: Modell Kasachstan
Riester will die private Vorsorge fördern. Eine solche Rentenreform ist bedrohlicher Unfug. Denn kollektives Sparen gefährdet kurzfristig Investitionen und Arbeitsplätze – und langfristig die Renten
von HEINER FLASSBECK
Kasachstan hat ein modernes Rentensystem. Kasachstan setzt auf Kapitaldeckung. Zahlten vor zwei Jahren die Arbeitnehmer noch 20 Prozent ihrer Einkommen an den Staat, der davon wiederum die Renten finanzierte, hat man nun unter Anleitung der Weltbank das System „modernisiert“. Nur noch zehn Prozent führt der kasachische Arbeitnehmer an den Staat ab, zehn Prozent aber zahlt er in einen Fonds, der das Geld investieren und später daraus die Renten speisen soll. Nun muss allerdings der kasachische Staat, solange noch Menschen leben, die nichts in die Fonds eingezahlt haben, mit der Hälfte der Beiträge die volle Rente bezahlen. Also geht der Staat zum Kapitalmarkt und verschuldet sich zusätzlich. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Was machen die Fonds mit dem Geld, das ihnen neu zufließt? Die tragen es natürlich zum Kapitalmarkt, wo der Staat wartet und es wieder aufnimmt. Woher sonst soll er die zehn Prozent bekommen? Am Ende hat der Staat wieder seine 20 Prozent, mit denen er die Rente bezahlen kann. Nur muss der Steuerzahler jetzt Zinsen für zehn Prozent zahlen – und die Fonds, darunter einer der Deutschen Bank, kassieren ein Prozent der Einzahlungen der darbenden kasachischen Arbeitnehmer als Bearbeitungsgebühr dafür, dass sie das Geld eingesammelt und dem Staat wiedergegeben haben.
Das ist moderne Wirtschaftspolitik in Reinkultur: Es hat sich in der Substanz nichts geändert, aber es sieht jetzt alles viel besser aus. Die Arbeitnehmer treiben scheinbar Eigenvorsorge, statt in der staatlichen Hängematte zu liegen; der Kapitalmarkt ist an der Verteilung des Kapitals beteiligt; die Banken verdienen, und der Staat ist auf dem Rückzug. Kasachstan – ein Modell für Deutschland? Nein, wir sind noch moderner. Herr Riester hat gerade eine Rentenreform ausgebrütet, bei der sich der Staat nicht höher verschuldet und durch vermehrtes privates Sparen dennoch der Einstieg in die Kapitaldeckung gelingt. Das ist der Trick bei der Sache. Kasachstan zeigt uns die Logik eines Systemwechsels bei unverändertem Rentenniveau. In Deutschland aber wird das Rentenniveau gesenkt.
Bei der deutschen Rentenreform geht es nämlich um Demografie. In den nächsten Jahrzehnten werden weniger Junge für mehr Alte aufkommen müssen, wenn es keine Zuwanderung, mehr Geburten oder längere Lebensarbeitszeiten gibt. Das bedeutet nach dem heutigen Umlageverfahren, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer dann 13 Prozent seines Einkommens für Rentenbeiträge aufwenden müsste im Vergleich zu fast zehn Prozent heute oder den elf Prozent, die ihm auch Herr Riester zumutet. Das ist offenbar die Katastrophe, die die Regierung verhindern will. Der durchschnittliche Arbeitnehmer, der heute 4.000 Mark brutto im Monat hat, wird im Jahre 2030, wenn die deutsche Wirtschaft nur mit zwei Prozent real wächst, etwa 7.200 Mark – zu heutigen Preisen – verdienen. Bei elf Prozent Rentenbeitrag verbleiben ihm für alles Übrige 6.100 Mark, bei 13 Prozent noch 5.900 Mark im Monat. Woran gemessen wäre Letzteres eine Katastrophe? Könnten die deutschen Unternehmen bei doppelter Produktivität und verdoppelten Gewinnen die fehlenden zwei Prozent nicht ohne weiteres tragen?
Nein, sagt Herr Riester, die Lohnnebenkosten dürfen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber insgesamt auf keinen Fall über 22 Prozent steigen – deswegen müssen die Renten sinken. Wer eine unveränderte Rente im Vergleich zum Einkommen haben will, muss privat vorsorgen. Also bieten wir ihm an, die vier Prozent, die zwischen 22 und 26 Prozent fehlen – steuerlich gefördert – freiwillig anzusparen, und schließen die Arbeitgeber von vorneherein von der Zahlung aus. Da wird die moderne Wirtschaftspolitik noch mehr als in Kasachstan zum gefährlichen Unfug. Anders als von der Regierung behauptet, sind die Lohnnebenkosten in Deutschland für die Unternehmen nicht zu hoch. Im Gegenteil. Seit zwanzig Jahren sind hier die gesamten realen Lohnkosten weit hinter der Produktivität zurückgeblieben. Seit 1980 addiert sich dieser Effekt auf über 20 Prozent – mehr als in allen anderen großen Volkswirtschaften der Welt. Wenn aber die gesamten Arbeitskosten nicht zu hoch sein können, kann – logischerweise – auch kein Teil derselben in irgendeinem ernsthaften Sinne für die Arbeitgeber zu hoch sein.
Die Arbeitnehmer aber sollen nach Riester ihre Lohnnebenkosten für die Rente auf 15 Prozent erhöhen. Ansparen für eine private Rente ist nämlich Konsumverzicht genau wie ein höherer Beitrag beim heutigen System.
Dennoch sind die Unterschiede zwischen beiden Systemen enorm: Würde das derzeit praktizierte Umlagesystem fortgesetzt, müssten die Arbeitnehmer erst in 30 Jahren auf etwas mehr Konsum verzichten – von ihrem dann allerdings wesentlich höheren Einkommen.
So würden sie dann helfen, die Zusage des Staates einzulösen, auch den jetzt arbeitenden Menschen eine angemessene Rente zu zahlen. Dafür könnten aber die heutigen Arbeitnehmer mehr von ihrem Einkommen konsumieren, als bei Riester vorgesehen. Dies würde jetzt unmittelbar auch den Unternehmen zugute kommen, die Güter produzieren und investieren.
Bei Riesters Kapitaldeckung hingegen soll der Arbeitnehmer schon in der Gegenwart auf Konsum verzichten, um dafür in 30 Jahren eine gleich hohe Rente zu erhalten. Er gibt daher sein Geld einer Bank oder einem Fonds. Was aber geschieht dann? Der Fonds leiht das Geld einem anonymen Schuldner. Der investiert das Geld sofort in Sachanlagen und verspricht, in Zukunft Zinsen zu zahlen. Nur – und das ist der Knackpunkt –, der Investor muss auch heute Gewinne machen, will er überleben und soll er später Zinsen zahlen können. Versucht eine große Gruppe der Volkswirtschaft heute jedoch, mehr zu sparen als vorher, sinkt also der Konsum, sinkt auch die Chance unseres Investors, Profit zu machen.
Riesters Kapitaldeckung behindert folglich die einzige Form des „Sparens“, die es für eine Volkswirtschaft gibt, nämlich das Investieren in Sachkapital. Gelingt Riesters Plan und steigt die Sparquote der Arbeitnehmer, sinken die Gewinne der Unternehmen, also deren „Sparen“. Das kostet unmittelbar Investitionen und Arbeitsplätze. Bleibt dagegen die Sparquote der Arbeitnehmer konstant, subventioniert man mit den staatlichen Hilfen lediglich einen Teil des bisherigen Sparens. Eine größere Vorsorge gibt es dann nicht einmal der Idee nach. Am Ende aber steht Altersarmut.
Mögen die Interessenvertreter der Banken und Versicherungen auch gebetsmühlenartig das Gegenteil verkünden, es bleibt eine unumstößliche Wahrheit, dass eine Volkswirtschaft als Ganzes nicht Geld ansparen kann. Sich dieser Einsicht beharrlich zu verschließen, mindert sogar unsere Chance, die künftige Rentenbelastung mit einem hohen Einkommen erträglich zu machen.
Hinweise:Das ist moderne Wirtschaftspolitik: In der Substanz nichts verändert, aber alles sieht besser ausDie Lohnnebenkosten sind für die Unternehmen nicht zu hoch – sondern relativ gesunken
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