Missbrauch in Armenien: Hände weg von Kindern!
Das Parlament stimmt für eine Resolution des Europarates, die Kinder vor sexuellen Missbrauch schützten soll. Rechte Kreise laufen dagegen Sturm.
Die Abstimmung, die ohne längere Aussprache stattfand, war von Protesten rechtsgerichteter Gruppen vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Jerewan begleitet. Mit dabei waren auch Vertreter der Bewegung Kamq. Diese gerieren sich gerne als Verteidiger traditioneller Familienwerte, die sie durch die Übernahme von Vorschriften, wie der Lanzarote Konvention, gefährdet sehen.
Auf der Straße kam es auch zu einem verbalen Schlagabtausch mit Gayane Abrahamyan, Abgeordnete der Regierungspartei Mein Schritt. Die Frage, ob sie gegen die Konvention stimmen werde, beantwortete sie mit einer Gegenfrage: Wo denn die Protestierenden gewesen seien, als ein Berater des damaligen Regierungschefs Tigran Sargsjan Kinder missbraucht habe. Besagter Berater, ein einflussreicher Geschäftsmann, war wegen Vergewaltigung von Minderjährigen in mehreren Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.
Gevorg Petrosyan, Abgeordneter der oppositionellen Partei Blühendes Armenien ist ein erklärter Gegner der Konvention. Er wendet sich vor allem dagegen, dass das Thema sexueller Missbrauch in den Lehrplan für Schulen aufgenommen werden soll. Die Lehrkräfte hätten ihren SchülerInnen ja wohl andere Dinge beizubringen, entrüstete er sich. Vielmehr solle das Strafrecht verschärft werden. Auch Vertreter des Klerus seien dieser Auffassung.
Fortschritt bremsen
Vor allem Politiker wie Petrosyan, aber auch die Orthodoxe Kirche Armeniens stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Fortschritt zu bremsen.
Auch um die Europaratskonvention zur Verhinderung häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention) ist ein veritabler Kulturkampf entbrannt. 2018 von Jerewan gezeichnet, stand das Dokument mehrfach auf der Tagesordnung des Parlaments.
Nicht zuletzt wegen massiver Proteste nationalistischer Kreise steht eine Ratifizierung jedoch bis heute aus. Eins der zentralen Argumente gegen die Konvention ist, dass damit ein drittes Geschlecht quasi durch die Hintertür eingeführt werde.
Diese Kontroversen muten bizarr an angesichts des Umstandes, dass häusliche Gewalt in Armenien mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen hat. Nach Angaben von FrauenrechtlerInnen hat sich die Anzahl derartiger Fälle seit dem Ausbruch der Coronakrise sogar noch erhöht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen