Moschee-Gemeinde gewährt Asyl: Ein roter Teppich für zwölf Männer
Eine Moschee-Gemeinde in Glinde hat zwölf afrikanische Flüchtlinge aufgenommen, die über Libyen und Italien nach Hamburg gekommen sind.
GLINDE taz | An einer Wand steht ein zur Seite geräumter Flachbildfernseher, auf einem Tischchen daneben ein Pokal, es gibt eine Durchreiche in die Küche, auf dem Boden liegen Matratzen: Der kleine Raum mit den recht frisch gestrichenen weißen Wänden und dem dunkelroten Teppich im Keller unter dem Gebetstraum der Moschee in Glinde ist normalerweise der Bereich für die Jugendlichen der Gemeinde. Doch jetzt dient er als Notunterkunft.
Die Moschee im schleswig-holsteinischen Glinde, am Rande von Hamburg gelegen, hat zwölf afrikanische Flüchtlinge aufgenommen, die über Libyen und Italien nach Deutschland kamen. Rund 300 sind es, sie lebten zunächst eine ganze Weile einfach draußen auf der Straße, gingen durch Hamburg und schliefen in Parks. Sie schlugen sich irgendwie durch.
Einige von ihnen gingen zum Beten in die Centrum-Moschee in den Hamburger Stadtteil St. Georg, nicht sehr weit vom Hauptbahnhof entfernt. Und diese Moschee besucht auch ein Mitglied des Vorstands der Glinder Moschee, deren Gemeinde zum gleichen Dachverband wie die der Centrum-Moschee gehört. Und er bekam mit, wie die Flüchtlinge leben und wollte helfen. „Er erzählte uns davon, da haben wir uns schnell geeinigt und beschlossen, die mitzunehmen“, sagt Mustafa Tepe an einem Nachmittag Ende Juni im Garten der Moschee in Glinde.
Tepe sitzt auf der Bank einer Bierzeltgarnitur unter einem Pavillon. „Wir wollten humanitäre Hilfe leisten. Die Stadt hat ja fast nichts getan“, sagt er. Er ist für dieses Gespräch direkt von der Arbeit zur Moschee gekommen, trägt eine blaue Latzhose und ein weißes T-Shirt. Tepe arbeitet als Mechaniker bei einem Fahrzeugbauer. Die Gruppe sei jetzt in der fünften Woche hier, erzählt er. Mit zwei Wagen haben man die Männer zu sich geholt und aus dem Jugendraum der Moschee eine enge Notunterkunft gemacht.
Die Moschee liegt in einem zweistöckigen, pastellfarben verputzten Haus in einem Wohnviertel. Es gibt weder Minarett noch Kuppel. Seit 2003 betet die Gemeinde hier, es gibt einen Eingang für Männer und einen für Frauen. Der Gebetsraum liegt im Erdgeschoss, im ersten Stock gibt es Räume für die Frauen, im Keller für die Jugendlichen. Überdachte Sitzplätze, ein Grill und ein Trampolin befinden sich im Garten.
In Hamburg gestrandet
Aus Mali, Ghana, Nigeria, Niger und aus der Elfenbeinküste kommen die Gäste der Moschee. Sie sind zwischen Anfang 20 und Mitte 40. Sie waren wie die ganze Gruppe, die sich „Lampedusa in Hamburg“ nennt, zuvor Wanderarbeiter in Libyen und sind vor dem Bürgerkrieg und den Luftangriffen der Nato geflohen. Mit dem Boot kamen sie in Italien an und wurden dort in Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Die wurden Anfang des Jahres geschlossen, die dort lebenden Menschen erhielten von den italienischen Behörden Reisepapiere. Sie dürfen sich im Schengen-Gebiet, das weite Teile von Europa umfasst, bewegen und viele gingen nach Nordeuropa und landeten in Hamburg.
Abu-Bakr Zubei ist einer von ihnen. Der 43-Jährige stammt aus dem Niger, hat in einer Fabrik in Libyen gearbeitet und sich vor dem Krieg in Sicherheit gebracht. Er schläft in Glinde, isst und betet hier. Sonst ist er in Hamburg unterwegs. „Ich gehe in der Stadt umher, treffe mich mit anderen Flüchtlingen und rede mit ihnen“, sagt er. Zubei ist dankbar über die Hilfe der Gemeinde. Wie es für ihn weitergeht, ist nicht klar. Wie bei der ganzen Gruppe.
Hamburg will abschieben
Ein Anspruch auf Unterkunft oder medizinische Versorgung haben die Flüchtlinge nicht, eine Arbeitserlaubnis bekommen sie erst recht nicht. Im Gegenteil: Der Hamburger Senat sieht Italien in der Pflicht, will die Männer dorthin abschieben. Nach den EU-Regeln ist das Mitgliedsland für Flüchtlinge zuständig, in dem sie zuerst waren. Der Senat hält das für alternativlos.
Anwälte weisen auf Ausnahmeregelungen hin und auf manche Urteile hiesiger Gerichte, die den Umgang mit Flüchtlingen in Italien kritisieren und deshalb Abschiebungen dorthin untersagt haben. Ein großer Teil der Gruppe schläft in der St. Pauli Kirche, auch andere Kirchengemeinden haben Flüchtlinge aufgenommen – wie die Moschee-Gemeinde in Glinde.
“Die waren richtig k.o, als sie hier ankamen“, sagt Osman Sarikaya. Auch er ist im Vorstand der Gemeinde und schaut fast jeden Tag nach den Flüchtlingen. Sie hätten gut eine Woche gebraucht, um wieder fit zu werden, erzählt er. Die Kommunikation ist nicht einfach: Er selbst kann kein Englisch wie die Hälfte der Flüchtlinge. So versucht er, sich mit Zeichen zu verständigen. Das klappt natürlich nicht immer. Wenn es wichtig wird, helfen Jugendliche aus der Gemeinde, die in der Schule Englisch gelernt haben.
Die Gemeinde hat eine Hausordnung aufgestellt. Um 10 Uhr gibt es Frühstück, Abendbrot gegen 20 Uhr, Nachtruhe ist um 22 Uhr. Tagsüber sind die meisten in Hamburg, denjenigen, die kein Englisch sprechen können, haben die Gemeindemitglieder geraten, nicht zu viel unterwegs zu sein. Zwischen dem Eingang zum Gebetsraum und der Treppe zum Keller steht eine Tafel. „Wir versuchen, den Flüchtlingen ein bisschen Deutsch beizubringen“, sagt Tepe.
Keine Erfahrung
Es sind die ersten Flüchtlinge, die hier in der Gemeinde unterkommen. „Wir sind unerfahren“, sagt Gemeindevorstand Tepe. Zunächst hat die Gemeinde vor allem mit eigenen Mitteln versucht, die Hilfe zu organisieren. Die 70 Mitglieder haben Geld zusammengeschmissen, um Lebensmittel und das Nötigste zu kaufen. Vormittags und abends schauen Gemeindemitglieder vorbei, oft bringen sie etwas zu essen mit, der Imam wohnt auch in dem Haus. Ein Imbiss aus dem nahen Hamburger Stadtteil Billstedt schickte am Anfang Essen, doch der Betrieb ist nun in der Sommerpause. Doch zwölf Flüchtlinge mit der Kraft von 70 Mitgliedern zu versorgen, ist eine große Herausforderung. Eine zu große: Die Gemeinde sieht ihre eigene Überforderung und bittet Mitte Juni um Hilfe.
Spendenkonto eingerichtet
Sie wendet sich an die Bürgerinitiative „Glinde gegen Rechts“. Die berät und übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit, veröffentlicht einen Hilferuf – auch beim Gespräch mit der taz ist eine Vertreterin der Gruppe dabei. Nach den ersten Artikeln in Lokalzeitungen ist die Hilfe angelaufen. Es sind vor allem Sachspenden und Gutscheine für Supermärkte, die eingehen. Auf einem Tisch steht ein Paket mit grauen Hemden aus dem Süden von Hamburg. Zwei Wochen werden die Spenden wohl reichen, schätzt Tepe. Sie werden jetzt ein extra Spendenkonto für die Flüchtlingshilfe einrichten. Eine Berliner Gruppe hat angekündigt, spenden zu wollen. Auch mit der örtlichen Tafel, einer Organisation, die Lebensmittel sammelt und an Bedürftige verteilt, steht die Gemeinde im Kontakt.
“Wir wissen nicht, wie lange das dauert“, sagt Tepe. Sie können höchstens bis Ende des Jahres helfen, glaubt er. Ob die Gemeinde so lange aushält? „Das wird schwierig“, sagt Tepes Vorstandskollege Sarikaya. „Ich weiß nicht, ob wir so lange helfen können.“ Dabei geht es vor allem ums Geld für die Versorgung. „Uns ist egal, was die Behörde dazu sagt, dass wir den Flüchtlingen Schlafplätze geben, uns geht es nur um humanitäre Hilfe“, sagt Tepe.
Und was ist, wenn es hart auf hart kommt, wenn Behörden die Flüchtlinge abschieben wollen und Beamte vor der Tür stehen und so aus der Notunterkunft ein Moschee-Asyl werden könnte? Das muss die Gemeinde noch klären. Auf diese Frage gibt es noch keine Antwort in Glinde.
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