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Mit Knausgård durch den Lockdown lightAus dem Kontakttagebuch

Die Zahlen sind immer noch zu hoch. Und das Grummeln der benachteiligten Menschen laut. Unser Autor kommt indes gerade besser zurecht als im März.

Mehr Zeit zum Lesen im Lockdown light Foto: Giorgio Fochesato/imago

S eit einiger Zeit gehen wir früh schlafen. Wir lesen viel, und wenn das Wetter besser wäre, würden wir vielleicht auch wieder die Spaziergänge aufnehmen, die wir im Frühjahr unternommen haben. Kürzlich waren wir sowohl am Teufels- als auch am Müggelsee, was schön war. Der Teufelsee war ein Tümpel, schlackig und fest, der Müggelsee war ruhig und flach und klar.

Es gab Enten, Schwäne und Reiher, es gab Expats aus Amerika, die mit ihren Swapfietsen angereist waren und laut redeten; es gab eine Schulklasse, die einen Lautsprecher mit Blechmusik durch die befriedete Gegend trug. Die angeschlossene Gastronomie verkaufte aus ihrer Bude heraus, die Toiletten waren fast schon selbstredend geschlossen, zum Glück hatte es im Wald dann Bäume. Bäume und Wege.

Wir schlafen viel und haben komische Träume, von Hochzeitsfeiern, die versteckt und geheim sind, von Raketen, die sich derweil am Himmel gegenseitig abschießen, und von Knöpfen, die man den Gästen anstecken kann, woraufhin sie rasch sterben.

Die Bücher, die wir lesen, haben das meiste, was passiert, lustigerweise schon vorher gewusst. Zum Beispiel „Die Pest“ von Albert Camus, das ich im Frühjahr nicht gelesen habe, weil ich dachte, ich lese lieber „Kämpfen“ von Karl Ove Knausgård, was natürlich auch ein sehr gutes Buch ist. Aber jetzt lese ich es, weil es sich in meinem Stapel nach oben gekämpft hat, und denke, ich hätte es schon damals lesen sollen, dann hätten mich vielleicht manche Dinge nicht so sehr überrascht.

„Sie glaubten nicht an die Plagen“

Zum Beispiel heißt es: „Dummheit ist immer beharrlich, wenn man nicht immer an sich selbst dächte, würde man das merken. In dieser Hinsicht waren unsere Mitbürger wie jedermann, sie dachten an sic­h selbst, anders gesagt, sie waren Humanisten: Sie glaubten nicht an die Plagen.

Eine Plage ist nicht auf den Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird. Aber er geht nicht immer vorüber, und von einem bösen Traum sterben Menschen, und die Humanisten zuerst, weil sie sich nicht vorgesehen haben.“

Uns selbst fällt der Teillockdown gerade leichter als der erste, umfassendere im März, aber wie es ausschaut, reicht es auch noch nicht, die Zahlen sind immer noch zu hoch. Und das Grummeln der benachteiligten Menschen zu laut. Was wirklich auch kein Wunder ist, da die Einschränkungen hauptsächlich aufs Privatleben zielen, auf die Freizeit, auf die guten Seiten des Lebens, während die Arbeit weitergeht, außer bei denen in der Freizeitindustrie.

Noch ist jeder Kontakt einer zu viel

Die haben jetzt Ferien, aber unfreiwillig, während alle anderen nach Möglichkeit weiter arbeiten gehen: die Büromenschen, die Prekären, die in der Fleischindustrie, die bei der BVG. Alle denken an sich, alle denken und beschweren sich von ihrer Position aus, das ist aber nur natürlich.

Camus so: „Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere, sie vergaßen einfach nur, bescheiden zu sein, und sie dachten, alles sei für sie noch möglich, was voraussetzt, dass Plagen unmöglich sind. Sie machten weiter Geschäfte, sie bereiteten Reisen vor, und sie hatten Meinungen. Wie hätten sie an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei, und niemand wird je frei sein, solange es Plagen gibt.“

Derweil verkündet der Bundeskanzler unseres Partnerlands Österreich: „Jeder Kontakt ist einer zu viel“, was auf der anderen Seite schon wieder etwas Absurd-Komisches hat, und in den Nachrichten macht sich der Lockruf des Impfstoffes breit und gibt Hoffnung. Und über die Kunst haben wir noch gar nichts gesagt!

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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