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Missbrauch in der KirchePastor behält Pension

Das Kirchengericht hat das Disziplinarverfahren gegen den Ahrensburger Geistlichen eingestellt, der den Kindesmissbrauch seines Kollegen vertuscht haben soll.

"Ich bin entsetzt": Anselm Kohn vom Opferverein Sexueller Missbrauch (r.) mit Bischöfin Kirsten Fehrs Bild: dpa

HAMBURG taz | Schlussstrich unter den Ahrensburger Missbrauchs-Skandal: Das Kirchengericht der evangelisch-lutherischen Nordkirche hat das Disziplinarverfahren gegen den pensionierten Pastor Friedrich H. ohne Anhörung von Zeugen eingestellt. H. hatte mit dem Pastor Dieter K. zusammengearbeitet, der seit Anfang der siebziger Jahre über Jahrzehnte hinweg Jugendliche missbraucht hatte. In dem Verfahren sollte die Frage geklärt werden, ob die Kirche den 71-Jährigen aus dem Dienst entfernen kann. Dann hätte er seine Pensionsansprüche verloren. Denn Opfer werfen H. vor, K.s Taten vertuscht und auch selbst sexuellen Missbrauch begangen zu haben.

Die Richter begründeten am Dienstag ihre „mildere Bewertung“ mit einem langen Zeitraum nach den Taten, in dem sich der Pastor „einwandfrei geführt“ habe – und mit dem Umstand, „dass der Angeschuldigte und seine Familie unter den Folgen einer regelrechten Hetzkampagne gelitten“ hätten. Die Nordkirche, die Anklage gegen H. vor dem Kirchengericht erhoben hatte, sei „sehr überrascht“ von dieser Entscheidung, sagte dessen Sprecher Frank Zabel. Man teile die Rechtsauffassung des Gerichtes nicht und werde, sobald die Begründung vorliegt, „Rechtsmittel prüfen“ – also möglicherweise widersprechen.

Das Kirchengericht ist ein internes Gremium der Kirche, das die Personalangelegenheiten der Kirchenmitarbeiter regelt. Den Vorsitz haben allerdings weltliche Richter, in diesem Fall Richter Bernd Wrobel vom Amtsgericht Reinbek.

Hat der Richterspruch Bestand, bleibt den Ahrensburger Missbrauchsopfern jegliche gerichtliche Aufarbeitung verwehrt: Strafrechtlich sind die Taten verjährt. Pastor K. blieb auch ein Disziplinarverfahren erspart, weil er nach dem Geständnis seiner Taten selbst aus dem Kirchendienst ausgeschieden ist.

Im Verfahren gegen H. seien rund zehn Opfer als Zeugen vorgeladen worden, die sich seit Bekanntwerden der Taten 2010 bei der Kirche gemeldet hatten. Ihnen habe das Gericht zwei Tage vor dem Gerichtstermin wieder abgesagt, sagt Anselm Kohn vom Opferverein Sexueller Missbrauch in Ahrensburg: „Ich bin entsetzt von dem Ergebnis“, sagt er, „für Betroffene ist das ein Schlag ins Kontor.“

Die Zeugen hätten seit September von der Vorladung und damit von dem bevorstehenden Wiedersehen mit H. gewusst. Das sei für die Betroffenen eine monatelange Belastung gewesen, sagt Kohn: „Die Vorwürfe sind weitaus schwerwiegender als das, was öffentlich bekannt war.“ H. hatte 2010 eingeräumt, in den achtziger Jahren „intime Beziehungen“ zu zwei Frauen im Alter von 17 und 18 Jahren gehabt zu haben. Zudem bestätigte die Kirche die Existenz von zwei schriftlichen Erklärungen, in denen H. sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. Kirchensprecher Zander bestätigt: In der Anklageschrift würden H. „sexuelle Verfehlungen“ vorgeworfen. Doch das Kirchengericht entschied, die Vorwürfe reichten selbst dann nicht aus, um ihn aus dem Dienst zu entfernen, wenn die Zeugen die „erhobenen Vorwürfe im vollen Umfang“ bestätigt hätten.

Opfervertreter Kohn will nun einen Beschwerdebrief an das Gericht schreiben. Zeugen seien nicht aufgeklärt worden, dass sie Anspruch auf Begleitung in der Vernehmung haben. Doch am schlimmsten sei, dass Betroffene nun nicht mehr gehört werden. Dies sei ein fatales Signal: Täter müssten ihre Opfer nur lange genug zum Schweigen bringen, damit Missbrauch folgenlos bleibe. „Das ist ja ein Wahnsinn“, sagt Kohn. H.s Anwalt Heinz Wagner richtet dagegen aus: „Er ist jetzt voll rehabilitiert.“

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6 Kommentare

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  • WB
    Wiolfgang Banse

    Zum obigen Artikel hatte ich einen Kommentar verfasst.Dieser ist nicht ersichtbar.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Eine Krähe hakt der anderen keine Augen aus,hier was die Pension des Pastors a,D.,im Hinblick des Missbrauchs betrifft.

    Hier zeigt sich einmal wieder wie in der Mutterkirche gehandelt wird.

    Ralf Meister derzeitiger Landesbischof der Ev.luth. Landeskirche Hannovers zeigt sich immer mehr alsein autarker Mensch,was konstruktive Kritikan ihm betrifft.Unangenehme Äußerungen läst er löschen,Monarchie ,Diktatur kommen da einen in den Sinn.

    Als gebürtiger Hamburger,Hanseat,aus der Hansestadt der Pfeffersäcke kommend.,wirkt er sehr introviert,überheblich,ein Stück hochmütig.

    Bleibende Spuren hat er als Generalsuperintendent in Berlin nicht hinterlassen.Alles aufgewärmter Kakao auch was die Schülerbischöfe anbetrifft.

    Zu allem äußert sich,nur nicht zu brennenden Themen was eine Beauftragte für Behinderte in der Ev.luth. Landeskirche Hannovers betrifft,nicht zu den Vorgängen in Hamburg was die Vertreibung von Obdachlosen betrifft.

    Es ist nicht alles Landesbischof,was sich Landesbischof nenntHauptamtliche dies zeigt sich immer wieder hier was den Missbrauch anbetrifft,schädiegen das Image der Mutterkirche.

    Deshalb Glaube an Gott,Jesus Christus Ja,Glaube an die Institution Kirche ein deutliches Nein.

    Beim Glaubensbekenntnis sollten Christen beim Passus schweigen,was eine heilige,christliche apostolische Kirche anbetrifft.Heilig uhd christlich wenn man in die Geschchte der Kirche schaut,war sie nie recht so-dies wird auch so lange bleiben,wie Menschen,hier Hauptamtlichein der Kirche wirken und einen Dienst verrichten.

  • GG
    Gabriele Gawlich

    Der Fehler ist m. M., dass man die "Täterorganisationen" umd Mitarbeit bittet. Da erstaunt das aus Sicht der Betroffenen mangelhafte Ergebnis nicht.

     

    Man muss die Frösche nicht fragen, wenn man einen Sumpf trocken legen will.

     

    Die EKD beweist wieder einmal ihre machtbessene und menschenverachtende Einstellung der Mittäterschaft.

     

    Wer will denn noch dazu (zur christlichen etablierten Religion) gehören?

  • WT
    wiebk tuelsen .

    dieser kirche werde ich nicht mehr angehören, dass man so eine form von" Vergessen" findet, zu lange her, arme familie...und weitere Verständnisvolle worte für Täter.

    Dass erinnert mich fatal an die Gefühle, die mich beschlichen in den 60iger, 70iger jahre,wenn Lehrer amtsärzte, richter nach der entnazifizierung ohne weitere folgen uns kinder die Wahrheit über ihre Taten vorenthielten und sich anmaßten ,durch ihr Verschweigen ihre Beteiligung am NS-Verbrechen ungeschehen zu machen und uns weiterhin uns ihrem Denken und Handlungen aussetzten. Wir spürten es, aber wir hatten keine chance uns dagegen zu wehren, weil unsere Eltern ebenfalls die NS-Zeit durch Leugnen und Wegsehen ungeschehen machen wollten.und so waren wir dieser Entwürdigung ausgesetzt .Als die Proteste in den 68iger Protesten aus uns herausbrachen, das hieß es muff unter den Talaren, nun weiß ich es ist noch viel schlimmer in der evang. kirche...widerlich..wie opfer verhöhnt werden!! Wenn nicht alle Pastoren endlich aufstehen und sofortige eigene entlassung aus dieser kirceh für sich beantragen...das kann die einzige folge sein...so würde sich vielleicht endlich was bewegen...das wünsche ich mir von einer ehrlichen wahrhaftigen kirche!! aber alle fühlen sich wieder nicht betroffen...es wird wieder jahrzehnte vergehen,bis man begreift ...was für ein system man unterstützt hat...

  • MK
    Matthias Katsch

    – Nicht, wer ist schuld, sondern: Wer übernimmt die Verantwortung? -

    Das Problem in diesem wie in vielen anderen Fällen: in Deutschland beharren wir juristisch auf der Verantwortung des Einzelnen. Das Versagen einer Organisation ist hierzulande nicht justiziabel - (mit Ausnahme des Umweltrechts, wo eine Haftung des verursachenden Unternehmens für die Beseitigung von Schäden vorgesehen ist, aber das „verdanken“ wir Seveso und der EU).

    Deshalb gab es keinen Prozess gegen die Firma Grünenthal wegen des Contagan-Verbrechens, sondern nur Verfahren gegen Angestellte des Unternehmens, die am Ende eingestellt wurden. Und deshalb müssen auch die mächtigsten Institutionen in diesem Lande, die beiden Kirchen, keine Klagen befürchten wegen der in ihrem Verantwortungsbereich begangenen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen, die dann auch noch allzu oft verheimlicht und vertuscht wurden.

    Man stelle sich vor, die US-Regierung müsste dem Vorsitzenden von BP und seinen Mitarbeitern individuelle Schuld für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nachweisen… Nicht einen Cent hätte das Unternehmen bis heute gezahlt. Doch auf solche Spitzfindigkeiten lässt sich das US-Recht nicht ein. Das Versagen des Unternehmens führt zur Pflicht zur Zahlung – egal welcher Mitarbeiter im Einzelnen was wann falsch gemacht hat. Damit mag sich das Unternehmen dann selbst intern auseinandersetzen.

    Wann werden die beiden Kirchen endlich die volle Verantwortung für ihr Organisationsversagen in zahllosen Missbrauchsfällen übernehmen, statt die Opfer immer wieder vor den Kopf zu stoßen? Und wann werden die Rechtspolitiker in diesem Land begreifen, dass man strukturellem Versagen nicht mit der Prozesslogik individueller Schuld begegnen kann?

  • AO
    Angelika Oetken

    Die Richter begründeten am Dienstag ihre „mildere Bewertung“ mit einem langen Zeitraum nach den Taten, in dem sich der Pastor „einwandfrei geführt“ habe

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    Rührend naiv für so einen Richter... aber wir sind ja bei den Evangelen, da ist der Gutmenschenchip ja quasi eingebaut...

     

    ... da haben sich alle ganz doll lieb, Streit gibt es höchstens mal weil die Blumendeko zu Ostern nicht gefällt....

     

    .... Missbrauch gibt es nicht, "man" hat ja eigentlich nicht mal regelmäßig Sex.... zu viel mit dem Nachdenken über die Verbesserung der Welt beschäftigt...

     

    Alternative: die EKD installiert schon seit langem heimlich Kameras und Mikrofone im Umfeld potentieller Täter. Dann könnte die Kirchenführung eigentlich ihre Hand für einen ihrer Hirten ins Feuer legen.

     

    Gab mal einen Staat, der das auch so gemacht hat...wie hieß der noch gleich?

     

    Da vertrauten die "Oberen" ihren Genossen nämlich auch nicht....

     

    Nee im Ernst: die EKD ist wie die RKK ein Ritualdienstleister mit staatlich garantierten Vergünstigungen. Eigentlich ein Fall fürs Kartellamt.

     

    Und dies Vorgehen jetzt zeigt nur, dass es noch mehr Täter gegeben hat. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die fliegen immer gemeinsam auf den Müllplatz, um sich den Bauch voll zu schlagen.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick