Multi-Genre-Roman „Kafka mit Flügeln“: Verwandlung auf Kirgisisch
Daniela Emminger hat die Erfahrung der Fremde gesucht – und daraus den wilden, ambitionierten Mash-up-Roman „Kafka mit Flügeln“ gemacht.
Wer ein Buch von Daniela Emminger aufschlägt, weiß nicht, was ihn erwartet. Bei der Österreicherin ist jeder Text anders. Das betrifft nicht nur die Lebenswelten und Themen, denen sie sich widmet; erzählerische Konventionen oder die stilistische Einheit von Texten sind auch nicht so ihr Ding. Sie wechselt schon mal mitten in einer Geschichte den Ton oder dreht, was als realistische Geschichte begonnen hat, ins Absurde.
In Kombination mit einem Hang zu verspielten, bewusst umständlichen Formulierungen, die sich nur langsam dem Kern des zu Erzählenden annähern, ergibt das eine der außergewöhnlicheren und pfiffigeren Stimmen der aktuellen Literatur aus Österreich.
Wirklich Gehör gefunden hat die 1975 in Oberösterreich geborene Autorin zu Unrecht aber noch nicht einmal in ihrer Heimat. Sie erhielt bisher null Literaturpreise; die Novelle „Gemischter Satz“ schaffte es 2016 immerhin auf die Longlist des Österreichischen Buchpreises.
Ein bisschen ist Emminger auch nach fünf Büchern noch Außenseiterin. Sie hat keine typische Vorgeschichte mit geisteswissenschaftlichem Studium und Schreibschulen hinter sich, sondern hat Wirtschaft studiert und in der Werbung gearbeitet. Das literarische Schreiben ermöglicht sie sich nach wie vor mit Jobs als Texterin, sie arbeitet immer gerade so lang, bis wieder ein paar Monate Schreibkontemplation finanziert sind.
Maximale Fremdheit
In einem Interview hat sie einmal gesagt: „Kurz fassen muss ich mich, wenn ich für Auftraggeber arbeite.“ Zu der Zeit saß sie gerade an dem umfangreichen Roman „Kafka mit Flügeln“, den sie als ihr bisheriges Opus magnum begreift. Seiner Veröffentlichung ging eine aufwendige Entstehungsgeschichte voraus. Vor dem Schreiben standen mehrere monatelange Aufenthalte in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan.
Die Ausgangssituation, in der die Autorin sich damit bringen wollte, war: maximale Fremdheit empfinden, nichts verstehen – und sehen, was sich daraus ergibt. In mehrjähriger Arbeit ist daraus ein wilder und ambitionierter Mash-up-Roman aus ganz verschiedenen Genres und Stilen erwachsen. Das Zentrum der Erzählung bildet die Protagonistin Sybille Specht. Nach dem frühen Tod ihres Mannes lässt sie ihr altes Leben in Österreich samt ihrer Karriere als Biologin eines Tages hinter sich, um in die kirgisische Hauptstadt Bischkek zu reisen.
Daniela Emminger: „Kafka mit Flügeln“. Czernin Verlag, Wien 2018. 496 S., 26 Euro
Während sie die ungewohnten Eindrücke vor Ort – Gerüche, Geräuschkulisse, ständige Stromausfälle, aber auch allerlei merkwürdige alte Sitten – verarbeitet, schöpft sie langsam neuen Lebensmut. Doch Sybille sucht nicht nur sich selbst: Sie will auch einen alten Jugendfreund aufspüren. Der bei seiner österreichischen Mutter aufgewachsene Junge zog einst los, um in Kirgistan seinen Vater zu suchen, und ward danach nie mehr gesehen.
Was als Reisegeschichte und Selbstfindungstrip noch verhältnismäßig konventionell beginnt, entwickelt sich mit Fortdauer der Handlung zunächst zur postmodernen Detektivgeschichte, in der sich alle Beteiligten gegenseitig ausspionieren, und gipfelt schließlich in einem Showdown, der Science-Fiction, Wissenschaftssatire und Love Story verbindet. Emminger liebt es, die Schrauben immer weiter zuzuziehen und ins Absurde abzudriften.
Allerdings hat sie sich diesmal selbst etwas an die Leine genommen. Auf der Langstrecke eines 500-Seiten-Romans würde das massive Aufkommen origineller bis grotesker Formulierungen wie zuletzt in der Novelle „Gemischter Satz“ wohl tatsächlich ermüdend wirken. Im Sinne der Leserfreundlichkeit war die Entscheidung, mit leicht angezogener Handbremse zu fahren, gewiss eine gute Sache. Bisweilen vermisst man dadurch jedoch den Wahnwitz früherer Bücher.
„Kafka mit Flügeln“ ist, der Titel zeigt es schon an, ein Buch der Verwandlung, das sich immer wieder dreht und Haken schlägt. Der Arbeitstitel wiederum lautete „Die Kunst des Verlierens“. Und so transportiert der Roman das Gefühl der Verlorenheit derart glaubhaft, dass er sich am Ende selbst ein wenig verliert.
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