Motivation für Mathe durch Spaßbücher: Mit Regentropfen Pi verstehen
Ein Action-Mathebuch soll mehr Spaß und Erfolg im Unterricht bringen. Fachdidaktiker halten jedoch nicht viel von Spaßbüchern.
Regenwetter und Matheunterricht – beides ein Albtraum für viele Schüler*innen. Anders bei der 5a am Firstwald-Gymnasium in Mössingen bei Tübingen. Für ihr „Action-Mathebuch“ muss es nämlich regnen, zumindest für eins der Experimente, das spielerisch die Kreiszahl Pi bestimmt. Dafür legen die Kinder ihre aufgeschlagenen Bücher 30 Sekunden in den Regen und zählen dann die Tropfen, die in einem Viertelkreis gelandet sind. Geteilt durch die Summe aus den Tropfen außerhalb und denen darin ergibt das mit vier multipliziert in etwa Pi.
Was als „Monte-Carlo-Methode“ in der Stochastik bekannt ist, können mit dem Buch „Mach mal Mathe“ auch Zehnjährige praktisch anwenden. Doch Mathelehrerin Carla Zimmer hatte Pech: In der Woche vom 14. März, dem „Pi-Tag“ zu Ehren der Zahl, die gerundet 3,14 lautet, blieb der Himmel trocken. Stattdessen haben die Schüler*innen den Regen mit nassen Händen simuliert. Außerdem haben sie die Schule nach kreisrunden Gegenständen abgesucht und für das Buffonsche Nadelexperiment Streichhölzer geworfen. Dass immer annähernd Pi herauskam, hat alle begeistert, erzählt die Lehrerin. „Die Faszination stand den Kindern in die Augen geschrieben.“
Begeisterung und vor allem der Spaß sind für Thorsten Schreibauer der Schlüssel zum Lernen. Der Autor des Buches ist selbst Mathelehrer an einem Gymnasium in Reutlingen. „Ich versuche, mit faszinierenden Spielereien, kleinen Basteleien und Rätseln den Spaß an der Mathematik zu wecken“, sagt der 36-Jährige. Nur dann hätten die Schüler*innen genug Motivation, „um sich mal durch die ein oder andere zähe Phase zu kämpfen“. Er will die Angst vor Mathe nehmen. Die Schüler*innen sollen sich ausprobieren und vor allem darüber sprechen. Eine interaktive Unterrichtsform, die gegen das Klischee angeht, dass Mathe staubtrocken und wenig anschaulich ist.
Das Buch ist 2015 erschienen, mittlerweile ist die dritte Auflage veröffentlicht. Über 1.400 Stück sind verkauft, viele davon in der Region. Ein zweites Buch, bei dem es um das Knacken von Codes geht, wurde seit Dezember circa 500 Mal verkauft. Thematisch passt „Mach mal Mathe“ zum Schulstoff, klassische Probleme der Mathematik tauchten in neuem Gewand auf. Und könnten – ist sich Schreibauer sicher – auch die im Schnitt mäßigen Leistungen deutscher Schüler*innen in dem Fach verbessern. Im Vergleich zu anderen Ländern steht Deutschland bei Matheleistungen nicht sehr gut da, wie die Ergebnisse von Tests wie Pisa und Timms zeigen.
Zu viele fachfremde Lehrer
Die Timms-Studie vergleicht Leistungen im Fach Mathematik und Naturwissenschaften zum Ende der vierten Klasse. Im Jahr 2015 lag Deutschland dabei nur im Mittelfeld, bei Pisa landeten die 15-Jährigen in Mathe immerhin im oberen Drittel. Für Ulrich Kortenkamp, Professor für Didaktik der Mathematik an der Universität Potsdam, sind diese Tests zwar wenig aussagekräftig, doch auch er kritisiert den Matheunterricht in Deutschland. Mathespaßbücher sind für ihn jedoch nicht die Lösung. Die Idee, mit Knobelaufgaben Mathemuffel für das Fach zu gewinnen, ist nicht neu. Es gibt weitere Bücher auf dem Markt.
Für Kortenkamp können sie die Kluft zwischen guten und schlechten Schüler*innen aber sogar vergrößern: „Diese Bücher helfen nur Kindern, die sowieso gut in Mathe sind und in einem Umfeld aufwachsen, wo Mathematik angesehen ist.“ Im Unterricht können Lehrer*innen solche Bücher nämlich vor allem einsetzen, um diejenigen zu beschäftigen, die schneller mit den regulären Aufgaben fertig sind.
„Es hilft nicht der breiten Masse, wenn wir begabte Kinder in Mathe fördern.“ Das Problem, weshalb Mathe nach der Grundschule für viele zum Hassfach wird: zu viele fachfremde Lehrer*innen. „Das ist ungefähr so als würden wir sagen, wir haben nicht genug Chirurgen, wir stellen jetzt Metzger ein.“ Guter Unterricht stehe und falle mit einer didaktisch und fachlich gut ausgebildeten Lehrkraft. „Das ist die entscheidende Komponente.“
Eselsohren und Kakaocreme im Buch sind erlaubt
Carla Zimmer hat im Hauptfach Mathe auf Lehramt studiert und sieht das genauso. Dennoch betont sie: „Es kommt auch darauf an, wie man das Arbeitsmaterial verkauft.“ Fachdidaktisches Wissen könne dabei helfen. Aber eben auch ein Buch wie „Mach mal Mathe“. Seit sie in der Lokalzeitung davon gelesen hat, schnippeln, kleben und kritzeln die 28 Schüler*innen ihrer fünften Klasse in dem Buch herum. „Natürlich bietet nicht jede Mathestunde Gelegenheit für ein Experiment, aber ich nutze das Buch gerne zur Auflockerung zwischendurch.“ Sei es als Zusatzbeschäftigung oder um die regulären Themen des Lehrplans anschaulicher zu vermitteln.
Ob dadurch die Noten besser werden? „Möglicherweise, aber ich habe ja keine Vergleichsgruppe“, sagt Mathelehrerin Zimmer. Das sei aber gar nicht das erklärte Ziel des Buches. Sondern: „Es baut Berührungsängste ab und weckt Neugierde.“ Auch bei den Mädchen, die in Mathe in der Regel schlechter abschneiden als Jungs. „In alle Seiten, deren Seitenzahlen Primzahlen sind, Eselsohren reinmachen, Kakaocreme ins Buch reinpinseln – das darf man normalerweise nie machen.“ Gerade Schüler*innen, die sonst schlecht in Mathe sind, können bei diesem praktischen Zugang auch mal glänzen. Und das, so Zimmer, erhöhe die Lernbereitschaft.
Warum das nicht genug ist, fasst Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, nüchtern zusammen: „Lernen geht nicht immer ohne Anstrengung.“ Gerade in Mathe heiße es daher: „Üben, üben, üben.“ Nur in den unteren Klassenstufen ergebe ein spielerischer Zugang Sinn. „Das ist aber nicht ständig möglich.“ Knobelbücher könnten den Unterricht nur punktuell ergänzen und Vertretungsstunden bereichern.
Am Pi-Tag vergangene Woche hatte die 5a von Carla Zimmer jedenfalls Spaß daran, herauszufinden, wie groß diese wichtige Kreiszahl ist. Auch die schlechten Matheschüler*innen.
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