Mount Everest, Corona und Bitcoins: Vitamin B und andere Währungen
Impfaufkleber, Touren auf den Mount Everest – kaufen kann man sich fast alles. Es sollten aber keine Bitcoins sein, zumindest wenn es um Tesla geht.
E ine Zeit lang schien es fast so, als seien wir alle miteinander, von der Greta-Thunberg-Anhängerin bis zum CSU-Wähler, in eine postmaterialistische Phase eingetreten. Nicht freiwillig natürlich und schon gar nicht aus Ressourcenschonungs-Erwägungen. Aber immerhin: Die Einstellung nahezu jeder Konsummöglichkeit durch diese verdammte Pandemie führte dazu, dass kein Geld für Reisen, Restaurant-, Konzert- oder sonstige Veranstaltungsbesuche ausgegeben wurde (von Menülieferungen nach Hause und home drinking einmal abgesehen). Und fürs Homeoffice taten es auch die alten Klamotten, Hauptsache bequem.
Was aber macht der Homo pandemicus, der sein Geld nicht ausgeben kann und auch sonst zum Abwarten verdammt ist? Er (oder sie) entdeckt Parallelwährungen. Vitamin B zum Beispiel: Wer jetzt nicht alle ÄrztInnen aus dem weitläufigen Bekanntenkreis (einmal Nebeneinandersitzen in der Uni-Mensa reicht da schon) nach einer Vorzugsimpfung abgecheckt hat oder eine zu pflegende Kontaktperson oder wenigstens irgendein Gebrechen aus dem Hut gezaubert hat, gilt ja schon fast als Sozialversager im Rennen um den Impftermin.
Manche lösen es auf die kriminelle Tour und bestellen sich im Internet (auch hier gilt: gewusst wo!) einen gefakten Impfaufkleber, der soll täuschend echt aussehen und mit 120 bis 150 Euro gar nicht so teuer sein.
Kann aber auch fett nach hinten losgehen, wenn man erwischt wird, weil der empfohlene Fälscher ein Dilettant war. Oder wenn man zwar überallhin darf, sich aber trotzdem ansteckt. Wie die Leute im Mount-Everest-Basislager, die 9.000 Euro gezahlt haben für die Erlaubnis, den Himalaja besteigen zu dürfen. Nepal lässt sie wieder rein, man braucht das Geld. Mit der Folge, dass es im Basislager immer wieder Ansteckungen gibt – und zuletzt zwei Tote, die an Entkräftung starben, trotz eigens für sie herbeigekarrten Sauerstoffs.
Erpresser wollen Bitcoins
408 AusländerInnen und einheimische Teams befinden sich derzeit auf dem Everest; ein Rekord ausgerechnet in einem Frühling, in dem Nepal von einer ähnlich schlimmen Coronawelle heimgesucht wird wie Indien, mit knappem Sauerstoff in den Krankenhäusern.
Nein, man kann sich nicht alles kaufen, auch nicht mit Beziehungen. Aber vielleicht mit Bitcoins? Die Erpresser, die diese Woche eine wichtige Ölpipeline an der Ostküste der USA lahmgelegt haben und für Schlägereien an Tankstellen gesorgt haben, wollten kein Geld, sondern Bitcoins. Angeblich soll der Pipeline-Betreiber Colonial inzwischen gezahlt haben, das Benzin fließt wieder.
Sollten die mutmaßlich russischen Datenhacker jetzt also auf einer Menge ergaunerter Krypto-Knete sitzen, dann können sie sich davon leider keinen Tesla mehr kaufen. Denn der Chef des amerikanischen E-Auto-Bauers Elon Musk kündigte am Mittwoch an, Bitcoins nicht mehr als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Aus Umweltgründen – das Herstellen der Datenmengen verbrauche zu viel Kohlestrom. Er bevorzuge jetzt die Kryptowährung Dogecoin.
An den Börsen gab es nach dieser Ankündigung Chaos – bei uns zu Hause Freude beim Grafiker, der seit Monaten über absurde Grafikkartenpreise klagt, denn die Krypto-Schürfer kaufen Unmengen solcher Speichermedien auf. Ich aber saß nach dieser Nachricht in unserer Küche wie ein vergessenes D-Mark-Stück in einem Portemonnaie voller Kreditkarten. Denn ausgerechnet von mir wollten die Kinder wissen, was Kryptogeld ist. Ich musste offenbaren, dass mein analoges Hirn sich dazu nicht mehr vorstellen kann als Menschen, die in riesigen Hallen Milliarden von Speicherkarten in irgendwelche Rechner stecken, um damit, äh, was noch mal zu schürfen?
EKD und Desinformation
„Fragt euren Vater“, sagte ich hilflos. Und während Kind eins sich die Welt der Kryptowährung erklären ließ, blieb Kind zwei bei mir in der Küche und meinte: „Das ist doch alles gar nicht echt. Man will doch was Richtiges. Einen Pool. Oder eine Terrasse mit Trampolin. Oder dass man als Frau auch eine Frau heiraten kann.“
Schlaues Kind. Gesellschaftliche Anerkennung ist eine sehr wichtige Währung, Aufmerksamkeit auch. Deshalb schwamm die kirchenrechtlich illegale Segnungsaktion einiger Priester für homosexuelle Paare in der Kirchentagswoche auf einer Woge der Sympathie. Nicht dass sich katholische Homosexuelle etwas davon kaufen könnten – doch ihre Marginalisierung durch den Vatikan wurde zumindest mal wieder zum öffentlichen Skandal.
Anders bei der evangelischen Kirche: Die EKD setzte, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, den Betroffenenbeirat aus, ein Gremium, in dem Betroffenene die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Kirche begleiten sollen. Jetzt versuchen EKD-Vertreter es so aussehen zu lassen, als sei dies keine Machtgeste – die Betroffenen seien zu zerstritten, um miteinander arbeiten zu können. Auch Desinformation ist eine Währung. Wenn auch keine besonders christliche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“