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Mohammad Rasoulof über seinen neuen Film„All diese Drehbücher halten mich am Leben“

Der Regisseur von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ floh vor der Repression des iranischen Regimes nach Deutschland. Ein Gespräch über die Arbeit unter totalitären Systemen.

Die Frauen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Foto: Alöamode
Interview von Julia Vladimirova

„The Seed of the Sacred Fig“ ist der jüngste Film des Regisseurs Mohammad Rasoulof. Darin verwendet er teils dokumentarische Elemente, um am Beispiel einer Familie von der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung in Iran zu erzählen und wie darüber der Zusammenhalt der Familie bedroht wird. Rasoulof zeigt dabei, wie das Mullah-Regime im Privaten wirkt und in der aktuellen Lage polarisiert. Das Gespräch führten wir im Rahmen der Verleihung des 37. Europäischen Filmpreises in Luzern, wo Rasoulof für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch nominiert war. Sein Film soll zudem für Deutschland ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film gehen.

taz: Herr Rasoulof, wie hat sich Ihr Leben seit Ihrer Flucht aus Iran im Mai kurz vor der Premiere Ihres Films „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ in Cannes entwickelt?

Mohammad Rasoulof: Es ging einfach alles zu schnell, um die Veränderungen wirklich zu verarbeiten. Mit dem Film bin ich in viele verschiedene Länder gereist und habe ihn dort dem Publikum gezeigt. Ich habe mich noch nicht ganz mit dem Exil abgefunden, weil ich einfach ständig unterwegs war. Ich glaube, ich brauche wirklich eine gewisse Zeit der Ruhe, bevor ich mich damit auseinandersetzen kann.

Im Interview: Mohammad Rasoulof

wurde 1973 in Schiras geboren. Er studierte Soziologie in Teheran. Sein erster Spielfilm „Gagooman“ wurde 2002 beim Festival in Teheran ausgezeichnet. Rasoulof erhielt in Iran mehrfach Berufsverbot und wurde zu Haftstrafen verurteilt. Für „Doch das Böse gibt es nicht“ gewann er 2020 den Goldenen Bären der Berlinale. Einer mehrjährigen Haftstrafe entzog er sich im Mai durch Flucht aus Iran während der Filmfestspiele von Cannes, wo „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ im Wettbewerb lief.

taz: Wie geht es den Menschen in Iran, wie ist das Leben für Ihre Schauspieler? Die Situation hat sich seitdem auch auf globaler Ebene verschlechtert. Was beunruhigt Sie am meisten?

Rasoulof: Natürlich bin ich berührt und traurig über die Zunahme der Gewalt in der Welt. Was meine Darsteller und meine Crew in Iran angeht, so ist die Lage besonders seit Mai sehr schwierig. Es sind viele seltsame Dinge in dem Land passiert, und das fiel mit der Geschichte des Films zusammen. Als bekannt wurde, dass „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ nach Cannes eingeladen ist, waren meine Darsteller und die Crew einem enormen Druck ausgesetzt. Sie wurden tagelang verhört und in vielerlei Hinsicht unter Druck gesetzt. Aber schließlich hatte das Land größere Probleme zu bewältigen. Wie Sie wissen, ist der Präsident bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Und er war stark für die Situation zwischen Iran und Israel verantwortlich, der Krieg ist eskaliert. Und ich finde es seltsam, dass das Regime trotz alledem immer noch die Zeit findet, über die Unterdrückung von Frauen und Künstlern nachzudenken.

taz: Ihr Film ist eine sehr persönliche Darstellung des politischen Lebens in Iran. Sie sprechen dabei nicht über Führungspersönlichkeiten, sondern lenken den Blick auf den Alltag einfacher Bürger, wie sich Menschen in einem Regime verhalten. Was interessiert Sie an diesen Fragen um persönliche Verantwortung?

Rasoulof: Was in Iran in Bezug auf die Frauenbewegung geschieht, ist nicht etwas, das erst in den letzten zwei Jahren geschehen ist. Es ist die Fortsetzung, eine neue Stufe im Kampf für die Rechte der Frauen in Iran, der vor vielen Jahrzehnten begonnen hat. Und ich bin sicher, dass weitere Ringe in dieser Kette folgen werden. Was die persönliche Verantwortung angeht, das ist ein Thema, das ich in vielen meiner Filme untersucht habe. Es ist ein zentrales Thema für mich, zum Beispiel habe ich mich auch in meinem Film „Doch das Böse gibt es nicht“ damit befasst, der von Figuren handelt, die in Gefängnissen arbeiten. Diese sind konfrontiert mit Entscheidungen, bei denen sie mit Hinrichtungen zu tun haben, und müssen sich überlegen, wo sie stehen, wie sie damit umgehen. Und während es sehr wichtig ist, sich die persönliche Verantwortung bewusst zu machen, müssen wir uns auch anschauen, was Systeme den Menschen antun, wenn sie einen mit ihren Anforderungen nachgerade ertränken. Selbstverständlich sind manche Menschen vielleicht stärker und wehren sich mehr, aber wir müssen trotzdem im Blick haben, wie Systeme die Menschen zwingen, Entscheidungen zu treffen. Und ich denke, dass die Islamische Republik eine große Rolle spielt, sowohl im Inland, wo sie die Menschen unterdrückt und ihnen alle möglichen Probleme bereitet, als auch auf internationaler Ebene, wo sie sich in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt, den Terrorismus stärkt und alle möglichen Verwüstungen anrichtet. Die Islamische Republik ist ein skrupelloses Gebilde. Sie macht, was sie will, das Regime entführt Menschen und begeht allerlei Gewalttaten. Das ist eine Tatsache, mit der ich mich aber nicht weiter beschäftige. Ich versuche, mich auf das zu konzentrieren, was ich in der Hand habe, was ich kontrollieren kann. Das ist, was ich tun kann, meine Arbeit.

taz: Der Regisseur Jean-Luc Godard sagte, Kino sei immer politisch. Glauben Sie daran, dass das Kino ein wirksamer Akt des Widerstands ist?

Rasoulof: Ich denke, besonders in der Welt, in der wir heute leben, ist alles politisch. So ist zum Beispiel die Entscheidung, nicht darüber nachzudenken, oder sogar die Entscheidung, politischen Fragen gegenüber gleichgültig zu sein und sie somit den Machthabern zu überlassen, ein politischer Akt. Das heißt aber nicht, dass ich denke, dass alle Filme politische Themen behandeln oder Ideen zu Politik verbreiten sollten. Ich denke, Künstler, auch Filmemacher, sollten ihre Ausdrucksmittel, ihre Fähigkeit, sich auszudrücken und ihre künstlerische Freiheit nutzen, um jedes Thema in der Welt auf jede Art und Weise anzugehen, die sie interessiert. Vor allem, wenn wir bedenken, dass die Politik nur eine Facette der Menschheit ist, eine Sache unter vielen. Um also Ihre Frage zu beantworten: Alles ist politisch, aber ich glaube nicht, dass alle Kunst politische Themen behandeln muss.

taz: Wie ist die Situation der jungen iranischen Filmemachergeneration im Moment? Welche Perspektiven sehen Sie für sie?

Rasoulof: Sie sind erstaunlich. Ich bin tief berührt von all diesen wunderbaren iranischen Filmemachern, die derzeit in Iran unter allerhand Repressionen, trotz Finsternis und Unterdrückung Filme machen. Das unabhängige Filmschaffen nimmt viele verschiedene Formen an, es bedeutet nicht unbedingt, dass man Filme im Untergrund macht. Es gibt sogar sehr gute Filmemacher, die immer noch versuchen, innerhalb des offiziellen iranischen Kinos zu arbeiten. Die Zensur wird von Tag zu Tag schlimmer, und selbst dann versuchen einige immer noch, Filme zu machen, die sich an die Zensur halten, ohne sich ihr zu unterwerfen, sondern Wege finden, sie zu umgehen, sie zu unterwandern. Ich bin sehr beeindruckt von diesen Filmemachern.

taz: Ich erinnere mich, dass der Regisseur Jiri Menzel, eine Legende der tschechoslowakischen Neuen Welle, mir vor Jahren sagte, dass Zensur inspirierend sein kann, weil man nach einem Weg sucht, das System zu umgehen, und man als Künstler viel kreativer ist.

Rasoulof: Ich empfehle Beschränkungen keinesfalls und halte sie auch für keine gute Sache, selbst wenn sie zu Kreativität führen. Umgekehrt denke ich, wenn man mit Zensur konfrontiert wird, ist die beste Antwort kreativ zu werden.

taz: Haben Sie in der jetzigen Situation Zeit und Kraft, über neue Projekte nachzudenken? Woran arbeiten Sie im Moment?

Rasoulof: Als ich das letzte Mal in Iran war, durfte ich das Land sieben Jahre lang nicht verlassen und hatte auch ein Arbeitsverbot. Ich habe es nur geschafft, zwei Filme zu drehen, aber ich habe eine Menge Drehbücher geschrieben und mitgebracht. Es gibt drei oder vier, die im Grunde schon fertig sind. Eines davon hat mit einem iranischen Dramatiker zu tun, der vor etwa 60 Jahren geschrieben hat. Ich hänge sehr daran, es wird ein Animationsfilm sein. Ein anderes wird wahrscheinlich eine Miniserie werden, auf die ich ebenfalls sehr gespannt bin. Es gibt noch ein weiteres Drehbuch, das ich im Moment schreibe und entwickle, meistens wenn ich im Flugzeug sitze. All diese Drehbücher halten mich am Leben und geben mir etwas, auf das ich mich freuen kann.

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“

Regie: Mohammad Rasoulof. Mit Misagh Zare, Soheila Golestani u. a. Deutschland/Frankreich/Iran, 2024, 167 Min.

Ab 26. 12. im Kino

taz: Wie sehr entspricht die Energie und Kraft der jungen Frauengeneration in Iran, wie Sie sie im Film präsentieren, der Realität?

Rasoulof: Die Antwort darauf sehen Sie in den Clips, in den dokumentarischen Aufnahmen, die wir im Film zeigen. Diese jungen Menschen sind es, die mich beeindrucken, beeinflussen und beeindrucken, nicht umgekehrt.

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