Mitarbeiterin der Hurenorgansiation Hydra: "Sexarbeit ist eine Dienstleistung"
Ohne die Lobbyarbeit des Vereins Hydra wäre Sexarbeit heute immer noch illegal. Die erste Hurenorganisation Deutschlands wird 30 Jahre alt. Ein Grund zum Feiern – und für ein Interview.
taz: Frau Kellerhoff, ist Hydra immer schon so selbstbewusst mit dem Wort Hure umgegangen?
Simone Kellerhoff: Ja, aber heute haben wir uns politisch korrekt auf die Bezeichnung "Sexarbeiterin" geeinigt. So wird deutlich, dass es sich um eine Dienstleistung handelt, um Arbeit.
Was genau macht Hydra?
Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 21./22. August - ab Samstag zusammen mit der taz am Kiosk oder in Ihrem Briefkasten.
Auf der einen Seite sind wir eine professionelle Beratungsstelle. Auf der anderen Seite setzt sich der Verein politisch dafür ein, die Tätigkeit der Sexarbeiterinnen anderen Erwerbstätigen gleichzustellen. Wir versuchen, das Stigma aufzulösen, das an Prostitution hängt und das die Prostituierten auch selbst tradieren.
Warum geben die Prostituierten dieses Stigma weiter?
Weil sie ein Teil der Gesellschaft sind. Scham und Tabus bleiben, auch wenn Frauen als Sexarbeiterinnen arbeiten. Deshalb führen sie oft ein extremes Doppelleben.
Ist es demnach Ziel Ihrer Arbeit, dass eine Prostituierte, wird sie nach ihrem Beruf gefragt, stolz sagt: Ich bin Sexarbeiterin?
Das ist unsere Vision, aber zunächst ist unser Ziel, dass Prostituierte physisch und psychisch gesund bleiben. Dafür ist es wichtig, das Bewusstsein der Frauen zu stärken. Doppelleben heißt doch, dass man seriös auftritt, aber einer Tätigkeit nachgeht, die gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Frauen, die jahrelang eine gespaltene Existenz führen, sind sehr isoliert. Isolation macht krank. Wir wollen, dass die Frauen sich für ihre Arbeit nicht schämen müssen.
Was waren vor 30 Jahren die schlimmsten Probleme?
Die Frauen hatten keinerlei Rechte. Gewalt an Prostituierten konnte nicht angezeigt werden - Prostitution war verboten und hat sich im Dunkeln abgespielt, in einem Milieu mit hoher Kriminalität.
Was ist heute anders?
Die größte Errungenschaft der Hurenbewegung ist das Prostitutionsgesetz, das 2002 verabschiedet wurde. Prostituierte können seitdem in die Sozialversicherungssysteme einbezahlen. Sie können ihren Lohn einklagen, falls der Kunde ihn schuldig bleibt. Früher war Prostitution ein sittenwidriges Geschäft. Heute ist es eine Dienstleistung. Auch, dass es jetzt Bordellbetriebe geben darf, ist eine Errungenschaft. Früher nannten sich Bordelle nur Zimmervermietung. Der Vermieter durfte aber keine Kondome bereitstellen, keine Handtücher auslegen - dann war das nämlich Förderung von Prostitution und damit Zuhälterei.
Ist das Image der Prostituierten heute besser?
Mit dem Prostitutionsgesetz wurde die Stigmatisierung der Prostitution nicht abgeschafft. Sexarbeiterinnen werden entweder als Opfer von Dritten betrachtet - oder man nimmt an, dass sie als Kind missbraucht wurden. Als Opfer ökonomischer Zwänge hingegen werden sie selten wahrgenommen.
Was sind heute die größten Probleme?
Lohndumping und die wirtschaftliche Krise. Außerdem wird Prostitution ständig im selben Atemzug genannt mit Frauenhandel und Zwangsprostitution. Dabei hat sexuelle Ausbeutung nichts mit Sexarbeit an sich zu tun.
Lohndumping und verschärfte Konkurrenz macht die Frauen wieder verletzlicher. Sehen Sie das als Rückschritt?
Das Prostitutionsgesetz war der erste Schritt. Ein Problem sehen wir darin, dass das Gesetz beim Frauenministerium verankert ist, nicht beim Arbeitsministerium. Der nächste Schritt müsste sein, dass Sexarbeiterinnen Berufsgenossenschaften gründen können. Arbeits- und Hygienestandards müssen definiert, Bordelle zertifiziert werden.
Die Wirtschaftskrise führt dazu, dass immer mehr Frauen in der Prostitution arbeiten. Gibt es noch andere Entwicklungen, die damit einhergehen?
Es gibt neue Formen von Prostitution, neue Vermarktungsschienen. Ich bin sehr erschüttert über solche Angebote wie den Internetdienst "Hobbyhure".
Wie verändert sich der Anteil von Migrantinnen unter Sexarbeiterinnen?
Es gab schon immer einen hohen Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund. Früher waren es häufig Asiatinnen. Seit 2007 sind viele osteuropäische Frauen dazugekommen. In der Regel hatten die Frauen in ihren Ländern bereits Kontakt zur Prostitution. Sie kommen selbstbestimmt her, oft aus prekären Verhältnissen. Hier aber gibt es Sprachbarrieren, und sie kennen die arbeitsrechtliche Situation nicht: Dass sie sich selbstständig machen müssen, dass sie eine Krankenversicherung brauchen. So können sie leicht ausgebeutet werden. Das ist eine Riesenherausforderung für uns.
Ist die selbstbewusste Hure aus heutiger Sicht ein Mythos?
Es war und ist kein Mythos. Wir reden allerdings lieber von selbstbestimmt. Viele Frauen möchten aber lieber etwas anderes arbeiten - eines unserer Angebote ist der Ausstieg. Ausstieg steht allerdings nicht im Widerspruch zur Selbstbestimmtheit. Man kann nur zwischen den Möglichkeiten wählen, die man hat. Wir versuchen, neue Möglichkeiten zu eröffnen.
Sind freiwillige Untersuchungen bei Prostituierten heute Usus?
Das Kapital der Sexarbeiterinnen ist ihre Gesundheit und ihr Körper, deswegen haben sie natürlich ein großes Interesse daran, gesund zu bleiben. Im Zuge des Lohndumpings haben Freier viel Macht. Immer mehr Männer fragen nach Sex ohne Kondom. Für eine Frau, die ökonomisch darauf angewiesen ist, ist es auf lange Sicht schwierig, diese Männer abzuweisen.
Freier sind aber keine Zielgruppe in der Präventionsarbeit.
Das kritisieren wir sehr stark. Wir reden immer über die Frauen. Niemand redet über die Kunden. Da wo Frauen durchweg als Opfer gesehen werden, werden Männer als Täter gesehen. Das macht es Männern schwer, sich als Prostitutionskunden zu outen. Damit sind sie auch nicht greifbar, nicht ansprechbar. Dabei sind sie so wichtig in dem ganzen Szenario.
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