piwik no script img

Münchner AmoklaufErmittler chatteten mit Attentäter

Die Beamten unterhielten sich schon ein Jahr vor der Tat mit dem Attentäter über ein gekapertes Darknetprofil. Den Amoklauf verhinderte es nicht.

Momentan steht Philipp K. in dem Fall vor Gericht. Er soll dem Täter die Waffe verkauft haben Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Hätten die Sicherheitsbehörden den Amoklauf von München verhindern können? Wie erst jetzt bekannt wird, hatten Ermittler schon ein Jahr vor der Tat verdeckt mit dem späteren Attentäter David S. kommuniziert – über ein gekapertes Darknet-Profil.

Am 22. Juli 2016 hatte der 18-jährige David S. am Münchner Olympia-Einkaufszentrum mit einem Amoklauf neun Menschen erschossen – allesamt Migranten. Ermittler sehen die Tat als Racheakt eines gemobbten Schülers, Opferangehörige halten ein rechtsextremes Motiv für möglich.

Schon Monate vor der Tat hatte David S. im Darknet, einem abgeschottenen Bereich des Internets, unter dem Pseudonym „Maurächer“ nach einer Mordwaffe gesucht, einer Glock 17. Am 24. Juli 2015 kontaktierte er deshalb auch einen Nutzer namens „ErichHartmann“: Ob er ihm eine Glock besorgen könne?

Jener „ErichHartmann“ aber war kein einfacher Mitnutzer – sondern ein Polizeiermittler. Schon Wochen zuvor, im April 2015, hatten Frankfurter Zollfahnder den Nutzer festgenommen und dessen Account übernommen. Wie die Polizei weiter mit David S. alias „Mauräucher“ kommunizierte und welche Ermittlungen sie anstrengte, ist bisher nicht bekannt. Den Amoklauf vom Juli 2016 jedenfalls verhinderte es nicht.

Claudia Neher, Anwältin von Opferangehörigen, wirft den Ermittlern nun vor, bisher nicht die ganze Wahrheit zu dem Amoklauf offenzulegen. So wird seit Ende August vor dem Oberlandesgericht München gegen Philipp K. verhandelt – den Darknetnutzer, der im Mai 2016 David S. tatsächlich eine Glock 17 verkaufte. Von dem frühen Kontakt der Ermittler zu David S. war in dem Verfahren bisher keine Rede.

Von dem frühen Kontakt der Ermittler zu David S. war in dem Verfahren bisher keine Rede

Mehrere Opferanwälte stellten am Mittwoch deshalb einen Befangenheitsantrag gegen den ermittelnden Staatsanwalt Florian Weinzierl. Dieser täusche das Gericht über die tatsächlichen Erkenntnisse seiner Behörde, sagte Anwältin Neher. Der frühe Kontakt der Ermittler zu David S. sei in den Akten „augenscheinlich gezielt ausgespart“ worden. Auch sei zu prüfen, ob die Frankfurter Polizisten mit ihrem Darknetprofil als „Agent Provocateur“ aktiv waren.

Weinzierl wollte sich auf taz-Nachfrage zu dem Sachverhalt nicht äußern. Über seine Ablösung muss nun eine andere Strafkammer entscheiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • SEMPER IDEM...

    das hat ja nun in münchen system und ist gute übung. nicht nur das markante versagen der "sicherheitsbehörden" bei dem überfall auf die israelische olympiamannschaft 1972, wo geiseln wie terroristen neben einem polizisten tot auf der strecke blieben. beim oktoberfestattentat 1980 blieb es bei dem einzeltäter köhler, obwohl alle spuren auf ein netz hinwiesen. im nsu-prozess werden alle spuren verwischt, die eine beteiligung dritter und der sicherheitsbehörden nachweisen können. nun ist es wieder nur ein einzeltäter, der amok aus persönlichen gründen lief. das soziotop "sicherheitsbehörde" ist eine einzige farce, vertuschung gegenüber der öffentlichkeit ist angesagt, damit der strukturelle rassismus und die engsicht der ermittlungen politisch verwertbar bleibt - gerade in bayern.

  • Es gibt kaum einen Terroranschlag, bei dem Verfassungsschutz oder verdeckte Ermittler nicht Kontakte hatten oder gar vor Ort sind. Terroranschläge verbreiten eine Stimmung der Angst in deren Schatten die Dienste mehr Geld und mehr Kompetenzen erhalten. Im Namen der RAF verübte der Verfassungsschutz einen Sprengstoffanschlag auf ein Gefängnis. Die Bevölkerung reagierte dann wie gewünscht. Wir brauchen hier eine bessere Überwachung der Dienste, eine unabhängige Staatsanwaltschaft und eine Offenlegung der Aktivitäten der Dienste im Rahmen von Prozessen. Ohne diese Offenlegung drohen diese Prozesse zu Schauprozessen zu werden, bei der die Staatsanwaltschaft selektiv Material präsentiert.

    Die große Koalition und auch die FDP zeigen jedoch kein Interesse daran hier den Rechtstaat zu stärken.

  • Für mich ist es unverständlich, dass diese Tat auch bei der taz Amoklauf und nicht Terrorakt genannt wird. David S. hat gezielt Menschen mit Migrationshintergrund getötet, er hat diese Tat am Jahrestag der Taten von Breivik begangen, er hat eine ähnliche Uhrzeit gewählt und das gleiche Modellwie Breivik als Tatwaffe. Außerdem hat er ein Manifest verfasst (die taz berichtete) in dem er sich menschenverachtend und rassistisch äußerte. Das sind alles keine Vermutungen und Verschwörungen, sondern Tatsachen. Außerdem ist bekannt, dass David S. bei seiner Psychologin eine "Hitlergruß-ähnliche-Handbewegung" gemacht hat (was soll das anderes sein als ein Hitlergruß?) und dabei Heil-Hitler gesagt habe. Der Polizeibericht geht trotzdem nicht von einem rechten Täter aus, sondern als Tatmotiv wird Mobbing durch Migrant*innen genannt. Das ist Ausdruck von strukturellem Rassismus. Noch die deutlichste rechte Tat wird als unpolitisch gewertet. Es ist traurig, dass auch die taz und insbesondere Konrad Lischko, der doch auch viel zu Nazis und zum NSU schreibt, hier nicht deutliche Kritik übt, sondern den Begriff Amoklauf mitträgt.