Mit Gewalt gegen Haftbedingungen: Angriffe auf Gefängnisse in Frankreich
Eine angeblich für Gefangenenrechte kämpfende Gruppe hat seit Sonntag zehn Haftanstalten angegriffen. Der Justizminister sieht Drogenkriminelle am Werk.

An mehreren Orten haben Unbekannte die Buchstaben DDPF auf Fahrzeuge und Mauern gesprayt. Die Abkürzung steht angeblich für „Défense des Droits des Prisonniers Français“ („Verteidigung der Rechte der französischen Häftlinge“).
Es soll sich um eine Gruppe handeln, die sich auf der Plattform Telegram zu den gewaltsamen Aktionen bekennt und diese als Protest gegen die oft prekären und restriktiveren Haftbedingungen rechtfertigt. „Wir sind keine Terroristen, wir sind da, um die Menschenrechte in den Gefängnissen zu verteidigen“, schreiben die anonymen Bekenner auf Telegram.
Seit vielen Jahren haben sich die Bedingungen im Strafvollzug (und häufig auch in der Untersuchungshaft) verschlechtert. Insgesamt sind in Frankreich gegenwärtig 82.152 Personen inhaftiert, die Zahl der vorgesehen Plätze beträgt aber nur 62.539, was zur Folge hat, dass in 15 Haftanstalten die Zellen zu 200 Prozent belegt sind.
Drei bis vier Gefangene in einer 9-Quadratmeter-Zelle
Im berüchtigten Gefängnis Les Baumettes in Marseille müssen sich oft drei oder sogar vier Inhaftierte eine nur 9 Quardratmeter große Zelle teilen. Präsident Emmanuel Macron hat sein Wahlversprechen, 15.000 Plätze im Strafvollzug zu schaffen, nicht annähernd gehalten. Auch der derzeitige Justizminister Gérald Darmanin hatte angekündigt, er wolle neue Gefängnisse mit 3.000 Haftplätzen in Auftrag geben.
Für ihn steht bereits fest, dass hinter der Serie der koordinierten Angriffe auf Haftanstalten und Strafvollzugsbeamte das organisierte Verbrechen steckt. Seinen Ausführungen auf dem Fernsehsender CNews zufolge reagieren „Drogenkriminelle“ auf die Einrichtung von neuen Hochsicherheitshaftanstalten, in denen demnächst 200 der gefährlichsten verurteilten Drogenhändler von den anderen Gefangenen isoliert werden sollen.
Sollen also diese Aktionen als eine Form von Revanche interpretiert werden, weil der Staat den Kampf gegen eine sich ständig ausweitende Bandenkriminalität verschärft? Das ist die Überzeugung des Justizministers: „Die machen das, weil wir Maßnahmen gegen die bislang in den Gefängnissen existierende Passivität ergreifen. Das Land ist in eine extrem gravierende Lage geraten, weil die kriminellen Netzwerke aus den Gefängniszellen ihre Geschäfte fortsetzen, Morde in Auftrag geben, Geld waschen, Polizisten, Richter und Strafvollzugsbeamte bedrohen oder eine Flucht organisieren.“
Mit ihren „terroristischen“ Aktionen versuche nun das kriminelle Milieu, freilich vergeblich, den Staat „einzuschüchtern“, meinte Darmanin nach dem Besuch der Haftanstalt in der südfranzösischen Hafenstadt Toulon. Auch sie war Ziel diverser gewaltsamer Angriffe.
Gewerkschaft der Vollzugsbeamten in Sorge
Erschreckend ist dabei, dass in mehreren Fällen Strafvollzugsbeamte direkt angegriffen oder bedroht wurden. In der Nacht auf den Mittwoch wurden erneut in Tarascon bei Avignon auf dem Parkplatz des Gefängnispersonals drei Fahrzeuge abgebrannt.
„Wir sind da mit etwas Organisiertem konfrontiert, jemand will wirklich das Personal terrorisieren“, meinte Wilfried Fonck von der Gewerkschaft der Strafvollzugsbeamten UFAP-UNSA. Er wünscht, dass die Behörden die Verantwortlichen rasch identifizieren, damit die Aktionen und Bedrohungen enden. „Unter diesen Bedingungen kann das Personal seine Aufgaben nicht erfüllen“, sagte er dem Sender BFMTV.
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