Mord nach Gefährderansprache: Eine Warnung hat nicht gereicht
In Niedersachsen hat ein Soldat vier Menschen erschossen. Die Frau des Täters und deren neuer Freund hatten sich zuvor an die Polizei gewandt.
Doch das Gespräch hielt ihn nicht davon ab, am Freitag den neuen Freund seiner Frau und weitere Menschen aus deren engem Umfeld zu ermorden. Seine getrennt lebende Ehefrau und ihr neuer Freund hatten sich in der vergangenen Woche an die Polizei um Hilfe gewandt. Vorausgegangen ist laut Polizeiinspektion Rotenburg wohl ein Streit um die neue Beziehung der Frau. Noch am gleichen Tag seien Beamte des Streifendienstes losgeschickt worden, um mit dem Soldaten zu sprechen und eine weitere Eskalation zu verhindern.
„Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, etwas zu sagen“, sagte der Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg, Heiner van der Werp. Die Polizisten hätten dem 32-jährigen Deutschen die Situation erklärt und mögliche Konsequenzen geschildert. Ihr Eindruck von dem Mann, den sie auch protokolliert hätten, habe weitergehende Maßnahmen nicht gerechtfertigt.
Eine fatale Fehleinschätzung. Denn Florian G. lud sein Sturmgewehr Heckler&Koch MR 308 sowie seine Sig-Sauer-Pistole, packte einen Molotow-Cocktail ins Auto und fuhr zum Wohnhaus des neuen Freundes und dessen Mutter in Westervesede. Beide erschoss er. Dann fuhr Florian G. nach Brockel in die Nachbargemeinde und erschoss eine Frau und ihr dreijähriges Kind. Ein weiteres Kind überlebte im Nebenzimmer. Die Ermordete soll Medienberichten zufolge die beste Freundin der Ehefrau gewesen sein. Der Soldat stellte sich selbst der Polizei. Zu seiner Tat schweigt er bislang.
Nach Aktenlage alles vorschriftsgemäß
Das selbstladende Sturmgewehr, das aber nur einzelne Schüsse abgeben kann, und die Pistole besaß Florian G. legal. Sie seien ordentlich auf dessen Waffenbesitzkarten eingetragen. Angefragt bei der zuständigen Waffenbehörde des Landkreises Rotenburg (Wümme) hat die Polizei allerdings erst nach der Tat. Vorher erfuhr die Behörde nicht von der Bedrohung und der Anzeige bei der Polizei.
Nach Aktenlage der Waffenbehörde war bei Florian G. alles vorschriftsmäßig. Er habe die Waffen ordentlich aufbewahrt, sprich weggeschlossen, die notwendige Sachkunde nachgewiesen und auch das „Bedürfnis“, Waffen zu besitzen – Florian G. war nicht nur Scharfschütze bei der Bundeswehr, sondern auch Sportschütze.
Seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit sei zuletzt im September vergangenen Jahres regelhaft durch eine Abfrage beim Verfassungsschutz und der Polizei überprüft worden, teilte die Waffenbehörde mit. Die sichere Waffenaufbewahrung hätte in diesem Frühjahr überprüft werden sollen, das Bedürfnis im kommenden Jahr.
Die Zuverlässigkeit von Waffenbesitzern ist laut Waffengesetz dann nicht gegeben, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden“. Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft ergaben sich bei der Gefährderansprache allerdings „keine weiteren Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Eskalation des Konflikts“. Allerdings wäre eine Nachfrage bei der Waffenbehörde durchaus nützlich gewesen: Sie hätte zumindest ein Bild von dem Gefährdungspotenzial ergeben, das Florian G. hatte.
Defizite beim Personal in den Waffenbehörden
Der Waffenrechtsexperte Lars Winkelsdorf stellt daher die Frage, „ob möglicherweise das Waffengesetz für die Behörden ein Problem ist und nicht für die Endverbraucher“. Er vermisst Mindeststandards wie eine 24-Stunden-Hotline und sieht Defizite bei der Aus- und Weiterbildung der Behördenmitarbeiter.
Um den fachlichen Standard zu erhöhen, hat Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) die Zuständigkeit für das Waffenrecht konzentriert. Statt bisher 99 Kommunen haben seit dem 1. Januar nur noch Landkreise und kreisfreie Städte Waffenbehörden. Ihre Zahl verringerte sich auf 47. Von mehr Personal für die einzelnen Behörden und ihr größeres Betreuungsgebiet ist in der Pressemitteilung des Ministeriums nicht die Rede. Eine entsprechende Nachfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Eine weitere Verschärfung des Waffenrechts im Bund stockt seit Jahren. Die Initiative des Bundesinnenministeriums geht zurück auf den Anschlag in Hanau. Vor vier Jahren ermordete dort ein psychisch gestörter Rechtsextremer neun Menschen mit Migrationsgeschichte. Der Entwurf reicht noch in die Zeit des CSU-Ministers Horst Seehofer zurück. Er sieht „Abfragen bei den Gesundheitsbehörden im Hinblick auf die körperliche und psychische Eignung der Waffenbesitzer“ vor.
Neue Nahrung erhielt die Forderung durch die Amoktat vor einem Jahr in Hamburg. Dort erschoss ein psychisch kranker Täter sieben Gemeindemitglieder der Zeugen Jehovas. Vor dem Schützen war anonym gewarnt worden, die Warnung bliebt aber unbeachtet. Das Forum Waffenrecht, eine Lobby für den legalen Waffenbesitz, kommentierte danach, es sei „heute schon möglich, einem Besitzer legaler Waffen eine psychologische Begutachtung aufzugeben“. Die Hürden hierfür seien denkbar niedrig.
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