Mit Robotern gegen den Pflegenotstand: Kann man Liebe programmieren?
In der Pflege gibt es zu wenige Fachkräfte. Roboter könnten den Notstand lindern. Was halten SeniorInnen von der Idee?
„Der Roboter kann Kaffee kochen und Essen machen, meinetwegen. Aber die menschliche Zuwendung, die jeder irgendwann braucht, die können Pflegeroboter sicherlich nicht ersetzen“, sagt Axel Birsul. Er und vier weitere SeniorInnen sitzen um einen langen Tisch im Besprechungsraum des Deutschen Senioren-Computer-Clubs e. V. in Berlin-Lichtenberg. Der 69-Jährige ist der Präsident des Vereins, in dem viele RentnerInnen ihre Vor- und Nachmittage verbringen – beim Videoschnitt, bei Flugsimulation oder für ein Update ihres PC-Wissens. Heute sind sie hier, um über Pflegeroboter zu philosophieren. Denn ihre Generation könnte die erste sein, bei der diese Robotik zum Einsatz kommt.
Schon jetzt sind viele PflegerInnen überlastet. Die Bundesagentur für Arbeit hat in einer Analyse von 2017 einen bundesweiten Mangel an Fachkräften und Spezialisten in der Altenpflege festgestellt. Obwohl die konkrete Zahl der fehlenden Kräfte von Studie zu Studie variiert, sprechen viele von einem „Pflegenotstand“. Auch deshalb wird gerade an Pflegerobotern geforscht. Die Politik fördert diese Projekte. Die Wirtschaft sieht einen wachsenden Markt. Aktuell sind beinahe 3 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig – und es werden immer mehr. Viele sind 65 Jahre und älter.
Was halten die Senioren in Lichtenberg von Pflegerobotern? „Schon der Begriff ‚Pflegeroboter‘ – da müsste man was anderes überlegen“, sagt Stefan Streicher, 68 Jahre alt, und für Organisatorisches im Computerclub zuständig. Vor ihm liegen Bilder von drei Robotern: Robear aus Japan, der schwer heben kann, zum Beispiel auch bettlägerige Patienten. Giraff, ein fahrbares Kommunikationsgerät, mit dem man ähnlich wie bei Skype über einen Bildschirm miteinander reden kann. Und Care-O-bot, eine Haushaltshilfe, die ein Glas Wasser bringen, sich aber auch auf eine gestürzte Person zubewegen und eine Videoverbindung zu einem Notfallcenter aufbauen kann. „Immerhin hat der hier ein Gesicht, nicht unsympathisch“, findet Gabi Bothin, 65 Jahre alt. Sie war bis vor drei Jahren als Soziologin tätig und zeigt auf Robear, der aussieht wie ein Bär. „Es gab ja früher Roboter, die gar kein Antlitz hatten.“
Es kommt auf die Aufgabe an
„Ich habe zu dem Thema ein gespaltenes Verhältnis“, sagt Hans-Peter Specht,; er ist 75 Jahre alt und hat 1986 in der DDR zum ersten Mal vor einem PC gesessen. „Meine Mutter ist vor fünf Jahren in einem Pflegeheim in Dresden gestorben. Wie eine alte Frau, die inkontinent ist, behandelt werden muss, um zumindest einen gewissen Stand der Hygiene beizubehalten, das kann ein Roboter gar nicht machen.“
Viele dieser Roboter werden oder wurden bereits in Altenheimen oder anderen pflegerischen Einrichtungen erprobt. Die Akzeptanz von Pflegerobotern ist bei den SeniorInnen hier in Lichtenberg, aber auch deutschlandweit sehr unterschiedlich. Laut einer Umfrage des Bundesforschungsministeriums von 2015 kann sich in Deutschland jeder vierte die Pflege durch einen Roboter vorstellen. Dabei kommt es aber darauf an, was der Roboter tut – wie eine Forsa-Studie von 2017 zeigt. Während 68 Prozent der Befragten das Heben und Umlagern durch einen Roboter okay finden, liegt die Akzeptanz bei Aufgaben wie Essenreichen oder Waschen nur bei 25 Prozent.
Mitglied im Senioren-Computerclub
„Ich habe mich im Internet ein bisschen umgeguckt“, sagt Hans-Peter Specht. „In Japan hatte man eine Maschine erfunden, da wurde der alte Mensch reingepackt, Deckel zu. Dann wurde er wie in der Spülmaschine gereinigt. Wobei die Leute das dort gut finden, weil der Roboter eben auch den Intimbereich reinigt und kein Pfleger.“ Gabi Bothin meint, man könne auch gegenüber einem Roboter Schamgefühl empfinden. Mehrere am Tisch widersprechen: „Ich habe das bei meiner Mutter festgestellt. Gerade wenn ein junger Pfleger eine ältere Frau intim reinigen soll – da gibt es ein Schamgefühl. Außerdem wird ein Roboter niemals sagen: Sie haben ja schon wieder das Bett versaut. Das sagt aber eine Pflegekraft, wenn sie überanstrengt ist“, sagt Specht.
Schutz privater Daten muss gewährleistet sein
Eine weiterer Aspekt ist das Thema Datenschutz. Den SeniorInnen im Computerclub ist Datenschutz sehr wichtig – sie fragen sich mit Blick auf Giraff und den Care-O-bot: Können die Roboter und Maschinen gesundheitliche Informationen vor dem Zugriff von Unbefugten schützen? Wie gehen die hinter den Maschinen stehenden Unternehmen mit den Daten um? „Selbst wenn ich mich von einem Computer waschen lasse“, erklärt Hans-Peter Specht, „ich bin mir nicht sicher, dass meine Intimbilder nicht übermorgen im Internet sind. Und ich kann nichts dagegen tun! Also da ist auch noch eine technische und gesetzliche Grauzone, die bedacht werden muss.“
Bei der Pflege im Alter gebe man ohnehin viel von seiner Privatsphäre ab, sagen einige SeniorInnen am Tisch, ein gewisses Maß an Kontrolle müsse aber sein. Axel Birsul ergänzt: „Solange ich selbstbestimmt in meiner Wohnung bin, will ich auch Kontrolle über die Technik haben. Dass heißt, ich muss wissen, dass sie das, was bei mir im Hause passiert, für sich behalten kann.“ Stefan Streicher zeigt auf das Bild mit dem Robear. „Hinzu kommt noch eine weitere rechtliche Komponente. Nehmen wir mal das Bild hier, mit der jungen Frau und dem Roboter. Der Roboter hat jetzt plötzlich einen Kurzschluss, sackt ab und die Frau knallt hin. Wer übernimmt die Haftung? Da lauern doch schon lauter Rechtsanwälte.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Gerade in der häuslichen Pflege können die Roboter aber tatsächlich hilfreich sein, finden die fünf. Unterstützt von der Technik sei es möglich, länger autonom zu leben. Von anderen Clubmitgliedern wissen sie, wie schnell das gehen kann, wie schnell man im Alter körperlich abbauen kann und Hilfe braucht. „Ich kann mir vorstellen, dass es Roboter gibt, die den Kontaktpersonen des zu Pflegenden helfen“, erklärt Marianne Birsul, die Frau von Axel Birsul. „Ich würde mich zum Beispiel weigern, so eine schwere Arbeit zu machen, wenn mein Mann ein Pflegefall werden sollte. Wenn ich aber jemanden hätte, der mir diese schweren Arbeiten abnimmt, also Heben, Hinstellen, in den Stuhl setzen, diese Sachen – das würde ich als eine ganz große Hilfe empfinden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag