Missbrauchs-Vorwürfe in Spaniens Linke: Sumar-Fraktionssprecher tritt zurück
Iñigo Errejón, Fraktionssprecher der spanischen Regierungspartei Sumar, legt nach Missbrauchsvorwürfen das Amt nieder – und äußert sich wenig empathisch.
Vorangegangen war ein Social-Media-Beitrag, in dem die bekannte Journalistin Cristina Fallaras von einem „bekannten Politiker in Madrid“ berichtet, gegen den Anschuldigungen der sexuellen Belästigung, der psychologischen Gewalt sowie ungewollten körperlichen Kontakten erhoben würden. Fallaras berichtet von einem „echten Monster“ und veröffentlichte – ohne Namen zu nennen – Aussagen betroffener Frauen.
Erste Anzeige wegen sexueller Belästigung
Wer zwischen den Zeilen lesen konnte, dem war schnell klar, dass es sich bei dem Mann um Errejón handeln musste. Und damit ausgerechnet um einem linksalternativen Politiker, der sich den Feminismus immer wieder auf die Fahne geschrieben hatte. Kaum zurückgetreten, machte eine der betroffenen Frauen, die Schauspielerin und TV-Moderatorin Elisa Mouliáa, einen Schritt nach vorn und zeigte den Linkspolitiker noch am Donnerstag wegen anhaltender sexueller Belästigung an.
Mouliaá berichtet in ihrer Anzeige – so die online-Zeitung elDiario.es – dass Errejón sie während einer Party 2021 „stark“ am Arm gepackt und „sie gewaltsam etwa sechs Meter einen Flur entlang in ein Zimmer gezerrt habe. Er habe dann die Tür geschlossen und sie bedrängt. Die Schauspielerin berichtet von aufgezwungenen Küssen, Berührungen am ganzen Körper und selbst davon, dass Errejón seinen Penis aus der Hose geholt habe.
Mouliaá zufolge hatten sie sich erst wenige Stunden zuvor kennengelernt, nachdem sie ein Jahr lang auf Instagram miteinander gesprochen hatten und sie die Präsentation seines Buches besucht habe, weil sie ihn „politisch bewunderte“.
Eigenes Fehlverhalten aus Außenperspektive reflektiert
Errejón veröffentlichte am Donnertag ein langes Schreiben, um seinen Abschied aus der Politik zu begründen. „An der vordersten Front in Politik und Medien hält man mit Verhaltensformen durch, die sich von Fürsorge, Empathie und den Bedürfnissen anderer lossagen. Zumindest war das in meinem Fall der Fall so. Dies erzeugt eine toxische Subjektivität, die bei Männern das Patriarchat verstärkt, gegenüber Arbeitskollegen, Organisationskollegen, in emotionalen Beziehungen und sogar gegenüber sich selbst“, analysiert Errejón in seiner bekannten brillanten Art und Weise.
Jedoch eben auch so, als stünde er einige Meter neben sich selbst, um zu beobachten, wie aus einem Politiker mit alternativen Ansprüchen dieser Mann wurde, den die Frauen in ihren Aussagen beschreiben.
„Ich habe die Grenze des Widerspruchs zwischen Charakterrolle und Person erreicht. Zwischen einer neoliberalen Lebensform und dem Sprecher einer Formation, die für eine neue, humanere und gerechtere Welt eintritt. (…) Ich arbeite seit einiger Zeit an einem persönlichen und psychologischen Unterstützungsprozess, aber die Wahrheit ist, dass ich, um darin voranzukommen und für mich selbst zu sorgen, die institutionelle Politik, ihre Anforderungen und Rhythmen aufgeben muss“, schreibt Errejón weiter.
Druck aus den eigenen Reihen
Errejón ist einer der bekanntesten Politiker der spanischen Linken. Er gehörte zur kleinen Gruppe derjenigen, die vor über zehn Jahren die linksalternative Podemos ins Leben riefen. Später dann überwarf er sich mit Parteichef und Freund Pablo Iglesias über strategische Entscheidungen und gründete zuerst in Madrid mit Más Madrid und dann landesweit mit Más España eine eigenen Formation. Schließlich schloss sich diese dem Wahlbündnis Sumar an und Errejón wurde Fraktionssprecher des kleineren der beiden Koalitionspartner der derzeitigen Linksregierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez.
Mittlerweile ist klar, die Vorwürfe gegen Errejón waren sowohl beim Wahlbündnis Sumar – gegründet von Arbeitsministerin und Vizeregierungschefin Yolanda Díaz – als auch bei Errejóns eigener Formation Más País schon seit Tagen, wenn nicht gar seit Wochen bekannt. Letztendlich trat der Errejón auf Druck aus seinen eigenen Reihen zurück.
„Unser Engagement gegen den Machismus und für eine feministische Gesellschaft ist unerschütterlich“, erklärte Díaz am Donnerstag. „Jetzt gilt es den Frauen zuzuhören“, fügt sie hinzu.
Regierungschef Pedro Sánchez schreibt auf X: „Die Regierung setzt sich für ein feministisches Spanien ein, in dem Frauen die gleichen Rechte, die gleichen Chancen und die gleiche Freiheit und Sicherheit haben wie Männer. Ich verurteile rundum all diejenigen, die gegen dieses Projekt der Gleichheit vorgehen.“
Wie sich der Fall Errejón auf die in den Umfragen ständig sinkenden Sumar und damit auf die Koalitionsregierung auswirkt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken