congress/dpa

„Abstraktes aus Kriegszeiten“

Als im Osten der Ukraine der Krieg Gestalt annahm, waren sie ja schon wieder verklungen, die letzten Noten des Festival-Programms, den reichlichen Applaus nicht zu vergessen: Samuel Barbers „Second Essay for Orchestra“ (1942) waren am vergangenen Freitag und Samstag gespielt worden, dazu John Adams' „Fearful Symmetries“ (1988) und die 2. Sinfonie, „The Age of Anxiety“, von Leonard Bernstein, Sohn eines ukrainischen Einwanderers.

„Abstraktes aus Kriegszeiten“ also, wie Jürgen Ostmann den „Essay“ im Programmheft nennt; dazu die teils geradezu komische Beinahe-Verballhornung von Minimal-Music-Tropen vom bekennenden „gelangweilten Minimalisten“ Adams, eine Art Nebenprodukt seiner Oper „Nixon in China“, die in den späten 80er-Jahren ja ihrerseits ein Stück Kalter-Kriegs-Geschichte aufgriff: Die Annäherungsversuche zwischen den USA und Mao – wegen der Rivalin UdSSR. Und dann sozusagen das Festival-Titelstück, Bernsteins Bearbeitung des gleichnamigen Gedichts von W. H. Auden, ursprünglich geschrieben 1947–49, nun gespielt in der bearbeiteten Fassung von 1965: Text wie Sinfonie auf je eigene Weise gelungene Inszenierungen moderner Verzweiflung, kollektiver wie individueller Sinnsuche und, ja: auch des Trost-Findens.

Das Orchester schien Spaß zu haben an den merklichen Temperamentswechseln dieses Programms, angeleitet von einer gut aufgelegten Marin Alsop, zu deren Mentoren Leonard Bernstein zählt. Der Wahlkalifornier Jean-Yves Thibaudet schlurfte wie direkt aus dem Schönheitsschlaf in Samtslippern an den Steinway, wirkte – am zweiten Abend wenigstens – mitunter, als telefoniere er seinen Part mal eben rein in den großen Hamburger Saal; aber der Mann ist selbst dann noch ganz schön gut.

Konzerte online

Die Konzerte vom 12., 13. und 19.2. sind als Videos auf ndr.de/ageofanxiety zu finden

Eröffnet worden war „American Anxiety“ am 11. und 12. Februar mit dem vielleicht naheliegendsten Namen: Wie wenig andere seiner Zunft und Herkunft steht Aaron Copland für Amerika als Möglichkeitsraum; aich für die Möglichkeit, dass es einen unproblematischen, nicht ausschließenden Patriotismus geben könnte – und galt in der McCarthyÄra als „unamerikanisch“. Da war vergessen, dass er „Zweiter-Weltkriegs-Mooral-Booster“ (so das National Public Radio 2005) geschaffen hatte wie das nun aufgeführte „Lincoln Portrait“ (1942) oder die „Fanfare for the Common Man“, gewissermaßen der Kern seiner jetzt ebenfalls auf dem Festivalprogramm stehenden 3. Sinfonie.

Vervollständigt wurde das Programm dieser beiden Abende durch Samuel Barbers „First Essay“ (1938) und Erich Wolfgang Korngolds Konzert für Violine und Orchester D-dur, das unterstrich, wie viel Hollywoods Soundtracks der europäischen Hochkultur verdanken; den Solisten hierbei, Leonidas Kavakos, mochte das Hamburger Publikum kaum von der Bühne lassen.

Apropos Vollständigkeit: An Miles Davis und Chet Baker zu erinnern, an die Geburt einer genuin US-amerikanischen Sache wie dem Cool Jazz, wie es nun die NDR-Bigband unter Jörg Achim Keller tat: nur folgerichtig, will man den Eindruck vermeiden, nur die sozusagen exilierten Verlängerungen von allerlei europäischen Traditionen zu berücksichtigen.

Von einer Emanzipation, einer eigenen Formsprache, die ihrerseits in aller Welt Spuren hinterließ, kündete schließlich auch das Programm, mit dem das Ensemble Musikfabrik zum Festival beitrug: Da traf dann eine Komposition für Plattenspieler von John Cage auf eine wiederum Cage'sche Ideen aufgreifende Arbeit für Präpariertes Klavier von Joseph Lake und Elliott Carters turbulentes Doppelkonzert für Cembalo, Klavier und zwei Kammerorchester (1958–1961) auf die „Animate Objects“, für die sich Oscar Bettison auch schon mal bei ganz alten, anarchischen Cartoon-Soundtracks bedient.

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