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Montagsinterview: Der gute Grieche"Für mich war Kunst nie nur Kunst"

Eigentlich kam Kostas Papanastasiou nach Berlin, um Architekt zu werden. Stattdessen wurde er Wirt und Schauspieler. Mit einer "Hommage an Berlin" feiert er am kommenden Sonntag seine 55 Berliner Jahre.

Kostas Papanastasiou im Restaurant Terzo Mondo Bild: David Oliveira

taz: Herr Papanastasiou, mal ehrlich, wie gut kennen Sie sich in der griechischen Mythologie aus?

Kostas Papanastasiou: Die griechische Mythologie ist unendlich. Aber ich kenne mich ganz gut aus. Wirklich.

Dann testen wir Sie einmal: Was wäre heute Griechenland, wenn wer die Finger von der schönen Europa gelassen hätte?

Es war die ganz ausgezeichnete Idee von Zeus, das schöne Mädchen Europa auf die Insel Kreta zu bringen. Wenn er das nicht gemacht hätte, wären wir heute wahrscheinlich keine Europäer.

Hätte das nicht auch Vorteile, gerade derzeit, wo Griechenland so in der Kritik steht?

Das glaube ich nicht. Man darf Europa nicht nach der augenblicklichen Krise beurteilen, sondern danach, was es idealerweise ist: das Europa der Kulturen und der Solidarität. Statt des Streits müssen eine Lösung und eine Zukunft gefunden werden, damit wir wieder eine wichtige Rolle für die Welt spielen können.

Welche Rolle denn?

Europa war immer ein Kontinent der Dichter, der Philosophen und Wissenschaftler. Und Griechenland hat dazu seinen Beitrag geleistet. Von hier haben andere Völker viel mitgenommen und behalten, denken Sie an die Römer. Der mediterrane Raum hat seine Ideen über den Kontinent ausgebreitet. Damit kann Europa ein Beispiel geben für Afrika, Asien, Südamerika.

Kostas Papanastasiou

Kindheit: Geboren 1937 in Thessalien, Griechenland, als sechstes von sechs Kindern, besucht Kostas Papanastasiou als einer der Ersten im Dorf das Gymnasium in der Stadt. 1954 geht er zum Bauingenieur-Studium nach Wien und wechselt 1956 an die Technische Universität in Berlin.

Karriere: Neben dem Studium macht er 1959-60 eine Schauspielausbildung und nimmt im Selbstverlag die erste Schallplatte auf. Bis zum Zusammenbruch der griechischen Militärdiktatur 1974 ist er vor allem politisch engagiert - unter anderem gibt er Konzerte mit Liedern des bekannten Widerstandsdichters Mikis Theodorakis. Im Jahr 1972 eröffnet Papanastasiou sein Lokal "Terzo Mondo" in der Charlottenburger Grolmannstraße, das schnell zum Polit-Treff für alle möglichen linken Gruppen wird. 1975 steht er das erste Mal für einen Spielfilm vor der Kamera: Bernhard Wickis "Die Eroberung der Zitadelle". Es folgen zahlreiche Theater-, Film- und Fernsehauftritte, unter anderem spielt er mehr als zehn Jahre lang den griechischen Wirt Panaiotis Sarikakis in der ARD-Serie "Lindenstraße". 1987 veröffentlicht Ariola seine Schallplatte "Der Grieche in mir".

Konzert: Am 20. November spielt Papanastasiou im Kammermusiksaal der Philharmonie Lieder von Mikis Theodorakis - unter dem Titel "55 Jahre Kostas in Berlin. Eine Hommage an die Stadt".

Sieht es derzeit aber nicht so aus, dass Europa von Griechenland kaum noch etwas wissen will? In Griechenland selbst geht es um Jobs, um Pleiten, um die Zukunft.

Ja, es gibt große Probleme. Aber wie behandeln Deutschland oder Frankreich die Griechen? "Schmeißt die Griechen raus" oder "Die Pleitegriechen" stand irgendwo in der Zeitung. Frau Merkel wollte Griechenland das Wort in der EU verbieten, andere haben vorgeschlagen, dass Inseln verkauft werden sollen. Muss sich Athen das gefallen lassen? Trotzdem empfinde ich die derzeitige Krise nicht so dramatisch, wie andere sie beurteilen. Weder Griechenland noch Europa werden zusammenbrechen. Wir führen keine Kriege wie früher. Die Krise ist kein bösartiges Geschwür, man wird es wegheilen. Ich glaube, dass Europa sich aus dem finanziellen Konflikt retten wird und sich die Völker wieder den alten europäischen Zielen zuwenden werden. Wir dürfen in der Geschichte nicht zurückgehen.

Als Sie 1956 über Wien nach Berlin kamen, haben Sie da Ressentiments gegen Griechen wahrgenommen?

Es gab sie. Aber wissen Sie, dass das weltweit erste Goethe-Institut 1952 in Athen eröffnet wurde und dass der erste Auslandsbesuch den deutschen Bundespräsidenten nach Griechenland führte? Umgekehrt sind viele Studenten, darunter welche, die wie ich den Krieg erlebt haben, ohne Vorbehalte nach Deutschland gekommen.

Nach Ihrem Bauingenieurstudium haben Sie im Büro der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach angeheuert. Die war als Skandalarchitektin verschrien, die öffentliches Geld verbrannte. Wegen des Steglitzer Kreiselhochhauses mussten zwei Senatoren ihren Hut nehmen.

Ja, das war schon irre. Ich habe beim Bauvorhaben Kudamm-Karree mitgeplant. Ich, als 68er, gehe da hin, plane und mache die Bauleitung in einer Höhle des Kapitalismus. Das Büro hatte rund 200 Mitarbeiter, aber keinen Betriebsrat. Da entschieden wir uns, einen zu gründen - auch damit wir als kritische Betriebsratsmitglieder unkündbar wurden. Für mich als Ausländer galt diese gesetzliche Regelung aber nicht. Nach zwei Jahren bin ich rausgeflogen.

Also war Kressmann-Zschach schuld daran, dass Sie nicht Architekt geworden sind?

Ich bin es geworden. Ich habe mein Diplom gemacht und gebaut. Die Passage im Kudamm-Karree ist von mir.

Die wird jetzt abgerissen.

Aber nicht wegen meiner Planungen. Früher waren in der Passage noch schöne Treppenaufgänge und ein Wasserfall. Die gibt es heute nicht mehr. Das wurde abgetragen zugunsten der vielen kleinen Geschäfte.

Und wo landeten Sie? Jedenfalls nicht mehr am Reißbrett.

An der heutigen Universität der Künste bekam ich für kurze Zeit eine Vertretung als Lehrbeauftragter. Ein eigenes Architekturbüro gründen durfte ich nicht. Griechenland war ja nicht in der EU. Bis 1981 lief deshalb auch meine Kneipe hier, das Terzo Mondo, auf den Namen meiner Frau. Sie war die sogenannte Strohfrau.

Haben Sie deshalb umgesattelt? Weil es leichter war, als Schauspieler oder Sänger im Ausland zu arbeiten?

Klar. Die internationale Zusammenarbeit wäre zerstört, wenn man als Schauspieler nicht überall arbeiten und auftreten könnte. Mein erster Film war 1975 "Die Eroberung der Zitadelle" von Bernhard Wicki. Ich musste einen Gewerkschafter spielen. Ich wollte das erst nicht, denn Gewerkschafter waren für uns damals Verräter. Singen und tanzen sollte ich auch noch.

Aber noch vorher, 1967, als sich die Militärs in Griechenland an die Macht putschten, haben Sie von Berlin aus den Widerstand gegen die Junta organisiert. Wie sah das aus?

Wir organisierten wie überall auf der Welt zuerst Demonstrationen. Dann, noch in meiner Kressmann-Zeit, habe ich als Teilhaber eines Pubs die ganzen Einnahmen und Trinkgelder gesammelt und nach Griechenland geschickt.

Wer hat das Geld bekommen?

Unsere Gruppe unterstützte Familien und besonders Kinder, deren Eltern im Gefängnis saßen und die auf die Hilfe angewiesen waren. Den Erlös unserer Zeitschrift Vaterland bekamen griechische Oppositionelle. Wenn Flüchtlinge nach Berlin kamen, auch illegal, half ich denen oder besorgte ihnen eine Wohnung. Wir organisierten aber auch Fluchten und Rettungen über die Türkei und Ägypten bis nach Marokko und Frankreich.

War das gefährlich?

Es war sehr gefährlich.

Reichte der Arm der Junta bis nach Berlin?

Ich war ja bekannt, weil ich Lieder von Mikis Theodorakis sang. Sie müssen sich vorstellen: Wer damals in Griechenland Lieder von Theodorakis sang, und seien es nur Liebeslieder, der wanderte für fünf Jahre in den Knast. Diese Lieder waren verboten. Ich habe zwei oder drei Mal vor Auftritten an Universitäten ein Telegramm mit der Drohung erhalten: "Bevor du dein erstes Lied gesungen hast, bist du ein toter Mann." Sie sehen, es hat keiner geschossen. Aber als ich 1968 heiraten wollte, hat mir der Beamte in der griechischen Botschaft die benötigten Dokumente verweigert. Geheiratet habe ich trotzdem.

Sie haben sich sehr für die Freilassung des revolutionären Komponisten eingesetzt, den die Junta gefangen hielt. Bis heute spielen Sie seine Lieder. Was bedeutet Ihnen diese Musik?

Es ist eine sehr griechische Musik. In den meisten Liedern von Theodorakis steckt die ganze griechische Geschichte. Sie sind so kämpferisch, sie besingen, wie sich die Griechen immer wieder beugen müssen - und sie sind gleichzeitig sehr poetisch.

Hat Theodorakis Sie dazu inspiriert, selber zu singen, oder haben Sie das vorher schon gemacht?

Nein, ich war immer bescheiden. Ich war der Sechste in einer Familie mit sechs Kindern. Meine erste Gitarre hat mein Vater kaputt geschlagen. Aber ich habe ihn geliebt danach. Nicht, weil ich nicht spielen wollte, aber weil ich merkte, er konnte nicht mehr - vor lauter Sorge, er könne das Essen nicht auf den Tisch bringen. Es war kurz nach dem Bürgerkrieg, der nach dem Zweiten Weltkrieg kam. Es war Sommer, meine Mutter wollte, dass die Auberginen, Tomaten und Gurken gegossen werden, die Älteren waren nicht da. Und als mein Vater nach Hause kam, schrie meine Mutter ihn an, wegen all der Probleme mit den Hühnern, dem Essen, dem Waschen und so weiter - und ich habe geklimpert. Da nahm er die Gitarre und schlug sie an die Wand. Es hat mir wehgetan, aber ich habs verstanden.

Wann haben Sie wieder angefangen zu spielen?

In Berlin habe ich mir eine Gitarre gekauft und ein paar Akkorde geübt. Aus Einsamkeit. Als dann die Junta kam, war ich als einer der Ersten auf der Straße. Zu der Zeit habe ich eigentlich noch nicht gesungen, nur Gitarre gespielt in einer Gruppe. Aber damals sang kein Grieche Theodorakis - aus Angst, was passieren könnte, wenn er wieder zurück nach Griechenland fahren würde. So habe ich angefangen, gezwungenermaßen, hier zwei Lieder zu singen, dort zwei und so weiter. Theodorakis und ich waren in derselben Widerstandsorganisation - von einer linken Partei, ähnlich wie die Linken heute hier. 1970 kam er raus aus dem Gefängnis, ging ins Exil und wir haben uns wiedergetroffen - ich kannte ihn seit einem seiner Konzerte in Griechenland, 1964 war das. Später habe ich auch Konzerte für ihn organisiert.

Man könnte also sagen, dass Ihre künstlerische Arbeit immer auch etwas mit Politik zu tun hat: in der Musik mit Theodorakis, in der Schauspielerei mit Bernhard Wicki, einem ausgesprochen sozialkritischen Regisseur, aber auch in der ARD-Serie "Lindenstraße", wo Sie für Ihr Georgien-Hilfsprojekt warben.

Ja, für mich war die Kunst nie einfach nur Kunst. Deswegen habe ich auch keine Beziehung zur abstrakten Kunst, zu abstrakten Liedern. Ich kam auch mit der surrealen Poesie in Kontakt, aber das hat mich kalt gelassen. Die Politik war für mich aber nicht nur Theodorakis. Ich habe den Krieg erlebt und vor allem den Bürgerkrieg. Meine Familie war im Widerstand gegen die Nazis voll organisiert gewesen und wurde noch mehr verfolgt, als dann die Engländer wiederkamen. Da galt der Widerstand plötzlich als kommunistisch. Meine Eltern wurden verhaftet und verprügelt. Wir haben sie am Rande des Dorfes verletzt gefunden. Die anderen Leute gingen in die Berge und es kam zum Bürgerkrieg. Aber hätten meine Eltern das auch mitgemacht, wären einige von uns Geschwistern sicher umgekommen.

Wie kam es eigentlich, dass sich Ihr Engagement später auf Georgien verlagert hat?

Das war ein Zufall, wie so oft bei mir. Irgendwann nach dem Mauerfall lernte ich hier im Terzo Mondo einen Mann aus Ostberlin kennen. Eines Tages brachte er zwei hübsche Georgierinnen mit. Wir wurden Freunde. Als die Georgierinnen zurückgingen, luden sie mich ein, sie zu besuchen. Ich reiste herum und war sehr begeistert von diesem Land. Ein halbes Jahr später gab es in Tiflis das Desaster. Der demokratisch gewählte Präsident wurde abgesetzt, weil er ein Irrer war. Dann haben sie Krieg gemacht, die Leute hungerten. Wenn ich mit meinen Freunden telefonierte, sagten sie: Wir haben kein Brot mehr, kein Fleisch, auch keine Tabletten. Ich habe also hier Medikamente gesammelt. Diesen ersten Koffer hat in Tiflis das Gesundheitsministerium abgeholt. Das muss man sich einmal vorstellen: nur einen Koffer mit Medikamenten. Was für ein Mangel! Als ich zurückkam, machte ich dann eine richtige Kampagne und fuhr das nächste Mal mit einem ganzen Lkw. Dann mit zwei, drei Lkw, das waren abgelaufene Medikamente im Wert von zwei Millionen Dollar, die ich von der Pharmaindustrie bekommen habe. Diese humanitäre Geschichte habe ich 15 Jahre oder so gemacht.

Das Terzo Mondo, wo auch diese Geschichte anfing, ist ja nicht nur eine Adresse zum Essen und Trinken …

… es ist eine Begegnungsstätte. Deswegen habe ich es ja.

Und seit fast 40 Jahren eine Legende hier in der City West. Was hat sich verändert in dieser Zeit?

Es gibt nur noch wenige Polit-Treffs im Kiez. Wenn es einen gibt, dann nur im Terzo Mondo. Hier gibt es immer noch politische Gruppen, die sich treffen. Aber viele meiner Gäste sind weggezogen aufs Land oder bei Petrus oder zu alt.

Jüngere kommen nicht mehr zu Ihnen?

Doch, die kommen schon. Aber die haben ja eine ganz andere politische Struktur. Die Jugend, die hierher kommt, ist etwas politischer als die, die um die Ecke am Savignyplatz ausgeht. Aber engagiert ist sie nicht. Das ist das Problem für mich. Trotzdem: Die politische Atmosphäre und die Leute, die noch kommen, sind das, was mich daran hindert, den Laden abzugeben. Es gibt immer noch Energie hier drin - politisch, künstlerisch und privat.

Also langweilig wird es nicht, jeden Abend hier zu sitzen, zu erzählen oder zu singen?

Nein. Es ist jeden Abend irgendetwas, noch immer kommen interessante Leute.

Aber mit Ihnen wird das Terzo Mondo untergehen?

Ich denke schon. Mein Sohn ist auch Künstler, aber er wird das wohl nicht so kombinieren: Terzo Mondo und Kunst. Es würde mich freuen, wenn er so eine Wurzel behält. Das würde ihn zwingen, irgendwie auch politisch zu sein. Aber diese Diskussion haben wir noch nicht geführt.

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