Möglicher Kretschmann-Nachfolger: Die grüne „Büroklammer“
Wer könnte den grünen Erfolg in Südwest fortführen, wenn Ministerpräsident Kretschmann einmal aufhört? Der 41-jährige Andreas Schwarz hat Ambitionen.
Bei der Gelegenheit gibt Kretschmann noch der CDU eins mit: Dass Nachfolgeregelungen in einer Partei nicht funktionieren, habe man ja zuletzt bei Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer gesehen.
Das mag auch eine Lehre aus der politischen Entwicklung von Boris Palmer sein. Der Oberbürgermeister von Tübingen galt lange als politischer Ziehsohn von Winfried Kretschmann, hat sich aber nach der Flüchtlingspolitik auch jetzt in der Coronakrise auf Kosten der Landesregierung profiliert und gilt nach Äußerungen zu Flüchtlingen und People of Colour in der Partei längst als unvermittelbar.
Dass sich Kretschmann nicht um seine Nachfolge sorgte, ist allerdings höchstens die halbe Wahrheit. Denn die Frage danach begleitet ihn seit seinem Amtsantritt 2011. Schon am Tag danach hatten die Journalisten wissen wollen, wer ihm in der Partei nachfolgen könne.
Andreas… wer?
Über die Jahre hat er immer wieder verschiedene Namen ins Spiel gebracht. Die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer etwa, die sich fachlich in der ersten Amtszeit bundesweite Achtung erworben hat, allerdings mit mehreren Personalquerelen an Hochschulen als angeschlagen gilt.
Dann lobte er Edith Sitzmann, die zuletzt als Finanzministerin beachtliche Arbeit geleistet hat, sich jetzt aber aus der Politik zurückzieht. Und dann geistert auch immer wieder Cem Özdemirs Name als Kandidat für die Nachfolge herum, der allerdings wenig Interesse für Landespolitik zeigt.
Seit etwa einem Jahr fällt bei der Nachfolgefrage immer wieder der Name des gerade mal 41-jährigen grünen Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz. Befeuert von Kretschmann selbst. Die meisten Ministerpräsidenten seien ja immerhin davor Fraktionschefs gewesen, erklärt Kretschmann. Und Schwarz habe seinen Job die letzten fünf Jahre hervorragend gemacht.
Andreas… wer? Die Frage dürften sich viele Grünen-Mitglieder gestellt haben, als sie den Fraktionschef beim Sindelfinger Parteitag 2019 nichtmal ins Parteipräsidium wählten. Schwarz hat eine kurze aber steile Karriere hinter sich. Schon als 18-Jähriger wurde er als jüngster Kandidat 1999 in den Stadtrat seiner Heimatgemeinde Kirchheim Teck gewählt und mit 36 als Jüngster aus dem Rat verabschiedet. Daneben studierte er Jura und arbeitete als Wirtschaftsjurist und Arbeitsrechtler bei Unternehmen.
Bürgerlich und trocken
Keine Friedensdemos, keine Baumbesetzungen. Damit hat Andreas Schwarz einen noch bürgerlicheren Lebenslauf als Winfried Kretschmann, der sich in seiner Jugend wenigstens mal in eine K-Gruppe verlaufen hatte.
Und dieses Grün-Bürgerliche strahlt der Familienvater Schwarz auch aus. Er gilt in seiner Fraktion als umgänglich, aber politisch wenig profiliert. Aus seinen Reden streiche er alle Pointen, die seine Mitarbeiter setzen, wieder raus, heißt es.
Und auch bei Leuten, die ihn lange kennen und schätzen, fällt der Begriff „trockene Sachlichkeit“ und „Büroklammer“, wenn sie ihn charakterisieren sollen. Er sei ein Freund von rationalem Denken, wolle versöhnen. Vom Auftreten eines Joschka Fischer oder Herbert Wehner ist er weit entfernt.
Kretschmann, der nicht viel von Charismatikern in der Politik hält, dürfte all das eher als Qualitätsmerkmal sehen. Und er schätzt, dass Schwarz fünf Jahre lang die Koalition mit der CDU stabilisiert und die recht heterogene Grünen-Fraktion hinter dem Ministerpräsidenten zusammengehalten hat. Ob das reicht?
Viel hängt an Kretschmanns Person
Andreas Schwarz findet, schon. Kretschmann habe recht, „ohne den Fraktionsvorsitzenden gehe nix“, sagt er im Gespräch mit der taz betont selbstbewusst. Und der FAZ sagte er, „Ich werde auch in der nächsten Legislaturperiode eine sehr verantwortungsvolle Rolle einnehmen, davon können Sie ausgehen.“
Wie Kretschmann will Schwarz seine Partei dauerhaft aus ihrer bisherigen Nische holen, sieht sie als „Vollsortimenter“, der beim Flüchtlingshelferkreis genauso gern gesehen wird wie beim Handwerkstag. Die Grünen, nicht mehr die CDU, seien die „neue Baden-Württemberg-Partei“, sagt Schwarz.
Ob dieses Programm auch ohne Kretschmann überzeugt, ist aber noch offen. Wie viel doch an Kretschmanns Person hängt, zeigt der Vergleich der Wahlergebnisse der Grünen bei Land- und Bundestagswahl.
In vielen Gegenden, in denen die Wähler in den letzten beiden Landtagswahlen Kretschmann wählten, verhalfen sie bei der Bundestagswahl trotzdem dem CDU-Kandidaten zum Mandat. Ob sich das inzwischen geändert hat, wird man im Herbst sehen.
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