Montags-Interview mit Günter Faltin: "Sparsamkeit ist etwas sehr Zeitgemäßes"
Ökonomie darf man nicht den Ökonomen überlassen, sagt Günter Faltin. Der Wirtschaftprofessor hat mit seiner Teekampagne gezeigt, dass Kreativität wichtiger ist als Kapital. Jetzt arbeitet er mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zusammen.
taz: Herr Faltin, trinken Sie zum Frühstück Kaffee oder Tee?
Günter Faltin: Kaffee, eindeutig Kaffee. Tee trinke ich erst am Nachmittag.
Haben Sie eher Möbel von Ikea oder vom Schreiner?
Teekisten. Ich habe in meiner Wohnung eine Teekistenarchitektur. Ich mag Teekisten. Sie sind auch sehr praktisch.
Der Ikea-Erfinder Ingvar Kamprad hat den Möbelmarkt revolutioniert. Sie haben mit der Teekampagne …
… Kamprad hat Möbel völlig neu gedacht: So, dass man, ohne Schreiner zu sein, sie selbst leicht zu Hause zusammensetzen kann. Sie mussten leicht transportabel und preiswerter sein als die konventionellen Möbel. Und schön aussehen sollten sie obendrein. Das war Kamprads Leistung. Das ist "Entrepreneurship at its best".
Können Sie in einem Satz sagen, was ein Entrepreneur ist?
Das ist jemand, der Neues denkt und dieses Neue mit unternehmerischen Mitteln in die Welt bringt.
Was unterscheidet den Entrepreneur vom Unternehmer?
Im Begriff Unternehmer schwingen drei Funktionen mit: Der Eigentümer, der Manager und der Entrepreneur, wenn er wirklich etwas Neues, Besseres in die Welt bringt. Oft ist der Unternehmer aber nur Eigentümer und Manager. In diesem Kontext sehe ich Entrepreneurship als Chance, als Gegenmodell gegen das, was uns die Verwalter von Konzernen als Ökonomie vorführen.
Dann steht nicht der Eigentümer einer Firma, sondern der kreative Mensch im Vordergrund?
Wenn es um Entrepreneurship geht, ja. Gerade der Bereich der Wirtschaft ist nicht ein Feld, in dem alle Ideen schon gedacht und umgesetzt wurden. Es ist - und ich darf das als Ökonom sagen - ein eher ideenarmes Feld, in dem vieles verbesserungsfähig ist, von unseren Alltagsprodukten angefangen bis hin zu den großen Themen von Verkehr, Umwelt, Gesundheit. Heute sind die aussichtsreichsten Entrepreneure die, die sich auch im kulturell-kreativen Feld bewegen. Die ein Gespür haben für gesellschaftliche Veränderung. Die für ein Anliegen eintreten. Die mit ökonomischer, ökologischer oder sozialer Fantasie Probleme lösen. Heute sind Konzepte ausschlaggebender als der Zugriff auf Kapital. Kopf schlägt Kapital.
Aber ohne Geld geht es auch nicht.
Heute kann man schon mit 5.000 Euro, manchmal sogar weniger, eine Firma gründen. Sie können Kapital sparen, weil Sie Komponenten nutzen können, die Sie nicht selbst besitzen müssen. Nehmen Sie als Beispiel die Ratiodrink AG.
Ratiodrink ist eine Firma, die Saftkonzentrat verkauft. Auf welcher Idee beruht sie?
Wenn Sie beispielsweise Apfelsaft kaufen, dann ist er in 90 Prozent der Fälle aus Konzentrat hergestellt, dem die Abfüller Wasser zugeben. Das können Sie auch selbst. Sie kaufen nur das Konzentrat und mischen Wasser aus der Leitung dazu. Sie sparen die Schlepperei, die Verpackung, die Kosten des Abfüllers und den Transport von Wasser. Wir arbeiten mit professionellen Partnern und effizienten Betriebsgrößen. Ratiodrink stellt weder das Konzentrat selbst her, noch füllen wir selber ab. Auch den Versand macht ein Dienstleister, ebenso wie die Buchhaltung. Wir haben von Anfang an nichts im eigenen Haus aufgebaut.
Effizienzdenken stand schon 1985 bei der Teekampagne im Vordergrund. Da haben Sie auf Zwischenhändler, Produktvielfalt und Kleinverpackungen verzichtet, um die Preise zu senken. Im linksalternativen Spektrum gehörte es bald zum guten Ton, Ihren Tee zu kaufen. Der galt als irgendwie bio, Dritte Welt, sozial. Heute ist die Teekampagne kein stehender Begriff mehr, nicht einmal bei uns in der Redaktion.
Das liegt an Ihnen, nicht an uns. Vielleicht aber auch daran, dass wir heute weniger Werbung betreiben müssen als zu Beginn. Wir haben mittlerweile fast 200.000 treue Kunden, trotzdem nimmt man die Teekampagne kaum in der Öffentlichkeit wahr. Wir sind heute auf allen den von Ihnen genannten Gebieten besser als in der Anfangszeit. Heute finden wir sehr viel weniger Chemierückstände im Darjeelingtee als zu Beginn. Das geht auf unseren Einfluss und unsere Kontrollen zurück. Ab 2009 können wir ausschließlich Biotee beziehen. Auch unser Preis-Leistungs-Verhältnis ist heute wesentlich besser als damals. Und wir tun heute mehr für die Dritte Welt.
Was tun Sie da genau?
Die Leute bekommen mehr für ihren Tee …
… mehr als früher oder mehr als bei einem anderen Händler?
Beides. Durch unsere Aktivitäten sind die Preise für Darjeeling gestiegen, während Sie für fast alle Tees auf der Welt gefallen sind. Und wir zahlen auch mehr als andere Teehändler für vergleichbaren Tee. Außerdem kämpfen wir gegen die Verfälschung des Darjeelingtees. Der Tea Board of India schätzt, dass viermal so viel Darjeelingtee verkauft wie in Darjeeling geerntet wird. Wir waren 2005 die Ersten, die ein verschärftes Lizenzabkommen unterschrieben haben, gegen das sich der deutsche Teehandel vehement gewehrt hat, weil man dafür die eigenen Bücher aufdecken muss. Das war ein Dammbruch. Wir sind transparenter als früher. Heute kann der Kunde jede Teepackung bis zum Ursprung in der Plantage zurückverfolgen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, das Dritte-Welt-Image habe der Teekampagne sogar geschadet. Warum?
Der Hilfsaspekt für die Dritte Welt ist ein wichtiger Teil der Identität der Teekampagne. Aber es ist nicht der Hauptaspekt. Wir sind nicht als Entwicklungsprojekt angetreten. Wir wollten zeigen, dass man im Konzert der Großen mitspielen kann. Dass wir nicht auf einen Systemwechsel warten müssen, sondern mit Erfolg konkurrieren können, ohne unsere Prinzipien aufzugeben. Heute sind wir der weltweit größte Einkäufer von Darjeelingtee, noch vor Unternehmen wie Unilever oder Lipton. Dieser Aspekt passt natürlich manchem im linksalternativen Spektrum nicht recht ins Weltbild. Das Dritte-Welt-Image hat uns eher geschadet, weil unser Hauptvorteil, die bessere Qualität und der trotzdem niedrige Preis, erst langsam wahrgenommen wurden.
Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie persönlich lieber Kaffee als Tee trinken. Muss man als Gründer nicht Experte auf seinem Geschäftsfeld sein?
Ich habe damals von Tee nicht viel verstanden. Heute würde ich sagen, dass das ein Vorteil war. Es gab die Chance, aus einer Unbefangenheit heraus Dinge anders zu sehen. Inzwischen rate ich das auch Studenten. Nicht gleich die einschlägige Literatur zu lesen, sondern den Kopf frei zu machen von herkömmlichen Sichtweisen. Die Funktionen analysieren, statt den Konventionen viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Haben Sie etwas gegen Konventionen, weil Sie in Ihrer Kindheit in den 50er-Jahren in Bamberg davon mehr als genug um sich herum hatten?
Das kann gut sein. Wir Kinder fanden diese Erwachsenenwelt sehr skurril. Ich dachte immer, auf dem Weg zum Erwachsensein muss etwas ganz Schlimmes passieren, dass die Menschen so bescheuert werden.
Und woher kommt dieses Unternehmerische bei Ihnen? War Ihr Vater Unternehmer?
Nein, aber meine Mutter war im Verbraucherschutz aktiv. Sie ist in den 50er-Jahren eingetreten für Preisvergleiche, in der Bamberger Tageszeitung.
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Unternehmen?
Ich habe als Kind Bilder gemalt. Eltern, Verwandte, Freunde mussten sie kaufen. Es gab immer Streit, ob das Bild ein oder zwei Pfennige kosten darf.
Was haben Sie mit Ihren Einnahmen gemacht?
Die habe ich gespart.
Sind Sie heute noch sparsam?
Ich fahre kein teures Auto, ich lebe mit Teekisten, ich habe ungefähr 50 von diesen hellen, preiswerten Hosen, die ich hier anhabe. Sparsamkeit ist eine Tugend. Sparsamkeit ist auch etwas sehr Zeitgemäßes. Ich habe mit vielem gebrochen in meinem Elternhaus, aber nicht mit der Sparsamkeit.
Dann haben Sie ihre ersten Einnahmen sicherlich angelegt?
Ja. Ich hab mit 14 meine erste Aktie gekauft, eine Mannesmann-Aktie.
Apropos Aktien: Haben Sie in Zeiten der weltweiten Finanzkrise die Hoffnung, dass jetzt andere, bedächtigere Wirtschaftsmodelle zum Tragen kommen?
Das, was jetzt zusammenbricht, ist eine Art von Ökonomie, mit künstlichen Finanzprodukten, die niemand mehr versteht und die auch niemand braucht. Ihr müssen wir nicht nachtrauern. Es ist die Chance, sich auf die Aufgabe von Ökonomie zurückbesinnen. Mit anderen Trägern als denen, die jetzt abstürzen.
Sie arbeiten mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zusammen. Der vergibt in Bangladesch Kleinkredite an sehr einfache Frauen auf dem Land, damit die ein Kleinunternehmen aufbauen können. Ließe sich das auf Deutschland übertragen?
Wenn es möglich ist, unter den extrem schwierigen Voraussetzungen von Bangladesch erfolgreich Entrepreneurship in Gang zu bringen, dann muss dies auch in Deutschland für viel mehr Menschen möglich sein. Aber bei uns genügt es nicht, eine Kuh oder ein paar Hühner zu halten.
Hätten Sie eine Idee?
Nehmen Sie irgendein gutes Produkt und machen Sie es preiswerter. Wie lange wollen wir uns noch gefallen lassen, dass wir für Produkte, von denen wir genau wissen, dass sie nur wenige Cents in der Herstellung kosten, hohe Preise bezahlen müssen? Teuer sind Produkte nicht wegen der Herstellungskosten. Sondern wegen des aufwändigen Marketings und Vertriebs. Hier brauchen wir intelligentere Lösungen. Nicht die Verdummung moderner Konsumwelten.
Zusammen mit Muhammad Yunus haben Sie das Grameen Creative Lab gegründet. Was soll das bewirken?
Die Grundidee ist, hier Know-how zu sammeln, das man in Ländern wie Bangladesch anwenden kann. Als Erstes arbeiten wir an einem einfachen, robusten Antrieb, den man sowohl für eine Bewässerungspumpe, für eine Rikscha, als auch für ein Boot während des Monsuns einsetzen kann. Er muss also flexibel und einfach zu wechseln und zu installieren sein. Er soll ohne fossile Brennstoffe auskommen und in dem jeweiligen Land von heimischen Arbeitskräften und Firmen gebaut werden können.
Wie ist die Resonanz?
Unternehmen wie VW und BMW haben zugesagt, an dieser Arbeit teilzunehmen. Eine erste Sitzung fand bereits in Berlin statt.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht Entrepreneur sind?
Ich bin Entrepreneur Tag und Nacht. Andere haben Kinder, ich habe Ideenkinder und das macht unglaublich Spaß.
Haben Sie gar keine Zeit für was anderes?
Einem Künstler, der leidenschaftlich malt, tun Sie keinen Gefallen, wenn Sie ihn in Mallorca an den Strand setzen. Ich bedaure alle, die Urlaub brauchen. Das zeigt, dass sie was falsch machen mit ihrem Leben.
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