Monteverdi trifft Joan Didion: Vom Festhalten und Loslassen
Bekannt wurde Christopher Rüping als Theaterregisseur. Nun inszeniert er an der Bayerischen Staatsoper „Il ritorno/Das Jahr des magischen Denkens“.
Ein nackter Raum und darin Menschen an einem Tisch. Ab und an schauen sie in den Zuschauerraum des Münchner Cuvilliéstheater, ein Rokokoschatzkästchen. Denn gleich geht sie los, die zweite Premiere beim „Ja, Mai“-Festival der Bayerischen Staatsoper. Bislang deutet nichts auf der Bühne auf große Oper hin, dafür alles auf Christoper Rüpings Begegnungstheater, das immer das gemeinsame Hier und Jetzt betont. Diesmal in „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“, Claudio Monteverdis frühbarocke Version der Heimkehr des Odysseus.
Der Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich ist mit seinen 37 Jahren bereits ein Sprechtheater-Star. Dass er jetzt Oper macht, verwundert – und doch wieder nicht. Einerseits ist so eine Oper ein Klotz, die Partitur muss umgesetzt, nicht kollektiv befragt werden, weshalb Rüping auch ablehnte, als der Intendant der Bayerischen Staatsoper das erste Mal bei ihm anklopfte. Andererseits wurde die Musik für ihn zuletzt immer wichtiger.
Sarah Kanes dunkles Poem „Gier“, das im März in Zürich Premiere hatte, hat er als eine Art Kammerkonzert mit Streichern und Stimmen inszeniert und fast zur Gänze kompositorisch gedacht. An die Oper hat sich Rüping zumindest schon angeschlichen, als er Necati Öziris “Ring des Nibelungen“ inszeniert hat: ohne eine Zeile oder einen Ton Wagner, auf der Bühne nur die marginalisierten Nebenfiguren. Das Ensemble hat nebenher Kerzen gegossen, so dass am Ende jede:r ein Lichtlein mit nachhause nehmen konnte.
Ja, Rüpings Sehnsucht nach dem Lagerfeuer, wie er es nennt, trägt ihn manchmal in Richtung Kitsch davon. Auch in der Oper hat er so ein Feuer glimmen sehen – das im Falle von Monteverdis „Ritorno“ seit fast vier Jahrhunderten Menschen anlockt. Die Idee, mal zu schauen, was uns da heute noch wärmt, hat ihn dann doch interessiert.
Opernmagie trifft auf analytische Prosa
Wie fast immer hat er sein eigenes Untersuchungskomitee dabei: Sibylle Canonica vom benachbarten Residenztheater sowie Wiebke Mollenhauer und Damian Rebgetz, mit denen Rüping seit seiner Münchner Zeit an Matthias Lilienthals Kammerspielen verbunden ist.
Ihr Untersuchungsbesteck ist Joan Didions 2005 erschienener essayistischer Roman „Das Jahr magischen Denkens“, in dem die amerikanische Schriftstellerin ihren gedanklichen Verrückungen nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes auf die Spur zu kommen versucht. So tritt denn gleich Rebgetz mit den ersten Sätzen des Buches an die Rampe: „Das Leben ändert sich in einem Augenblick. Man setzt sich zum Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf.“
Das Scharnier, das analytische Prosa und Opernmagie sowie zeitgenössische und barocke Erzählweisen verbinden soll, ist eingesetzt! Das macht Sinn, weil es hier wie dort ums Loslassen respektive Festhalten geht.
Denn auch Penelope in Monteverdis Oper vermisst ihren Mann. Seit Ulisse vor 20 Jahren in den Krieg um Troja zog, wehrt sie sich gegen nervige Freier und das Leben, zu dem ihre Umgebung sie überreden will. Statt an den wahrscheinlichen Tod des Vermissten glaubt sie unbeirrt weiter an seine Rückkehr, während bei Didion das magische Denken – ich hebe seine Schuhe auf, falls er zurückkommt – permanent mit der Logik im Clinch liegt: Denn anders als Penelope hat sie ihren Gatten sterben sehen.
Die Zeit des magischen Denkens ist vorbei
Aus dem dichten Gewebe dieses Textes zieht Rüping nur einige Fäden heraus. Auch die Oper wird entschlackt, von den streitenden Göttern bleibt lediglich Minerva übrig. Das Happy End, nachdem Penelope den als Bettler verkleideten Heimkehrer endlich erkennt, winkt bereits nach zwei Stunden. In denen gibt es erst nur Schauspiel, dann ganz schön lang nur Oper.
Erst in der letzten Stunde gelingt die Verflechtung von beidem teilweise wundersam, wenn Kristina Hammarströms Penelope von den drei Schauspieler*innen praktisch vervierfacht und Charles Daniels mal als Ulisse und mal als Didions Mann John Dunne adressiert wird. Mehr und mehr dehnt sich das Spiel ins Parkett aus, wo Mollenhauer sich selbst inmitten der Zuschauer filmt. Und auch die Erzählstimmen und das von Christopher Moulds dirigierte Orchester interagieren miteinander.
Kurz: Rüping schlägt Brücken, wo es nur geht: räumlich, zeitlich und zwischen den Genres. Und setzt trotzdem auf Kontraste: Statt der Magie der Oper betont das im Erzählen verhaftete Schauspiel das Gemachte. Die knarzend herab- und hereinfahrenden, teils barockisierenden, teils gepixelten Prospekte von Jonathan Mertz ähneln halbfertigen Laubsägearbeiten. Auch richtiggehend albern wird es zwischendurch.
Umso tiefer berührt der Schluss: Penelope und Ulisse sind in ihrer finalen Umarmung eingefroren, die drei Schauspielenden sehen ihnen dabei zu – ihre riesigen Gesichter, die Rotz und Wasser heulen, sind auf eine Leinwand gebannt. Während die zwei auf der Bühne einander festhalten, ist für Joan Didion, verkörpert von den dreien, die Zeit gekommen, den Glauben an die Rückkehr des Geliebten fahren zu lassen. Die Zeit des magischen Denkens ist vorbei, der Applaus groß.
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