Mitgliederzulauf in der SPD: Schulz-Hype ohne Martin Schulz
Die Euphorie zu Beginn des Wahlkampfs bescherte der SPD 10.000 neue Mitglieder. Nun ergibt eine Studie: Der Kandidat war eher nebensächlich.
Nun hat ein Forscherteam des Göttinger Instituts für Demokratieforschung mit diesen Neumitgliedern gesprochen und herausgefunden: Die Mehrzahl ist gar nicht in erster Linie wegen Schulz in die Partei eingetreten. Und: Sie wünscht sich eine linkere und sozialpolitisch engagiertere SPD.
In einem Aufsatz, der gerade in der Institutszeitschrift Indes erschienen ist, schreiben die ForscherInnen Martin Grund, Pauline Höhlich und Hannes Keune: „Zunächst einmal äußerten nur sehr wenige der Interviewten, dass Martin Schulz tatsächlich eine wesentliche Rolle bei ihrem Parteieintritt spielte.“
„Die Kandidatur von Schulz bedeutete für die meisten allenfalls eine Art letzte Initialzündung“, sagt der Politikwissenschaftler Martin Grund der taz. Entscheidender sei die allgemeine gesellschaftliche Stimmung um den Jahreswechsel 2016/17 herum gewesen, die den Schulz-Hype erst ermöglicht habe: „Trump war Präsident geworden, der Brexit war entschieden, der Rechtspopulismus erstarkte.“
Schulz als Projektionsfläche
Schulz als letzter Anstoß, als Projektionsfläche also. Ganz unwichtig war der Spitzenkandidat aber dennoch nicht: „Andererseits wäre eine Andrea Nahles vermutlich nicht in der Lage gewesen, die Sehnsucht nach Veränderung zu bedienen, die sich an den vermeintlich unverbrauchten Kandidaten Schulz heften konnte“, sagt Grund.
Wer alte Videos der ersten Schulz-Reden von Januar und Februar 2017 noch mal ansieht, dem fällt auf, wie vor allem junge ZuhörerInnen gebannt an Schulz' Lippen hingen. Die Stimmung, mit der sie dem Spitzenkandidaten andächtig und konzentriert zuhörten – egal was er gerade sagte –, erinnert an die selige Stimmung, wie sie auf Konzerten von Altstars wie Bob Dylan oder früher Leonard Cohen herrschte.
Das Forschertrio schreibt davon, dass viele Neumitglieder eine Neuausrichtung der SPD herbeisehnten. „Schulz schien diese zu verkörpern – und hat diese Interviewten wohl genau deswegen enttäuscht.“ An dieser Stelle sprechen sie den langen Niedergang der Euphorie ab dem Frühjahr 2017 an, als Schulz programmatisch zauderte und jenseits der Europapolitik profillos blieb.
Keine neuen Milieus erschlossen
Neue Milieus hat die SPD mit der Eintrittswelle nicht erschlossen. Die Älteren weisen laut Studie eine „klassische sozialdemokratische Sozialisierung in den 1970er und 1980er Jahren“ auf. Wenig schmeichelhaft ist das Urteil über die Jüngeren, die in der Mehrzahl aus SPD-Elternhäusern kommen: „Hier wählt man die SPD aus familiärer Konvention, ein wirkliches politisches Aha-Erlebnis mitsamt einer in den Tiefenschichten der eigenen Identität fest verwurzelten Entscheidung zugunsten der gegenwärtigen SPD findet sich hingegen nicht.“
Diffus ist die politische Ausrichtung der Neumitglieder. Sie wünschen sich zwar eine SPD als linke Volkspartei, allerdings bleibt unklar, was sie unter „links“ verstehen. Die Forscher stellen einerseits eine Sehnsucht nach dem alten bundesdeutschen Sozialstaat fest, andererseits heißt es: „Offen angegriffen werden die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze aber interessanterweise lediglich von wenigen Personen.“
Die Studie stützt sich auf so genannte leitfadengestützte Interviews mit 25 Neumitgliedern, die repräsentativ aus einem Pool von Angefragten herausgefiltert wurden. Gewonnen wurden diese durch Anfragen an SPD-Unterbezirke und durch Kontakte auf Neumitgliedertreffen.
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