Misswahlkandidatin aus Bremen: „Keine Schönheitsideale mehr“
Mara Maeke ist Miss Bremen und hat einen künstlichen Darmausgang. Ein Gespräch über gefühlte Schönheit, Selbstliebe und Diversität.
taz: Frau Maeke, finden Sie sich selbst schön?
Mara Maeke: Die Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Schönheit ist ganz individuell. Ich mache die Schönheit am Charakter eines Menschen fest.
Hat es was mit Ihrem Blick auf sich selbst gemacht, dass Sie einen künstlichen Darmausgang haben?
Ich war früher ein ganz schlimm oberflächlicher Mensch. Ich habe meinen jetzigen Freund schon viel früher kennengelernt, aber zu dem Zeitpunkt habe ich gesagt: „Nee, du, geht nicht“, auch weil er mir zu klein war. Auch mein Freundeskreis war sehr oberflächlich. Es ging immer nur darum, schön auszusehen.
Und dann wurden Sie krank.
Da ist mir klar geworden, dass das Wichtigste im Leben ja gar nicht das Schönaussehen ist, sondern gesund zu sein. Ich habe durch die Medikamente viel zu- und wieder abgenommen. Ich habe mich unwohl gefühlt und mich verstecken wollen. Dann kamen die Operationen und die Narben. Ich habe geweint, als ich mich das erste Mal mit diesen großen Narben im Spiegel gesehen habe. Und es hat auch Monate gedauert, bis ich gemerkt habe: „Wow, du hängst dich gerade daran auf, dass du jetzt eine Narbe hast, und sagst du bist nicht mehr schön. Aber in Wirklichkeit hat dir diese Narbe gerade dein Leben gerettet.“ Jeder kann es schaffen, sich selbst zu lieben, wie er ist, aber eben nicht an einem Tag.
Das heißt, es war ein innerer Prozess?
Ja. Ich bin teilweise sogar glücklich, dass ich diesen Prozess durchmachen durfte. Ohne meine Erkrankung wäre ich heute nicht die Person, die so stolz auf sich ist. Vielleicht wäre ich dann immer noch die Person, die versucht, perfekt zu sein, um anderen zu gefallen.
Nun ist eine Frau „Miss Germany“ geworden, die Unternehmerin ist und zwei Kinder hat, aber einem klassischen Schönheitsbild entspricht. Hätte wirklich eine Frau gewinnen können, die einen körperlichen Makel hat?
26, hat Geowissenschaften im Bachelor studiert. Im Moment promoviert sie in mariner Mikrobiologie an der Universität Bremen. Im Dezember 2020 wurde sie zur „Miss Bremen“ gekürt. Im Februar 2021 war sie im Finale der „Miss Germany“-Wahl.
Ich bin ziemlich sicher, dass das auch hätte passieren können. Es geht natürlich darum, wer gerade die meisten Menschen mit der Geschichte anspricht. Anja ist eine so tolle Powerfrau, die sich so hochgekämpft hat und zu sich selbst steht.
Waren Sie überrascht, dass Anja Kallenbach gewonnen hat?
Ja, ich war sehr überrascht. Man selbst legt sich im Kopf verschiedene Ausgänge der Show zurecht, aber umso schöner war der Sieg von Anja und dass jemand gewonnen hat, der all das Positive nach außen trägt und eine starke Frau repräsentiert, die einfach sie selbst ist. Es wäre natürlich auch schön gewesen, wenn beispielsweise Julia Kremer da gestanden hätte, die eben nicht den Body-Maßen entspricht, die als Ideal angesehen werden.
Es ging also darum, man selbst zu sein – aber kann man das überhaupt: besser sein als andere? Es ist ja immer noch ein Wettbewerb.
Ich glaube, das ist das Schwierigste – dass man nicht versucht, sich zu verändern im Camp. Entweder wird man gewählt, weil man man selbst ist, oder man wird eben nicht gewählt. Für uns alle war das kein Wettbewerb in dem Sinne. Wir hatten alle richtig viel Spaß in der Zeit. Ich habe so viel gelernt und ich bin über mich hinausgewachsen.
Und was haben Sie gelernt?
Ich habe sehen können, wie stark so viele verschiedene Frauen zusammenarbeiten können. Ich durfte erleben, wie alle gemeinsam an was Großem arbeiten.
Das heißt: Sie haben Zusammenhalt erlebt in einem Format, das ein Wettbewerb ist? Klingt paradox.
Keiner von uns hat wirklich das Gefühl gehabt, er müsste jemanden ausstechen. Wir gönnen es einfach jeder, die gewinnt. Alle Frauen, die dabei waren, wissen, was sie erlebt haben, alle haben eine Botschaft, die sie vertreten. Und das ist so besonders.
Was haben Sie erlebt?
Ich habe 2016 die chronisch entzündliche Darmerkrankung Colitis Ulcerosa diagnostiziert bekommen. Kein Medikament hat wirklich angeschlagen. Nach zwei Jahren gab es zwei Optionen: Entweder ich sterbe – denn lange hätte mein Körper das nicht mehr mitgemacht – oder ich nehme den künstlichen Darmausgang und entscheide mich für das Leben. Ich habe ein Jahr mit einem Beutel am Bauch sehr gut gelebt. Bis es Komplikationen gab. Dann wurde mir der Kock-Pouch gelegt. Das ist ein innen liegendes Reservoir, das aus meinem Dünndarm geformt wurde. Seit 2019 lebe ich jetzt damit und habe nur noch ein Pflaster am Bauch. Und ich lebe sehr gut damit.
Hat das eine Rolle gespielt, als Sie mit ihrem jetzigen Freund zusammengekommen sind?
Ich habe es ihm gleich beim ersten Date erzählt. Ich hab ihm gesagt: „Ich erzähl dir das jetzt, weil ich es nur fair finde und weil ich dich gerne mag. Wenn du jetzt sagst:,Ich kann das gar nicht', dann darfst du jetzt gehen. Aber wenn du sagst:,Das ist kein Problem', dann lerne ich dich sehr gerne weiter kennen.“ Er kam von Anfang an super damit klar.
Wie gehen Sie mit negativen Reaktionen von anderen Menschen um?
Ich bin da recht locker mit. Ich bekomme auch mal Nachrichten, dass ich ein total falscher Mensch sei.
Warum?
Ich stehe dazu, dass mein Leben sich zum Positiven geändert hat, seit ich den Kock-Pouch habe. Im Vergleich zum Beginn meiner Krankheit ist mein Leben so viel besser geworden. Andererseits erzähle ich natürlich auch mal von den Schmerzen oder dass es mir mal nicht gut geht. Und das passt für viele nicht zusammen. Ich möchte zeigen, dass es auch okay ist, wenn man mal nicht okay ist. Ich darf auch mit der Erkrankung mal einen Tag unglücklich sein.
Warum ist der Darm denn so ein Tabuthema?
Stuhlgang wird mit was Ekligem assoziiert, weil es stinkt und weil es eklig aussieht. Wir alle gehen auf Toilette, aber keiner mag drüber sprechen. Das ist aber sehr wichtig. Wie oft wird Darmkrebs übersehen, weil Leute nicht zur Vorsorge gehen? Ich werde auch weiterhin versuchen, das Thema zu enttabuisieren, um jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht eklig sind. Und ihnen helfen, ihre Erkrankung besser anzunehmen.
Ist es für Sie eine politische Entscheidung, so offen mit der Krankheit umzugehen?
Ich finde es einfach allgemein wichtig, dass Menschen offener und toleranter werden. Wir sollten endlich mal Standards brechen. Wir sollten aufhören, in den Medien nur bestimmte Menschen zu repräsentieren, was eben dann schlanke, perfekte, makellose Körper sind. Wir sollten die Gesellschaft genauso bunt zeigen, wie sie ist. Warum ist es besonders, wenn in einem Modekatalog Menschen mit Behinderung gezeigt werden? Warum kann das nicht einfach normal sein?
Was war der Grund für Sie, mit Instagram zu starten?
Ich habe 2016 meinen ersten Post über meine Erkrankung gemacht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Kraft, mit allen Kontakt zu halten, und dann dachte ich: Ich schreibe einfach hier alles für meine Freunde rein, die können sich das dann durchlesen. Und ich hab meine Ruhe. Als ich 2018 meine erste große OP hatte, hatte ich dann plötzlich über Nacht 700 neue Follower. Ich hatte ein Bild von mir im Krankenbett mit all den Schläuchen und Narben gepostet. Ich habe gemerkt, wie viele Menschen das Gleiche durchmachen. Seitdem teile ich meine Geschichte auch, um anderen Mut zu machen. Um zu zeigen: Das ist nicht das Ende. Und man kann seine Träume trotzdem verwirklichen, auch wenn es länger dauert als bei gesunden Menschen. Auch wenn deine Freunde schneller mit dem Studium fertig sind. Na und? Dann machst du es eben in deinem Tempo.
Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?
Ich möchte nicht auf meine Erkrankung reduziert werden. Ich möchte einfach ich sein. Oft hört man: „Boa, krass, ey, wenn ich dich so ansehe, dann geht’s mir ja eigentlich total gut.“ Wie bitte? Bin ich so mitleiderregend, dass es dir jetzt gut geht, wenn du mich anschaust? Das ist Ableismus. Also die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Ich will nicht dafür bewundert werden, dass ich mit meiner Erkrankung Dinge schaffe. Weil es für mich einfach alltäglich ist.
Wie sollten sich Schönheitsideale in unserer Gesellschaft ändern?
Ich würde sagen, es sollte einfach gar keine Schönheitsideale mehr geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour