Montagsinterview Marktleiter Detlef Frantz: "Als Marktmeister muss ich Chef auf dem Platz sein"

Jeden Samstag ab 6 Uhr läuft Detlef Frantz über den Boxhagener Platz und weist die Händler ein. Das Angebot ist bunt, und auch Sex zwischen den Ständen ist schon vorgekommen. Nur die Hunde stören.

"Natürlich gibt es unter den Tageshändlern auch Schlitzohren", sagt Franzt, "da muss man ein bisschen aufpassen." Bild: Amélie Losier

taz: Herr Frantz, vor Kurzem gingen die Dreharbeiten für die Verfilmung des Romans "Boxhagener Platz" zu Ende. Sie sind seit vielen Jahren Marktmeister auf dem "Boxi" - freuen Sie sich, dass der Platz jetzt ins Kino kommt?

Detlef Frantz: Ja. Wenn der Film ein Stück ursprüngliches Berlin zeigen soll, auch aus heutiger Sicht, dann passt der Platz. Das hier ist richtig Kiez.

Das Romandebüt von Torsten Schulz taucht ab ins Ostberlin des Jahres 1968, der Boxhagener Platz wird schillernd und doppelbödig beschrieben. Als junger Mann waren Sie oft in diesem Kiez unterwegs. Wie haben Sie den Platz in Erinnerung?

Detlef Frantz, 64, wurde bei Wismar geboren. Er lernte in Neubrandenburg Koch und kam 1964 nach Ostberlin. Bis zur Wende war er beim Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) als Küchenmeister zuständig für die sportartgerechte Ernährung der Sportler. Nach der Auflösung des DTSB wurde er Marktmeister auf dem Boxhagener Platz in Friedrichshain. Frantz ist mit einer Lehrerin verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Marzahn.

Den Markt, der jeden Samstag von 8 bis 14.30 Uhr geöffnet ist, gibt es seit Errichtung des Platzes im Jahr 1905. Zu DDR-Zeiten wurde er kommunal betrieben, seit 2005 ist er privat. Frantz betreibt den Markt mit zwei Partnern. Inzwischen gibt es auch mittwochs einen Markt, von 12 bis 19 Uhr.

Es war ein ziemlich runtergekommenes Wohnquartier, eine typische Arbeitergegend, mit Hinterhofwohnungen und Außenklo. Billig war ja alles, wie in der ganzen DDR.

Wie war der Markt damals?

Das war meines Wissens, neben dem Pankower Markt, der einzige Markt zu DDR-Zeiten. Alle anderen waren eingegangen durch die Mangelwirtschaft. Der Handel war ja staatlich organisiert, der kleine Einzelhändler hat auch nur 08/15-Ware bekommen. Damit es nicht heißt, die Hauptstadt der DDR hat keinen Markt, hat die Partei der HO, der Handelsorganisation, den Auftrag gegeben, die beiden Märkte zu bestücken. Aber mit Marktwirtschaft hatte das nichts zu tun.

Wie war das Angebot?

Der Markt war ärmlich. Es gab noch ein paar private Betriebe, auch mal einen privaten Blumenhändler, sodass man jenseits vom Frauentag und dem 1. Mai nicht nur eine Nelke gekriegt hat, sondern vielleicht auch mal eine andere Blume. Der Markt war klein; der Platz, der jetzt voll genutzt wird, war damals höchstens zu zwanzig Prozent belegt. Man ist da mal rübergegangen, hat aber nichts Großartiges erwartet.

Wie wurden Sie Marktmeister vom Boxhagener Platz?

Mit der Währungsunion 1990 wurden die staatlichen Läden geschlossen - der Wochenmarkt war der schnellste, der darauf reagiert hat. Auf dem Großmarkt in der Beusselstraße konnte man einkaufen und sich ganz schnell selbstständig machen. Der Platz war und ist ja eine öffentliche Fläche, also musste sich das Bezirksamt kümmern und Ordnung und Struktur reinbringen. Deshalb wurden Stellen ausgeschrieben. Durch die Abwicklung meines Betriebs hatte ich meine Arbeit verloren und habe mich als Marktmeister beworben.

Was haben Sie vor Ihrem Leben als Marktmeister gemacht?

Ich habe im Sportclub gearbeitet und im Bundesvorstand des DTSB, also der Sportorganisation der DDR. Die Sportclubs und -schulen hatten Internate, deren Schüler wurden mit fünf Mahlzeiten täglich versorgt. Ich war Küchenleiter und Berater für sportartgerechte Ernährung. Eine kleine zarte Eiskunstläuferin konnte natürlich nicht so ernährt werden wie ein viermal so schwerer Hammerwerfer. Dementsprechend wurden die Ernährungspläne mit der Sportmedizin zusammengestellt, und wir haben versucht, sie umzusetzen. Der DTSB hat sich nach der Wende sofort aufgelöst. 1992 wurde ich als Marktmeister Angestellter im öffentlichen Dienst. Als dann 1995 Stellen abgebaut wurden, habe ich mich mit einem Partner selbstständig gemacht. Wir führten den kommunalen Markt im Auftrag des Bezirksamtes weiter. 2005 hat man in der Bezirksverordnetenversammlung entschieden, Märkte nicht mehr kommunal zu führen. Der Markt wurde privatisiert - wir haben den Zuschlag bekommen.

Was genau macht ein Marktmeister?

Grundsätzlich gibt es eine Gewerbeordnung der Bundesrepublik Deutschland. Darin ist genau geregelt, auch für Märkte, was man darf und was nicht. Ich sorge dafür, dass die gesetzlichen Vorschriften umgesetzt werden. Die Einzelhändler verfolgen natürlich Einzelinteressen, und wenn die nicht koordiniert werden, dann geht das irgendwann gegen den Baum. Ein Marktmeister muss auch im Blick haben, dass sich Qualität entwickelt, dass die Produktauswahl gut ist.

Wie machen Sie das?

Konkurrenz unter den Markthändlern muss unbedingt sein. Ohne Konkurrenz werden die einzelnen Produkte zu teuer und die Kunden wandern ab zum Supermarkt. Wenn etwa drei, vier Fischer davon leben können, ist es ein guter Markt. Sechs wären zu viel. Jeder Händler hat seine spezielle Schiene und schafft sich seine spezielle Kundschaft. Die tun sich alle nicht weh. Und man muss als Marktmeister organisieren können. Das habe ich in der DDR gelernt aufgrund der Mangelwirtschaft. Von der Persönlichkeit her muss man ein Feeling haben, auf die Leute zugehen und offen sein. Das habe ich vorher in der Gastronomie gelernt, und auch im Sportclub war ich immer irgendwo im Leben drin. So ist auch der Markt: Leben pur.

Wie läuft bei Ihnen ein Samstag ab?

Freitagnachmittag kontrolliere ich den Platz, ob er benutzbar ist. Es ist schon passiert, dass eine halbe Straße aufgerissen war, um Telefonkabel auszutauschen oder Ähnliches. Am Samstag stehe ich halb fünf auf, damit ich um sechs hier bin. Dann mache ich meine Kontrollrunde, schließe die Kästen für die Elektroanschlüsse auf und gucke, dass die Vertragshändler mit ihren Stammplätzen ordentlich rauffahren. Ich weise die Tageshändler ein, achte darauf, dass es vom Sortiment mit dem Nachbarn passt, also neben einem Fischstand kein Parfümstand steht, und überprüfe, ob sie eine Gewerbeerlaubnis haben. Und ich gucke, dass die sogenannte Marktgasse frei ist, durch die der Kunde läuft. Zwischen acht und zehn bereite ich schon den nächsten Markt vor und mache die Absprachen mit den Händlern. Von elf bis eins kassiere ich die Tageshändler ab, da eine Marktteilnahme entgeltpflichtig ist. Mein Dienst geht bis 16.30 Uhr, dann endet die Sondernutzungserlaubnis. Denn: Ist die Katze nicht im Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wenn jemand seinen Müll nicht richtig entsorgt, mache ich eine Notiz, und dann wird er angezählt.

Was kostet ein Stand?

Das ist gestaffelt und hängt vom Sortiment ab. Ein durchschnittlicher Händlerplatz, sechs Meter lang und drei Meter tief, kostet je nach Stromverbrauch zwischen 20 und 30 Euro.

Gibt es so etwas wie Platzhirsche?

Aus DDR-Zeiten ist kein Händler mehr da. Aber aus der Wendezeit gibt es noch ein paar. Klein, aber ganz erfolgreich ist Gurken-Krüger aus dem Spreewald. Oder auch die kleine Trödlerin, die Frau Mernitz, die ist schon seit 1992, 1993 da. Der Obst- und Gemüsestand, der Herr Pawlak, der fing mit einem Campingtisch von 80 mal 60 Zentimetern an und hat Champignons verkauft, weil er seine Arbeit im Kabelwerk Oberspree verloren hatte. Jetzt hat er 15 laufende Meter und einen funktionierenden Familienbetrieb. Wichtig ist für mich die Achtung vor der schweren Arbeit, das gilt gerade bei der Arbeit mit Obst und Gemüse. Oder zum Beispiel die Umlandbauern, die bereits freitagabends die Kräuter schneiden, damit die in der Frühe frisch sind, die haben auch einen langen Tag. Und natürlich gibt es unter den Tageshändlern auch Schlitzohren. Da muss man schon ein bisschen aufpassen.

Was machen denn die Schlitzohren?

Wir sagen immer, die kommen aus dem Winterschlaf, halten sich dann für die Größten und meinen, die anderen, die auch bei minus 10 Grad gestanden haben, rumkommandieren zu können. Wenn man sich länger kennt, kommt automatisch das "du". Aber wir haben versucht, da ein bisschen Distanz reinzubringen, damit nicht jeder Tageshändler meint, hier Halligalli machen zu können. Händler aus mehr als 20 Nationen treffen sich auf dem Markt. Da muss man einen gewissen Abstand halten, sonst kann man das nicht unter einen Hut bringen.

Gibt es Bestechungsversuche von Händlern, die unbedingt auf den Platz wollen?

Unterschwellig schon. Aber ich glaube, wir haben uns einen Ruf erarbeitet - gerade aus kommunalen Zeiten -, dass da nichts läuft. Wir sind ja nicht blind im Leben. Als Marktmeister muss ich Chef auf dem Platz sein. Lasse ich mich bestechen, bin ich irgendwann nicht mehr Chef. Meine Firma ist mir wichtiger als ein kurzfristiger Profit.

Erledigen Sie auch ihre Privateinkäufe samstags hier?

Das teile ich mir mit meiner Frau. Teils kauft sie bei uns in der Wohngegend ein - wir wohnen in Marzahn, aber dort gibt es nur Supermärkte. Deshalb kaufe ich Fisch, Obst und Gemüse, auch Käse hier.

Bekommen Sie Rabatt?

Die Ware ist zwar ausgepreist, aber ich kann nicht so schnell rechnen wie eine elektronische Waage. Ich kaufe natürlich dort ein, wo ich Vertrauen zum Händler habe, und der bestimmt den Preis.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden über den Alkoholkonsum und freilaufende Hunde auf dem Platz. Bekommen Sie davon etwas mit?

Der Markt am Sonnabend hat ein eigenes Leben. Es gibt ganz wenige Ausfälle durch Alkohol. Der Markt ist so verwurzelt, da gibt es keine Spannungen. Nur die Hundehaufen, die sind schon eine Belastung. Man kann die Hundebesitzer freundlich ansprechen, aber es ist ein Jammer. Der Kunde guckt nach oben ins Sortiment und sieht dann nicht, worein er tritt. Deshalb lassen wir unsere Marktreinigungsfirma Freitagabends speziell eine Runde machen nur für Hundekot. Dazu wären wir gar nicht verpflichtet. Wir zahlen ja Sondernutzungsentgelt und haben das Recht, einen Platz zu übernehmen, auf dem man Lebensmittel verkaufen kann. Aber was soll das Ordnungsamt machen? Es ist eine soziale Frage, wie weit die Hundebesitzer sich verantwortlich fühlen.

Wenn Sie ein Buch über den Boxhagener Platz schreiben würden, welchen Titel würde es tragen?

Im Laufe der Jahre habe ich so viel Kurioses erlebt, deshalb würde ich sagen: "Die Kuriosität des Alltäglichen."

Berichten Sie doch mal!

Wenn ich sonnabends am Morgen komme, versuche ich auch, darauf einzuwirken, dass die Händler nicht so einen Lärm machen. Da kam ich eines Tages im Winter und hörte so laute Geräusche über den ganzen Platz, dass ich dachte, was ist denn das bloß? Was muss der für eine Nacht gehabt haben?! Es hörte sich an wie in Australien. Ich spreche es bestimmt falsch aus?

Ein Didgeridoo?

Genau, und da lehnte ein Mensch an einer Steinmauer und spielte auf diesem Blasrohr. Oder die jungen Pärchen, die morgens um sechs aus den Kneipen rausstolpern! Ich sage es Ihnen, wie es war: Mitten auf der Straße begannen zwei Männer und eine Frau ihr sexuelles Liebesspiel. Ich habe ja auch viele türkische Händler hier, und die haben nicht schlecht gestaunt! Die drei wurden umringt von den Türken, und die haben im Rhythmus des Sexualbegattungsaktes geklatscht.

Aller guten Dinge sind drei. Haben Sie noch eine Kuriosität auf Lager?

Da war ein Eierverkäufer, ein abgedrehter Typ, aber er hatte seine Kunden. Die anderen Händler haben ihn immer ein bisschen gefoppt und ihn gefragt, ob er für 50 Mark nackend über den Markt laufen würde.

Und, ist er?

Er hat sich eine Schürze umgebunden. Aber hinten rum war er nackig und vorne rum, durch das Laufen, flatterte es. Während des Markbetriebes ist er einmal nackend mit der Schürze um den Platz gelaufen! Wenn die ihren Spaß haben, warum nicht?

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