piwik no script img

Ministerpräsident Albig für TransparenzMission Google

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig positioniert sich gegen Googles Marktmacht. Er fordert ein Kontrollgremium.

Thorsten Albig wirkt als Smartphone-Nutzer einigermaßen zufrieden. Foto: dpa

Torsten Albig nutzt inzwischen jede Gelegenheit für seine Mission, sei es in der Bundeshauptstadt oder in seinem kleinen Machtzentrum, sprich: in Kiel. Dort hat die örtliche Prominenz die Tage ihren Datenschützer verabschiedet – Thilo Weichert ging, Marit Hansen kam. Und Torsten Albig? Schleswig-Holsteins Ministerpräsident verabschiedete, begrüßte und attackierte: Durch den US-amerkanische Konzern Google drohe eine „Monopolisierung der Meinungsbildung“.

Albigs Warnungen vor Google haben System. Im März schrieb er – unterstützt von einem befreundeten Journalisten – einen philosophisch angehauchten Gastbeitrag für die Zeit mit Mahnungen wie dieser: „Die freie, ungefilterte Meinungsbildung ist ein unersetzliches Gut mit Verfassungsrang, das müssen wir bewahren!“ Im Juni wiederum warnte er auf einer Diskussion im Berliner Regierungsviertel vor der „beginnenden Unterordnung unter ein System, das wir nicht mehr verstehen“.

Der SPD-Politiker spielt ein geschicktes Spiel: Der 52-Jährige wirft Google gar nicht vor, böse zu sein, sondern spricht stattdessen stets vage von der ungewissen Zukunft. Albig sagt selbst: „Ich weiß nicht genau: Habe ich gerade diesen Freund aller Demokratien vor mir oder jemanden, der auf dem Weg ist zu einer Autokratie, einer Informationsautokratie.“ Albig teilt das Unbehagen, das auch viele andere Nutzer beschleicht, wenn sie auf Googles Dienste zurückgreifen – einerseits der bequeme Zugang zu Informationen, andererseits der Versuch, möglichst viel über die Nutzer zu lernen, um noch bessere Ergebnisse liefern zu können. „Google bestimmt, wie ich die Welt sehe“, sagt Albig.

Seine Mission: Google – „und Google steht dabei als Synonym für viele Dienste“ – soll Transparenz schaffen. Der Politiker hat zwei Forderungen: Ein Kontrollgremium soll einen weiten Blick hinter die Kulissen werfen und der Gesellschaft mit einem „Demokratie-Informations-Siegel“ bescheinigen können, „dass wir nicht schleichend manipuliert werden“.

Außerdem will Albig Orientierung. Google und Co. sollen – ähnlich wie ein Bibliothekar – auf einzelne Treffer besonders hinweisen. Klappen könne das nach Albigs Vorstellung, indem Google einzelne Quellen zwingend in den ersten Suchtreffern platzieren müsste, etwa Artikel von öffentlich-rechtlichen Sendern oder Verlagen.

Viel schickere Büros

Albig hat darüber auch mit Vertretern von Google gesprochen – vertraulich in der Deutschlandzentrale von Hamburg. „Die sind gut, die sind klug, die sind sehr smart“, sagt Albig über das gut zweistündige Treffen. Und auch sonst ist der Politiker fasziniert: „Ich würde meine Büros sofort gegen deren tauschen. Es ist ja viel schicker dort als in meiner komischen Staatskanzlei, die ein bisschen so aussieht wie ein Finanzamt.“

Die Google-Leute hätten ihm jedenfalls auf jede Frage eine Antwort gegeben, berichtet Albig, und sagt, dann habe er auch erst mal das Gefühl gehabt, es sei vielleicht doch alles gut. „Aber die Frage ist: Glauben wir das, weil wir uns so schön in die Augen sehen – oder glauben wir, dass sich Demokratien auch institutionell schützen müssen?“

Google hingegen lehnt Albigs Modell ab. Beim Internetriesen heißt es klar: Der Kreis, der den Algorithmus kenne, müsse so klein wie irgend möglich gehalten werden. Immerhin könne jeder Insider die Informationen weitertragen – zum Schaden für den Konzern und für die Nutzer, denn dann sei der Manipulation der Trefferlisten ja erst richtig Tür und Tor geöffnet. Außerdem wäre die Verpflichtung, ausgewählte Inhalte höher in den Treffern einzustufen als andere das Ende der Objektivität. Da wiederum ist etwas dran: Albig will sich einerseits Googles Unabhängigkeit bescheinigen lassen, andererseits will er aber die Trefferlisten – wenn auch in einem noblen Sinne – verzerren. Albigs Modell ist gewissermaßen schizophren.

Aber warum kümmert sich Albig, der norddeutsche Landespolitiker, um einen Internetkonzern aus dem Silicon Valley? Hier kann er einen Punkt machen: Medien sind hierzulande Ländersache – und Internetportale sind Teil der Medienlandschaft. Bislang allerdings kümmert sich das Medienrecht vor allem um den Rundfunk, also die Frage, was ARD, ZDF, RTL und all die anderen Sender dürfen und müssen. „Wir müssen lineare und nichtlineare Angebote zusammendenken“, fordert Albig und meint damit: Das Medienrecht sollte sich schleunigst auch um die Riesen im Netz kümmern.

Tatsächlich berät eine Bund-Länder-Kommission (BLK) schon seit einer ganzen Weile, wie das IT- und Telekommunikationsrecht, das in Berlin liegt, und Medienrecht, für das eben die Länder zuständig sind, zusammengehen könnten. Albig selbst sagt, dass ein Kompromiss bei so vielen Beteiligten eine schwierige Sache sei. Und überhaupt: Eigentlich müsse doch die EU ran – was sie wiederum mit ihrer Datenschutzreform gerade macht. Allein: All das dauert sehr, sehr lange. Währenddessen entwickelt sich das Netz mit seinen Angeboten nicht im Jahres-, sondern fast schon im Wochenrhythmus weiter.

Taugt aber Google überhaupt noch zum großen Feindbild? Wer will, kann bei Google inzwischen sehr viel darüber erfahren, wie der Algorithmus funktioniert und welche Daten der Konzern sammelt. Auch wenn das nicht im Albig’schen Sinne kontrolliert und bescheinigt wird: Google hat sich zuletzt deutlich bewegt. Viel wichtiger aber ist: Google ist für immer mehr Internetnutzer nicht mehr Anlaufstelle Nummer eins. Google verliert Macht.

Ja, keine Frage: Google ist weiterhin präsent, vor allem bei traditionellen Nutzern wie Albig, der von sich selbst sagt, er sei „so bequem wie viele andere auch“ und habe Google „oben auf meinem Handy, und so nutzt man es, und irgendwann glaubt man, das ist dein verlässlicher, treuer Freund“.

Und Facebook?

Auf vielen anderen Smartphones sieht die Realität indes so aus: Google ist zwar tatsächlich irgendwie immer da, doch Nutzer lassen sich vor allem von ihren Freunden und deren Empfehlungen durchs Netz leiten – hallo, Facebook! Und was wäre wohl erst los, wenn Facebook seinen Partner, die Microsoft-Suchmaschine Bing, ordentlich in seine Apps integrieren würde? Facebook jubilierte immerhin gerade: An einem einzigen Tag haben sich mehr als eine Milliarde Nutzer eingeloggt.

Albigs Idee, IT-Konzerne sollten ausgewählten und vor allem technisch versierten Vertretern einen konzentrierten Blick in ihre Arbeit gewähren, hat deshalb auch über Google hinaus seinen Charme. Vermutlich hätte der Politiker aber nicht zuletzt in der IT-Szene größere Chancen auf Gehör, wenn er sich nicht weiterhin nur auf Google einschießen würde.

Thilo „Ich habe Facebook im Blick“ Weichert, der bisherige Datenschützer seines Landes, hatte das sehr früh verstanden. Er hat jetzt Zeit. Torsten Albig, der Google-Kritiker, und Weichert, der Facebook-Beäuger – vermutlich wären beide ein gutes Team.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!