Ministerpräsidentenwahl im Libanon: Der Alte ist der Neue
Im Libanon wurde der Milliardär Nadjib Mikati wiedergewählt. Er muss nun das Land nun aus der im Jahr 2019 begonnenen Wirtschaftskrise führen.
Der Libanon durchlebt zurzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Seit 2019 hat die lokale Währung über 90 Prozent an Wert verloren. Vielen Menschen mangelt es an Strom, Wasser und Medizin.
Der Milliardär Mikati mit einer Yacht in Cannes und einer Villa im Norden des Libanon ist daher ein kontroverser Politiker. Er hat sein Vermögen von fast 3 Milliarden US-Dollar mit der Telekommunikationfirma M1 Group gemacht. Menschenrechtsaktivist*innen kritisieren die Firma wegen Geschäften mit autoritären Regimen wie Myanmar.
Im Rahmen der Protestbewegung, die im Oktober 2019 begann, demonstrierten Menschen öfter vor seinem Haus in Tripoli. Sie beschuldigten ihn, Reichtum anzuhäufen, während die Bewohner*innen der Stadt immer ärmer würden. Mikati antwortete darauf im libanesischen Fernsehen, kurz vor den Wahlen im Mai: Die Klassenunterschiede seien das „Werk Gottes“.
Mikatis Gegenkandidat ist Richter und war lange UN-Vertreter
Mikati bekam 54 Wahlstimmen und damit deutlich weniger als er bei den parlamentarischen Konsultationen letzten Jahres erreichte, damals hatte er 72 Stimmen erhalten. Dieses Mal wurde er unter anderem vom Block der schiitischen Partei und Miliz Hisbollah unterstützt.
Doch die Partei des Präsidenten Michel Aoun, die christlich-maronitische „Freie Patriotische Bewegung“ hatte sich enthalten. Einige unabhängige Politiker, die teilweise durch ihr Vermögen an Einfluss und Wählendenstimmen gekommen sind, enthielten sich.
Die Opposition zu den etablierten Parteien, bestehend aus 13 Abgeordneten mit verschiedenen Parteizugehörigkeiten, war über die Personalfrage uneins. Die neue Oppositionspartei Taqaddom wählte Nawaf Salam und erklärte die Wahl damit, dass sie ihn nicht als Teil des „Netzwerk aus Korruption und Quotensystem“ sähe. Der Gegenkandidat arbeitet seit 2018 als Richter am Internationalen Gerichtshof. Zwischen 2007 und 2017 war er ständiger Vertreter des Libanon bei den Vereinten Nationen in New York.
Salam bekam auch Unterstützung von der christlich-maronitischen, rechtsnationalen Partei Kataeb. Diese schrieb in einer Erklärung, Salam sei ein „unabhängiger Kandidat“, der den Libanon aus dem Chaos herauszuholen vermöge. Ebenso stimmte die drusische „Progressive Sozialistische Partei“ für Salam.
Feministische Plattform appellierte, eine Frau zu nominieren
Drei Abgeordnete, die der Protestbewegung nahe stehen, sahen die Nominierung Salams skeptisch. Sie beschuldigten ihn, sich „einem Teil der herrschenden Klasse“ angeschlossen zu haben, insbesondere während der Parlamentswahlen, da er sich der Liste des ehemaligen Ministerpräsidenten Fouad Siniora angeschlossen hatte.
Auf wenig Gehör fiel die Forderung eines Zusammenschlusses der feministischen Zivilgesellschaft. Diese hatte im Vorfeld alle parlamentarischen Gruppen aufgefordert, „den Prozess der Regierungsbildung von jeglichen politischen Spannungen zu befreien, um eine weitere Verschlechterung der Situation“ zu verhindern.
Die Feministische Plattform appellierte an die Parlamentarier*innen, eine Frau als Premierministerin zu nominieren. Der Libanon verfüge über hochqualifizierte Frauen, welche die vielschichtigen Krisen bewältigen könnten.
Doch in dem System, das von Klientelismus geprägt ist, schaffen fast nur Männer den Weg auf die höheren Sitze in der Politik. Im neuen Parlament sitzen acht Frauen – so viele wie noch nie im Libanon.
Libanon soll Geld gegen Reformen erhalten
Mikati wird nun ein Kabinett bilden, welches dann die Wirtschaftskrise angehen muss. Seine vorherige Regierung hatte Anfang April dafür den Grundstein gelegt und eine vorläufige Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds getroffen. Demnach soll der Libanon finanzielle Unterstützung im Wert von rund 2,75 Milliarden Euro erhalten, wenn bestimmte Reformen umgesetzt werden. Dazu zählen die Umstrukturierung des Banken- und Energiesektors, sowie Steuerreformen und die Bekämpfung von Korruption.
Doch bisher waren die Fortschritte bei den Reformen nur langsam. Außerdem muss das Exekutivdirektorium des IWF die Vereinbarung noch endgültig genehmigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen