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Mütter sehen sich in Bremen diskriminiertSchwarze Babys sind verdächtig

In Bremen haben zahlreiche Kinder keine Geburtsurkunde. Das Bündnis „Together we are Bremen“ sieht strukturellen Rassismus beim Standesamt.

Beim Bremer Standesamt Anlass zu Zweifeln: Schwarze Mutter, Schwarzes Kind Foto: Barbara Alçada/unsplash

Bremen taz | „Birth certificates are evereybody’s right!“ skandiert die Menge vor dem Bremer Standesamt: Jede*r hat das Recht auf eine Geburtsurkunde. „Unseren Kindern werden fundamentale Rechte verweigert – das ist Rassismus“, ruft Agatha L. (Name geändert). Sie hält ein Mikrofon in der Hand und steht vor dem Haupteingang des Standesamts Bremen Mitte. Auf den Stufen davor posiert gerade eine weiße Familie in schicker Garderobe für ein Hochzeitsfoto.

Agatha L. ist Schwarz, ihr Baby ist zehn Monate alt und hat noch immer keine Geburtsurkunde. Der Vater des Babys, erzählt sie, lebe seit dreißig Jahren in Deutschland. Doch seine Vaterschaft erkennt das Standesamt nicht an. Stattdessen unterstellt es L., sie wäre mit jemand anderem verheiratet.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist derjenige Vater eines Kindes, der mit der Mutter verheiratet ist. Wenn keine Ehe besteht, reicht es, dass der Vater die Vaterschaft anerkennt. Ist der Vater deutscher Staatsbürger oder hat eine Aufenthaltserlaubnis, bekommt das Kind ebenfalls diesen Status – und die Mutter auch.

Kinder mit unverheirateten Eltern sind im 21. Jahrhundert eigentlich keine Seltenheit – doch offenbar sieht das Standesamt Ehen, wo keine sind. „Wir sind Schwarze Frauen, die nach Deutschland gekommen sind und hier Kinder bekommen haben. Die Kinder sind deutsche Staatsbürger“, sagt L. Sie ist nicht die einzige Frau, der das Standesamt unterstellt, verheiratet zu sein. Die betroffenen Mütter haben sich im Bündnis „Together we are Bremen“ organisiert und zur Kundgebung vor dem Standesamt aufgerufen.

200 Kinder ohne Geburtsurkunde

Der Flüchtlingsrat Bremen geht für die Stadt von etwa 200 Fällen wie dem vom L. aus. Bei ihnen bezweifelt das Standesamt die Vaterschaft der deutschen Männer, obwohl die Mütter eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt haben. „Die Unterstellung, mit einem anderen Mann verheiratet zu sein, der dann der gesetzliche Vater der Kindes wäre, hat für die Frauen tiefgreifende Folgen“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.

Wenn eine weiße Frau in Deutschland ein Kind bekommt – erfährt sie die-selbe Behandlung?

Agatha L., Mutter eines Babys

Das Standesamt dränge die Frauen in ein Überprüfungsverfahren, das sie knapp 700 Euro kostet. Von dem Geld lasse die deutsche Botschaft im Herkunftsland Nachforschungen über ihren Personenstand und ihre Vergangenheit anstellen. Ehemalige Nachbar*innen würden befragt, die Familie werde besucht und sämtliche Dokumente der Frauen, bis hin zu den Grundschulzeugnissen, müssten im Original vorgelegt werden, berichtet Oerter. Alles, um zu klären, ob die Mütter nicht doch verheiratet sind und es einen anderen gesetzlichen Vater gibt.

„Es macht keinen Spaß, wenn jemand in deiner Vergangenheit herumwühlt. Wir müssen dadurch viele Schmerzen noch mal durchleben“, sagt L. Die fehlenden Geburtsurkunden ziehen außerdem zahlreiche Probleme nach sich. Wenn die Mutter etwa Leistungen über das Sozialamt bezieht und versucht, ihr Kind bei der Krankenversicherung anzumelden, verweist das Amt sie an den Vater. Da dieser seiner Krankenkasse jedoch keine Geburtsurkunde vorlegen kann, verweigert die Kasse häufig die Familienversicherung.

Rassistische Motive?

„Das ganze Verfahren ist erniedrigend. Das Standesamt behandelt uns, als wären wir weniger wert“, sagt L. Die rund 50 Teilnehmer*innen der Kundgebung applaudieren. Das Motiv der Mitarbeiter*innen im Standesamt ist für die Demonstrierenden eindeutig: Rassismus. „Wie ist es, wenn eine weiße Frau in Deutschland ein Kind bekommt? Erfährt sie dieselbe Behandlung?“ Niemand muss Agathas rhetorische Frage beantworten.

Die Bremer Innenbehörde nennt die Vorwürfe des Bündnisses „verallgemeinernd“. Man müsse konkrete Fälle benennen, um diese auch überprüfen zu können. Laut der Flüchtlingsrat-Mitarbeiterin Oerter ist das eine klassische Taktik, ein strukturelles Problem auf Einzelfälle zu reduzieren. Auf taz-Anfrage teilt die Innenbehörde mit, es sei das Ziel der Bremer Standesämter, dass jedes in Bremen geborene Kind eine Geburtsurkunde erhalte – „jedoch auf Basis einer korrekten Datenlage“. Hätten Standesbeamt*innen Zweifel, seien sie verpflichtet zu prüfen, ob diese berechtigt sind.

Die Arbeit mit dem Standesamt geschehe nicht auf Augenhöhe, meint Agatha. „Wir werden von dieser Behörde unter Druck gesetzt, wir werden eingeschüchtert. Diese Erfahrungen machen wir als Schwarze Frauen.“

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8 Kommentare

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  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Ach, wie schrecklich, es gibt ja weltweit und in Deutschland sowieso noch nie einen Menschen, der versucht hat, durch Urkundenfälschung o.ä. einen Vorteil zu erhalten.

    Sorry, ach, können wir einfach mal ehrlicher zueinander sein?

    Es gibt Regeln, mensch kann versuchen, die zu brechen, aber vielleicht geht es beim Versuch auch etwas weniger antisozial gegen die Gesellschaft, in der mensch leben will?

    F*CK, ich kämpfe doch nicht seit Jahren unter der sehr realen Bedrohung von Nazis gegen Faschisten, damit irgendwelche Leute das System ausnützen ... während ich und viele andere Menschen völlig unabhängig von der Hautfarbe und Religion sich den Arsch aufreissen müssen, um die Rechnungen bezahlen zu können.

  • Ich habe den Eindruck, das Ganze wird hier ziemlich einseitig und oberflächlich dargestellt. Die im Video gezeigten Kinder sehen alle eher nicht nach einem weißen Vater aus: www.butenunbinnen....surkunden-100.html

    Da einmal anerkannte Vaterschaften seit 2013 behördlich nicht mehr angefochten können, bleibt die Verweigerung der Urkunde bis zum (ebenfalls unbefriedigenden) Nachweis des nicht verheiratet Seins die letzte Option der Behörden.

    www.weser-kurier.d..._arid,1773170.html

    Der in diesem Artikel verlinkte weitere taz-Artikel legt das Problem/die Befürchtung dar: Man fürchtet, dass es keinen deutschen Vater gibt (die Hautfarbe ist dabei völlig unerheblich), dass die Anerkennung jedoch einer ganzen Familie (Kind, Mutter + evtl. Vater älterer Kinder und somit eben auch möglicher Vater des fraglichen Kindes) einen Aufenthaltsstatus einbringt, der ihr nicht zusteht.



    Das Ganze unter das Thema "Schwarze Frauen" zu packen, ist mE eine Falschdarstellung. Es geht um Pässe und Aufenthaltsrechte sowie um einerseits aufgedeckte Fälle bei Müttern aus Ghana, Nigeria, Somalia und Vietnam und andererseits um eine Häufung in Berlin und Bremen-Nord.

  • "„Die Unterstellung, mit einem anderen Mann verheiratet zu sein, der dann der gesetzliche Vater der Kindes wäre, hat für die Frauen tiefgreifende Folgen“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat."

    Leider wird im Text nicht beleuchtet, wie das Standesamt zu dieser Unterstellung kommt. Würfeln die?

    • @MontNimba:

      Vermutlich immer dann, wenn durch die Anerkennung konkrete Vorteile für die Eltern zu erwarten sind, z.B. ein dauerhafter Aufenthaltsstatus.

      Vermutlich werden sie auch misstrauisch, wenn die Eltern weder verheirate sind noch zusammen leben. In der Tat schade, dass der Artikel hier nicht weiter auf Hintergründe eingeht.

  • Da stimmts im Gestzesansatz schon nicht, denn wenn ein Kind geboren wird, muss es beurkundet werden oder nicht? Ob nun die Mutter verheiratet ist oder nicht.

  • Es ist tatsächlich nicht trivial, als Ausländer nachzuweisen, dass man nicht verheiratet ist.



    Ich habe den Papierkrieg in der eigenen Familie erlebt. Das trifft hier die Mütter und Kinder, aber es gilt auch, wenn man dann doch heiraten will. Das Standesamt ist verpflichtet, den Sachverhalt sehr genau zu prüfen, weil Vielehe ja verboten ist.

    Ich denke aber nicht, dass hier Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe vorliegt. Das Problem der Frauen ist, dass sie aus Ländern kommen, die keine effiziente Bürokratie haben und sich deshalb schwer tun, die Nachweise zu beschaffen. Der Maßstab vom Standesamt ist für alle gleich.

    • @Winnetaz:

      Ähnlich schwierig ist der Nachweis, dass man keine zweite Staatsangehörigkeit hat. Dieser wird beim Einbürgerungsverfahren verlangt. Darum sind nicht nur nur die eigene Geburtsurkunde, sondern auch die Geburts-, Heirats- und ggf. auch die Sterbeurkunden der Eltern vorzuweisen. Je mehr Urkunden vorgelegt werden müssen, desto höher die Kosten und die Wahrscheinlichkeit, dass Inkonsistenzen entdeckt werden. Beispielsweise Geburtsdatum interschiedlich in Heirats- und Sterbeurkunde. Nicht ungewöhnlich in Staaten, die erst seit kurzem eine moderne Bürokratie besitzen. Dies gibt der zuständigen Behörde immer Gründe, die Einbürgerung abzulehnen oder zumindest hinauszuzögern. Obwohl in D die Einbürgerungsgesetze in Zeitverlauf eher liberaler geworden sind, wurden anscheinend auf Verwaltungsebene "die Schilde hochgefahren", um die Zahl der Einbürgerungen zu begrenzen.

      • 9G
        91655 (Profil gelöscht)
        @weaver:

        Mein erstes Ausbildungsamt war das Standesamt (1985 - scheiße, ich bin alt) ...

        Also, 1. ich kenne keine Staaten, die erst seit kurzem eine moderne Bürokratie haben ;-)

        Bürokraten sind doch sofort nach Adam und Eva aufgetaut, mindestens mit der Ersten Verordnung zum Nichtbetreten der Parkanlage "Eden".

        Die Regelungen sind nicht für "afrikanische" Länder eingerichtet, sondern für jede Geburt eines Kindes ... im Übrigen: ledige Mütter haben es sonst eher schwierig, den Kindesvater mit dem sie nicht (mehr) zusammenwohnt zur Anerkennung zu bewegen ... insofern: Holzauge sei wachsam!