Mit Kinderarmut auf Du und Du: „An der Kleidung werdet Ihr sie nicht erkennen“
■ Fachveranstaltung von Verbänden und Initiativen
Woran sie erkennt, daß immer mehr Kinder in Armut leben? „Nicht an der Kleidung jedenfalls“, sagt Margarete Kossolapow vom Landesvorstand Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder. „Aber montags und freitags müssen wir doppelt so viel kochen, weil die Kinder übers Wochenende zu Hause nicht genug zu essen bekommen.“Kein Geld zu haben und sich nicht das leisten zu können, was sich der Durchschnittsverdiener kaufen kann, sei für viele immer noch etwas, für das sie sich schämten.
Daß Armut und speziell die Armut von Kindern aber weder ein Naturereignis noch ein individuelles Problem einzelner VersagerInnen ist, war das Thema einer Fachveranstaltung, zu der VertreterInnen des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB), des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und von Arbeitslosen- sowie kirchlichen Gruppen am gestrigen Dienstag in den Saal der Immanuel-Gemeinde in Walle geladen hatten.
Allein in Bremen sind mehr als 17.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, also rgelmaßige Sozialhilfe angewiesen. Etliche müssen immer wieder neue Anträge stellen, weil die Arbeitslosenhilfe oder der Niedriglohn der – oft alleinerziehenden – Eltern nicht ausreicht, um Geld für Reparaturen oder Kleidung zurückzulegen. „Auf der Straße leben die nicht unbedingt“, so DKSB-Bundesgeschäftsführer Walter Wilken. Das mache es leicht, Kinderarmut mit Verweis auf die sogenannte Dritte Welt zu bagatellisieren. Dabei gehe es inzwischen auch hierzulande längst nicht mehr nur darum, daß Kinder aus armen Familien nicht mit ihren wohlhabenderen Freunden mithalten könnten, keine Geburtstagsfeiern ausrichten dürften, kein Fahrrad oder keine Inline-Skater hätten, die ihnen den Zugang zu „ganz normalen Cliquen“ermöglichten – obwohl die im Sozialstaatsgebot verankerte Chancengleichheit schon dadurch unterlaufen werde. „Daß überall Mittagstische aus dem Boden wachsen und auch entsprechenden Zulauf haben, zeigt, wie weit der Prozeß der Verarmung fortgeschritten ist.“
Verantwortlich dafür, da waren sich Wilken mit den anderen TeilnehmerInnen einig, sei die Politik der Bundesregierung, steuerliche Erleichterungen für die Unternehmen durch stärkere Besteuerung von Lohn und Einkommen zu kompensieren, sich ausschließlich auf neoliberale Wirtschaftstheorien zu beziehen und die sozialen Leistungen abzubauen.
„Was kann die Bremer Politik dagegen und für eine verbesserte Situtation der Armen in Bremen tun“, lautete die Frage, die eigentlich an Sozialsenatorin Christine Wischer (SPD) gerichtet war. Weil die sich aber krankheitshalber hatte entschuldigen lassen, konnte Staatsrat Hans-Christoph Hoppensack als ihr Vertreter eine „andere Arbeitspolitik und eine andere Steuerpolitik“fordern und auf die Bundestagswahlen vertrösten. Eine Lösung für Bremen habe er aber auch nicht parat: „Sie wissen ja, in welcher finanziellen Situation das kleinste und ärmste Bundesland ist.“Trotzdem sollten die Ergebnisse der Tagung zu späterer Zeit an einem Runden Tisch noch einmal besprochen werden.
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