Museumsführung per Telefon: Die Versuchung auf der Couch

Die Staatlichen Museen Berlin bieten nun auch Telefonführungen an. Unsere Autorin besuchte „das Museum an der Strippe“ im Bademantel.

Frau von hinten vor Gemälde des belgischen Symbolisten Fernand Khnopff

Die Symbolisten faszinierte die Mythologie: Fernand Khnopffs „Die Zärtlichkeit der Sphinx“ Foto: dpa/Christophe Gateau

Im Bademantel ins Museum? Nie hätte ich mir das träumen lassen, aber seit Corona verschwimmen eben Grenzen. Nun sitze ich in meiner Wohnung, die neben Herberge schon so lange auch Büro, Sportstudio und Ort der Freizeitgestaltung ist, und warte darauf, dass sich mein Sofa in die Ausstellungsräume der Alten Nationalgalerie verwandelt.

Statt auf den Bildschirm meines Computers starre ich auf das Handy in meiner Hand. Denn was die Staatlichen Museen zu Berlin seit Neuestem anbieten, ist „das Museum an der Strippe“. Hat man sich einmal angemeldet, erreicht einen per Mail die zu wählende Telefonnummer, die nach Eingabe eines Codes zu einer Telefonkonferenz leitet. Anders als erwartet ist es kein automatischer Guide, der dann die circa einstündige Telefonführung hält, sondern ein echter Mensch – Kunsthistoriker in diesem Falle.

Mit dem Angebot gehen natürlich feste Termine einher, sodass ich betrübt feststellen muss, dass ich die „Reise nach Italien“ in der Gemäldegalerie bereits verpasst habe. Den zweiten Termin für einen telefonischen Italientrip am 24. Februar merke ich mir aber schon mal vor, denn auch dann wird die Pandemie noch walten und mich der trübe Februar sicher in ein akutes Fernweh gestürzt haben.

Zwei weitere Frauen an der Strippe

Für jetzt heißt es „Dekadenz und dunkle Träume“ – von Letzteren habe ich zwar gerade auch so genug, dennoch ziehen mich die Bilder der belgischen Symbolisten sofort in ihren Bann.

Jean Delville, Fernand Khnopff, Félicien Rops, James Ensor und einige mehr hingen bis vor Kurzem noch im ersten Obergeschoss der Alten Nationalgalerie, so der Mann am Telefon, der sich als Lutz Stöppler vorstellt und dessen Stimme mir unweigerlich sympathisch ist. Mit mir an der Strippe hängen noch zwei weitere Frauen, deren Anwesenheit ich aber bis zur abschließenden Fragerunde beinahe vergesse.

„Museum an der Strippe“: Anmeldung unter www.smb.museum/veranstaltungen, Kosten 5 Euro

Stöppler beginnt mit einer Beschreibung des tempelartigen Baus der Alten Nationalgalerie, auf deren breiter Freitreppe Friedrich Wilhelm IV. in Bronze auf seinem Pferde thront. Weiter geht es die Treppen hoch in den Ausstellungsraum und zu einem Bild des Malers und Theosophen Jean Delville. „Die Liebe der Seelen“ zeigt zwei nackte Leiber, die sich in einem Strom aus Luft oder Wasser der Sonne entgegenstrecken.

Auditiver Rundgang für Blinde

Für seinen auditiven Rundgang wählt Stöppler vier der rund 80 Gemälde aus; sie nur mit Worten zu umschreiben braucht Zeit und die nimmt er sich. Er beginnt mit einer Formatbeschreibung, etwas, auf dass man bei einem gewöhnlichen Museumsbesuch vielleicht gar nicht gesondert achten würde. Doch hier wird das eigentliche Anliegen dieser besonderen Führungsart deutlich, „Das Museum an der Strippe“ richtet sich nämlich (auch) an blinde und sehbeeinträchtigte Menschen.

Es ist ungewohnt und erfordert Konzentration, sich auf diese Weise entführen zu lassen. Die Versuchung, zu googeln und die Vorstellung mit der Realität abzugleichen, ist groß. Während die Maltech­nik der Symbolisten klassisch blieb, erzählt Stöppler, sich an der realistischen Malerei und Jugendstilelementen orientierte, sind die Motive oft ab­strus: mal der Mythologie entlehnt, wie bei Fernand Khnopffs „Die Zärtlichkeit der Sphinx“, oder an christlichen Legenden orientiert, wie Félicien Rops mit seiner sadomasochistisch angehauchten Interpretation von „Die Versuchung des heiligen Antonius“.

Als Stöppler ein Schwein erwähnt, das die Szenerie auf Letzterem beobachtet, siegt bei mir die Neugierde. Doch das Googeln erweist sich als Fehler, denn so verlasse ich diese Imaginationsreise und lande unsanft wieder in der Realität auf meinem Sofa mit dem Handy in der Hand.

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Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.

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