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Missbrauch-Skandal bei der BBCMan hörte viel und tat nichts

BBC-Ikone Jimmy Savile soll hunderte Kinder missbraucht haben. Kollegen wollen nichts gewusst haben – eine „Panorama“-Doku setzt den Sender nun unter Druck.

Die Queen adelte ihn zum Sir: Jimmy Savile. Bild: dapd

„Jim fixed it for me“ stand auf den Abzeichen, mit denen die Kinder nach ihrem TV-Auftritt nach Hause gingen: Jimmy Savile hatte mal wieder Wünsche erfüllt, auch die scheinbar absurdesten.

Mit seiner Show „Jim’ll fix it“ war der später zum Sir geadelte und 2011 mit 85 Jahren verstorbene Savile fast 30 Jahre lang eine feste Größe in der Sparte Familienunterhaltung des BBC-Programms. Teilweise schalteten bis zu 20 Millionen ZuschauerInnen ein. Um Kinder aus Heimen kümmerte sich Savile auch außerhalb des TV-Studios gern persönlich. Wie man jetzt weiß, missbrauchte er viele von ihnen, zum Teil sogar in seiner BBC-Garderobe.

Der Savile-Skandal, den gestern Abend das BBC-Magazin „Panorama“ im Detail aufschlüsselte, ist für den Sender besonders pikant, weil ihm Reporter des täglichen BBC-Nachrichtenmagazins „Newsnight“ schon viel früher, im Herbst 2011, auf der Spur waren. Doch das für eine Dezember-Sendung geplante Thema wurde abgesagt.

Dafür zeigte die BBC zur Weihnachtszeit gleich mehrere große Savile-Beweihräucherungen. Auch diesen Fragen ging „Panorama“ unerbittlich nach – und zeigte eine BBC, die seit fast drei Wochen in unprofessioneller Weise rumeierte. Denn natürlich war vorher schon die Savile-Bombe geplatzt – im investigativen Format der privaten TV-Konkurrenz ITV.

Falsche Informationen über die Website

Für den Mitte September angetretenen BBC-Chef Georg Entwistle ist der Fall Savile die Feuertaufe. Der „Newsnight“-Leiter Peter Rippon ist mittlerweile suspendiert, er hatte auf der BBC-Website falsche Informationen darüber verbreitet, warum er die „Newsnight“-Story im Herbst gestoppt hatte. Die BBC „bedauert“, in offiziellen Pressemitteilungen „falsch informiert“ zu haben.

Diverse ehemalige Kollegen von Savile mussten bei „Panorama“ einräumen, schon seit den 1960er Jahren von Gerüchten über Savile gehört zu haben – ohne diesen nachgegangen zu sein. In den 1970er Jahren wurde Savile einmal informell mit entsprechenden Vorwürfen konfrontiert, er stritt erfolgreich ab. „Wer hätte denn einem Mädchen aus einem Heim geglaubt, wo es um einen Star ging, der gerade von der Königin einen Orden bekommen hatte“, so eines der Opfer bei „Panorama“. Die BBC hat nun zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt. Scotland Yard geht mittlerweile mehr als 400 Hinweisen nach.

Mittlerweile hat sich auch die Politik eingeschaltet, nach Redaktionsschluss dieser Seite musste sich BBC-Chef Entwistle vor dem Medienausschuss des Unterhauses verantworten. Für Entwistle könnte der Savile-Skandal noch ganz andere Folgen haben: Er war in seinem früheren Job als „Director of Vision“ 2011 für das gesamte TV-Programm, also auch die weihnachtliche Savile-Huldigung zuständig.

Doch seine Sicht der Dinge mochte er „Panorama“ nicht zumuten, weshalb man ITV-Material zeigen musste. Man habe „das gesamte Top-Management der BBC um Interviews“ gebeten, hieß es zum Schluss der Sendung: „Sie haben alle abgelehnt.“

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9 Kommentare

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  • H
    H.Hummerich

    hört, hört, nach Katharina Rutschky´s Thesen gibt es doch gar keinen sexuellen Missbrauch - alles Erfindung, das lasen wir doch bis zu ihrem Tod 2008 doch regelmässig in Ihrer werten Publikation!

  • HD
    Heidi Dettinger

    Der Skandal um Jimmy Savile zeigt nicht auf, wie moralisch verkommen England ist, sondern vielmehr, wie wenig Kinderrechte zählen.

     

    Solange die Rechte unserer Kinder nicht im Grundgesetz verankert sind, solange immer wieder den TäterInnen mehr geglaubt wird, wie den Kindern, solange werden sich diese Taten wiederholen. Und einen unglaublich Schaden anrichten - nicht nur bei den Opfern, sondern in der ganzen Gesellschaft. Denn die zu Opfern gemachten Kinder tragen ihr Leid das ganze Leben mit sich herum. Es beeinflusst ihre privaten und ihre Arbeitsbeziehungen, es macht sie krank und oft genug arbeitsunfähig.

     

    Heidi Dettinger, Überlebende deutscher Kinderheimhöllen und Mitarbeiterin des Vereins ehemaliger Heimkinder e.V.

    http://veh-ev.eu

  • MS
    Mark Stahl

    Das Thema Missbrauch wird in den Medien gerne hochgebauscht. Insbesondere da die Gesetze heutzutage alles unter 18 als Kindesmissbrauch durchgehen lassen. Sachliche Detailinformationen wären dagegen hilfreich. Ansonsten, bei Rockstars und den ganzen ausgeflippten Groupies wundert mich eigentlich nichts. Er überraschend, dass da nicht öfters mal was herauskommt.

  • AO
    Angelika Oetken

    Sehr geehrter Herr Gropper,

     

    was den Fall "Spatzennest" resp. die "Wormser Prozesse" angeht, hat der Spiegel ausgiebig recherchiert und berichtet.

     

    Auch auf der Homepage der Initiative "Utu/Aufrecht" wird detailliert darüber geschrieben http://www.aufrecht.net/utu/index.html

     

    Das, was ich im zweiten Absatz meines vorherigen Kommentars anspreche, nämlich, dass "Heim- und Psychiatriekinder" häufig auch an Pädokriminelle vermittelt wurden und evtl. auch noch werden, habe ich während meiner Arbeit in Heimen und in der Psychiatrie von KollegInnen und PatientInnen erfahren.

     

    Zudem stehe ich mit Leuten im Austausch, die sich für die Rechte von misshandelten und missbrauchten Heimkindern und psychisch behinderten Menschen einsetzen.

     

    Wenn Sie die Homepages der verschiedenen Heimkinderinitiativen besuchen, werden Sie dort viele Informationen finden.

     

    Aber es gibt einen Fall, allerdings aus Portugal, bei dem gut recherchiert ist, wie so etwas läuft http://de.wikipedia.org/wiki/Casa-Pia-Missbrauchsskandal. Eines der Opfer wurde Rechtsanwalt und hat den Stein ins Rollen gebracht.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit

  • CG
    Christian Gropper

    Sehr geehrte Frau Angelika Oetken,

     

    sowohl der zweite und dritte Absatz ihres Kommentars hört sich doch sehr nach Verschwörungstheorie an. Haben Sie für diese beiden schweren Anschuldigungen handfeste Belege und gerade im zweiten Fall (den ich bislang eher als Beleg von absurdester Missbrauchshysterie kannte) dann auch Namen der Zulieferer im Jugendamt? Ermittelt die Polizei in diesem Fall gegen das Jugendamt?

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Christian Gropper

  • GM
    Großbritanien = moralisch verkommen

    Tja, seit Thatcher ist Großbritannien moralisch verkommen; da Angela Merkel in Thatcher ihr großes Vorbild sieht (was Merkel auch mehrmals bereits öffentlich bekundet hat), ist es nur eine Frage der Zeit, bis Deutschland ebenso moralisch (unter der Merkel-Keule) verkommen sein wird, wie Großbritannien.

  • I
    ireneluise

    Oh je, die Ikone der rechtschaffenen soliden Berichterstattung hat ihren guten Ruf selber zerstört.

  • A
    ankaq

    Engländer halt...nur dann moralisch integer, wenn sie den Zeigefinger auf andere richten können. Ich könnte kotzen!

    Hoffentlich kommen einige wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht oder verlieren ihre Jobs...und es bleibt nicht nur bei einer pseudointellektuellen Diskussion über die Kultur des Wegsehens etc.

  • AO
    Angelika Oetken

    Das Ganze ist eine Riesenchance für die nachhaltige Verfolgung von organisiertem, häufig ritualisiertem Missbrauch.

     

    Dass "Heimkinder" und die "Insassen" von Kinderpsychiatrien bis in die jüngere Vergangenheit auch "Ware" für wohlhabende Pädokriminelle lieferten ist für jeden, der sich ein bisschen in der Heimszene auskennt ein offenes Geheimnis.

     

    Auch heute gibt es sowas noch, es sei nur an die "Wormser Prozesse" erinnert, wo Jugendamtsmitarbeiter den Heimleiter mit "Frischfleisch" versorgten.

     

    Falls Scotland Yard seinem legendären Ruf als unbestechlich, tough und unerbittlich gerecht wird, dürfen etliche Opfer von Savile und seinen Kumpanen auf späte Anerkennung hoffen und die britische Gesellschaft sollte mit einem ähnlichen Kulturschock rechnen, wie er die Deutschen nach der Offenbarung der Missbrauchsskandale vor gut 2 Jahren ergriffen hat.

     

    "Tue recht und traue niemand" - heißt es doch so treffend.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit