Motorfahrzeug aus Afrika: Das autonome Dreirad
Bingwa ist der neue Hype in Uganda: Das Gefährt ist lokal gefertigt, kann Strom generieren und Wasser pumpen. Das gelang ohne ausländische Investoren.
M it viel Getöse wird Uganda demnächst sein erstes Motorfahrzeug aus eigener Herstellung präsentieren. Es handelt sich um ein Multifunktionsdreirad, entworfen und gebaut von jungen Männern, die nie zur Schule gegangen sind und den „kolonial“ genannten formalen Bildungsweg nicht kennen.
Wissenschaftsministerin Monica Musenero, eigentlich Epidemiologin, hat das Dreirad schon vor geladenen Gästen vorgeführt, um zu sehen, ob es funktioniert. Nun soll Präsident Yoweri Museveni es im Rahmen der Feiern zum 61. Unabhängigkeitstag offiziell an die Öffentlichkeit bringen.
Das Dreirad namens Bingwa (Swahili für „Champion“) kann drei Dinge: eine Ladung von bis zu 1.000 Kilo transportieren und dabei nur einen Liter Diesel pro 25 Kilometer verbrauchen; Strom für den Hausverbrauch generieren, also für Beleuchtung oder einfache Hirsemühlen; und Wasser pumpen, wobei ein Liter Diesel ausreicht, um in einer Stunde 6.000 Liter Wasser auf einen Acre Land (rund 4046 Quadratmeter) zu verteilen. Es besteht zu 55 Prozent aus lokal produzierten Teilen, insbesondere sein Motor aus Aluminium.
Bemerkenswert ist das Timing: Zufällig wird Bingwa als nationale Errungenschaft zu einem Zeitpunkt vorgestellt, zu dem Uganda sich von seinen Geldgebern entfremdet. Nach der Verabschiedung des ugandischen Antihomosexualitätsgesetzes (AHA) im Mai warnte US-Präsident Joe Biden, die US-Finanzhilfen von einer Milliarde US-Dollar jährlich für Uganda stünden infrage. Das Geld fließt zumeist in antiretrovirale Medikamente für Ugandas 1,2 Millionen HIV-Infizierte. Präsident Museveni konterte mit dem Vorwurf, die USA wollten eine Million Ugander umbringen als Strafe für AHA.
lebt als unabhängiger Publizist in Ugandas Hauptstadt Kampala. Er ist ehemaliger Chefredakteur der Zeitungen „Sunday Vision“ und „Daily Monitor“ in Uganda und Mitgründer der Zeitung „The Citizen“ in Tansania.
Museveni interessiert sich für Mobilität. Uganda baut elektrische Busse, unter einem Technologietransferabkommen mit China. 2016 pries Musevenis Büro eine Gruppe ugandischer Jungs ohne Schulabschluss, die beim Herumbasteln mit Maschinen einen Motor erfunden hatten. Die Jungs sind inzwischen erwachsen und haben mit staatlicher Förderung lesen und schreiben gelernt, dazu Mathematik, Informatik und Englisch. Daraus wurde Bingwa, erfolgreich getestet in holprigen Dörfern.
Das multifunktionale Dreirad ist erst der Anfang. Ein viertes Rad ist in Planung, außerdem eine vierte Funktion: das Land pflügen wie ein Traktor. Das Dreiradmodell kostet 28 Millionen ugandische Shilling (rund 7.100 Euro), etwa so viel wie ein kleiner japanischer Gebrauchtwagen. Das ist machbar für einen Farmer, der damit Getreide mahlen, Milch kühlen und die Ernte zum Markt bringen kann, dank Bewässerung dreimal im Jahr. Zwei Drittel von Ugandas 48 Millionen Einwohnern leben von der Landwirtschaft.
Aber wieso soll man im 21. Jahrhundert das Rad neu erfinden und Technologien entwickeln, die es längst gibt? Das hat mit Afrikas wachsender Enttäuschung über westliche Geldgeber und die ehemaligen Kolonialmächten zu tun. Sie werden für die Krise des Kontinents verantwortlich gemacht. Afrikanische Länder stecken durchschnittlich 60 Prozent ihrer Staatsbudgets in den Schuldendienst für Kredite, die keine offensichtlichen Verbesserungen herbeigeführt haben.
Die Afrikanische Union ruft nun zu mehr innerafrikanischem Handel auf und zur Entwicklung eigener Technologien. Von Uganda bis Namibia ertönt der Ruf: Rohstoffe nicht mehr exportieren, sondern selber verarbeiten! Es macht auch durchaus Sinn: Die Abhängigkeit sinkt – und es entstehen multifunktionale Dreiräder.
Aus dem Englischen von Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?