Mit der Corona-App gegen die Pandemie: Dilemma des Vertrauens
Das Smartphone soll helfen, die Pandemie zu bekämpfen. Dazu müssen wir aber der Warn-App vertrauen können.
E s braucht 40 Millionen, vielleicht mehr. So viele Bürger müssten die Corona-Warn-App nutzen, damit in Deutschland eine effektive Kontaktverfolgung gelingt. Diese schwindelerregende Zahl ergibt sich zumindest aus einer britischen Studie über die Wirksamkeit solcher sogenannten Contact-Tracing-Apps. Einige versprechen sich schon bei deutlich geringerer Nutzungsrate eine Wirkung. Klar scheint aber: Die Corona-Warn-App müsste in den Downloadcharts mit WhatsApp oder TikTok gleichziehen, damit das Experiment Aussicht auf Gelingen hat.
Was überhaupt als Erfolg dieser Strategie einer digitalen Kontaktverfolgung gelten kann, bleibt allerdings offen. Eine Antwort fällt auch deshalb so schwer, weil sich die in Deutschland kommunizierten Aussichten in einem vagen Versprechen erschöpfen: Technologie könnte eine Lösung sein. Auf der Webseite der Bundesregierung heißt es hierzu, die App solle vor der weiteren Ausbreitung von Covid-19 schützen. In Wirklichkeit kann sie bestenfalls das Kontaktverfolgen unterstützen und so eventuell einen Beitrag leisten, Infektionsketten zu unterbrechen.
Wir wissen also nicht, was wir von der Corona-Warn-App erwarten können. Ohnehin vermag wohl niemand zu sagen, wie die kommenden Monate in der Bundesrepublik ausgesehen hätten, sollte sich die Kontaktverfolgung über Handy als nette, aber unwirksame Idee herausstellen. Selbst als Placebo könnte die Corona-Warn-App schließlich noch wirken: Im günstigen Fall mag das Lieblingsobjekt Smartphone in den Phasen der Lockerung zur permanenten Erinnerung werden, dass es noch kein Zurück zur Normalität gibt. Im ungünstigen Fall kann eine wirkungslose Anwendung Nutzer in falscher Sicherheit wiegen.
Gründe für ein mögliches Scheitern des Projekts gibt es zu Genüge: Die verwendete Bluetooth-Technologie ist keineswegs dafür ausgelegt, selbst nur metergenau den Abstand zwischen Smartphones zu bestimmen. Auch hängt die Wirksamkeit der App nicht nur von den technischen Machbarkeiten ab. Bereitwillige Nutzer müssen die Software sowie notwendige Updates installieren, die Anwendung durchgehend nutzen und im Falle eines relevanten Kontakts mitwirken. In dieser Hinsicht gleicht die Corona-Warn-App jeder Fitness- oder Abnehm-App. Sie einfach nur herunterzuladen hat keinen Effekt.
Vertrauen ist eine knappe Ressource
Dabei ist technisch gesehen die Lage klar: Im Idealfall sollten möglichst viele die App in der Tasche haben. Umfragen des deutschen Covid-19 Snapshot Monitoring gehen davon aus, dass hierzu jeder zweite Befragte zumindest grundsätzlich bereit wäre. Statistisch könnte dann immerhin in einem von vier Fällen eine mögliche Infektion von einer Person auf die nächste erfasst werden – die App muss schließlich von beiden Seiten genutzt werden. Würden immerhin 25 Prozent das Programm installieren, wäre die Nachverfolgung noch in etwa 1 von 16 Fällen möglich. Eine solche Nutzungsrate entspricht der von Ländern wie Singapur, dessen Corona-App TraceTogether einmal als Blaupause für Europa galt.
Um eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung sicherzustellen, so der Tenor, bedarf es daher Vertrauen. Diese knappe und schwer abzurufende Ressource wird dieser Tage gerne erbeten, um dem Projekt Corona-Warn-App Aussichten auf Erfolg zu verschaffen. Dabei kann es wohl nur einen Versuch geben. Und dass nun die Telekom und SAP als Vertrauensstifter auf die Bühne treten dürfen, gleicht einer Meisterprüfung für Marketingstrategen.
Vertrauen ist aber nicht nur in die Entwickler, die Politik und schließlich in die Mitbürger gefragt, denen wir Glauben schenken müssen, auch ihr Mobiltelefon für das Gute einzusetzen. Menschen müssen sich auf den verantwortlichen Umgang mit ihren Daten genauso verlassen können wie auf die Funktionsfähigkeit der App und die Sinnhaftigkeit des gesamten Projekts. Und hier beginnt das eigentliche Dilemma der Einführung einer solchen digitalen Kontaktverfolgung.
Breite Akzeptanz notwendig
Damit die Corona-Warn-App auch nur die Aussicht auf Erfolg hat, braucht es die breite Akzeptanz. Soll die Anwendung besser funktionieren als eine der Tausende Fitness-Apps, darf sie sich nicht als ein nutzloses Gadget herausstellen. Sonst ist abzusehen, dass erste Meldungen über massenhafte Fehlalarme die Mitwirkung der Bürger stark einschränken werden. Sie brauchen daher gerechtfertigte Zuversicht in diese Technologie.
Für dieses notwendige Vertrauen fehlt bislang allerdings eine Basis. Immerhin gibt es kaum belastbare Beweise für den Beitrag der digitalen Kontaktverfolgung im Kampf gegen Corona. Die Macher der App in Singapur gestehen dies ein: Wenn überhaupt, könne diese Form der Kontaktüberwachung nur gemeinsam mit anderen Maßnahmen greifen. Selbst in Ländern wie Island, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung freiwillig seine Kontakte und sogar Bewegungsdaten per Smartphone erfasst, wird mittlerweile am Nutzen von Contact-Tracing-Apps gezweifelt.
Es ist also weniger Vertrauen, was hierzulande gefragt ist, als ein Vertrauensvorschuss: der Glaube an die Möglichkeit der Corona-Warn-App. Dass ein solches Geschenk möglich ist, zeigt sich am Nutzerverhalten im Internet: Für ein Versprechen auf billige Unterhaltung werden zahlreichen Unternehmen alltäglich Daten überlassen. Der digitalen Welt ist dieser Vertrauensvorschuss also keineswegs fremd.
Die Diskussion um die Corona-Warn-App unterscheidet sich aber von der bislang gelebten Praxis: Denn wir erahnen eigentlich die fehlende Vertrauenswürdigkeit von globalen Konzernen, denen wir immer wieder intime Informationen preisgeben. Wir reden aber wenig darüber. Im Fall der Corona-App ist die Lage dagegen umgekehrt: Wir reden viel, wissen aber wenig, ob sich ihr Preis einmal lohnt. Trotz dieser Ungewissheit können wir aber immerhin hoffen. Hoffen, dass die Corona-Warn-App den Vertrauensvorschuss zumindest wert sein könnte.
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