Missbrauchsvorwürfe gegen Weinstein: Der Domino-Effekt
Hollywood-Produzent Harvey Weinstein soll jahrelang Frauen sexuell belästigt und missbraucht haben. Dass er nun entlassen wurde, ist ein Meilenstein.
Die Details, die da gerade ans Licht kommen, weil es einige Frauen endlich wagen, davon zu erzählen, was ihnen mit US-Filmproduzent Harvey Weinstein widerfahren ist, mögen schrecklich sein. Dass nun ein Filmbusiness-Tycoon wie Harvey Weinstein wegen seines offenbar zutiefst misogynen Verhaltens gefeuert wird, ist aber eine fette Party wert. Denn was da geschieht, ist ein Dominoeffekt. Und der ist – einmal in Gang gesetzt – bekanntlich nur schwer aufzuhalten.
Mit Bill Cosby fing es an. Nachdem immer mehr Frauen öffentlich davon berichteten, dass ihnen der US-Schauspieler Betäubungsmittel verabreicht hatte, um sie anschließend zu vergewaltigen, nahm seine Karriere ein jähes Ende – und es kam im Juni 2017 endlich zu einem ersten ernstzunehmenden Prozess. Anfang des Jahres dann wurde Fox News-Moderator Bill O’Reilly gefeuert, als bekannt wurde, dass er Frauen, die ihm vorwarfen, sie sexuell belästigt zu haben, Schweigegelder in Millionenhöhe gezahlt hatte, um eine Anzeige zu verhindern. Und nun also Weinstein.
Sowohl in der New York Times als auch im New Yorker werfen drei Frauen Weinstein vor, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Ein Dutzend weitere berichten von sexuellen Übergriffen. Und mehrere Angestellte seiner Filmproduktionsgesellschaft sagen, sie hätten von alldem gewusst, seien teilweise sogar als „Lockvögel“ involviert gewesen, hätten aber aus Angst vor Konsequenzen und Scham mitgemacht, geschwiegen oder weggesehen.
Dass Weinstein nun von seiner Produktionsfirma entlassen wurde, ist ein Meilenstein. Denn damit kehrt sich etwas Entscheidendes um: Es sind nicht mehr die wenigen, die den Mut aufbringen, auch gegen Widerstände für sich einzustehen und mutmaßlich erlebte Gewalt zur Anzeige zu bringen, die mit dem Ende ihrer Karriere rechnen müssen. Die Konsequenzen trägt nun (auch) derjenige, der seine schier unantastbare Macht und Monopolstellung im Filmbusiness missbraucht.
Laut den Berichten der beiden US-Medien hatte Weinsteins Masche System: Eine junge Schauspielerin zu Beginn ihrer Karriere weiß um den Einfluss, den Weinstein in einer Branche, in der es auf gute Kontakte ankommt, hat. Ein Meeting wird anberaumt. Nachts statt tagsüber. Auf dem Zimmer statt in der Lobby des Hotels. Zum Teil ist anfangs eine Mitarbeiterin dabei, die dann geht. Weinstein, der Karriereförderung verspricht – und dann plötzlich im Bademantel im Zimmer steht. Viele Aussagen sind deckungsgleich. Immer mit dabei der Satz: Ich hatte Angst, dass er mich/meine Karriere/mein Leben zerstört, wenn ich nicht mitmache/wenn ich darüber spreche.
Das Beispiel von Ambra Battilana Gutierrez, einer der wenigen Frauen, die Weinsteins Übergriff zur Anzeige brachte und ihm mit einem versteckten Mikrofon gegenübertrat, offenbart außerdem wie selbstverständlich dieses Verhalten für Weinstein ist. „I am used to that“ antwortet er, als sie ihn fragt, warum er ihr tags zuvor an die Brust gefasst habe, und erinnert damit stark an Trumps „grab’em by the pussy“-Talk: „And when you’re a star, they let you do it.“
Unterlassene Hilfeleistung
All das wird sich ändern, wenn immer mehr Frauen erleben, dass man eben doch etwas bewirken kann. Um aber tatsächlich einen Ausweg aus der tief verankerten Rape Culture zu finden, wird mehr nötig sein als nur diese erfreulichen Einzelfälle.
Wie wäre es beispielsweise damit, wenn künftig nicht nur mutmaßliche Täter mit einem Strafprozess rechnen müssten, sondern auch all diejenigen, die dieses System passiv oder aktiv gestützt und aufrechterhalten haben? Wegen unterlassener Hilfeleistung beispielsweise oder wegen Mittäterschaft? Kommt man mit dieser äußerst toxischen Form des Komplizentums ungestraft davon, fällt die Entscheidung, feige und opportunistisch zu sein, womöglich leicht. Und das sollte sie nicht.
Und es bedarf Alternativen. Denn es ist deren Monopolstellung, die Männer wie Harvey Weinstein so mächtig machen. Wer schlicht keine andere Möglichkeit hat, Karriere zu machen, wird sich noch schwerer tun, über Gewalterfahrungen zu sprechen, als jemand, der „nur“ mit Scham und Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Die Forderung, Machtpositionen mit Frauen zu besetzen, die dann (hoffentlich) Räume und Strukturen etablieren, die nicht auf sexualisierter Gewalt basieren, ist also nicht nur feministisch, sondern auch ein praktischer Schutz gegen die Weinsteins dieser Welt.
Bis dahin kann man nur hoffen, dass immer mehr Frauen (und Männer), die sexualisierte Gewalt erlebt haben, den Mut finden, ihre Geschichte zu erzählen. Wie wäre es beispielsweise mit den Frauen, über die Donald Trump in seinem „locker room talk“ sprach? Ladys, wo seid ihr? Auf dass irgendwann auch das letzte Dominosteinchen fällt.
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