Miniserie „The North Water“: Dreck, Dunkelheit und Testosteron

Die Romanverfilmung von Ian McGuires „Nordwasser“ ist düster. Trotzdem lohnt es sich, sie zu gucken – auch wegen Schauspielern wie Farrell.

Ein bärtiger Mann steht mit Pfeifffe und Mütze an Deck eines Schiffes

Der gewalttätige Henry Drax (Colin Farrell) interessiert sich vor allem für Saufen und Vögeln Foto: Nick Wall/BBC/AMC

„Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“ Mit diesem Zitat von Arthur Schopenhauer beginnt die Miniserie „The North Water“, eine Verfilmung des Romans „Nordwasser“ von Ian McGuire. Man braucht keinen philosophischen Kontext, um schnell zu merken, dass das Einstiegszitat für diese Geschichte den richtigen Ton setzt. Denn gequälte Seelen, einen grausamen Teufel und eine düstere Welt, die alles andere als paradiesisch ist, sind das, was die sechs von Andrew Haigh als Autor und Regisseur verantworteten Episoden ausmachen.

1859 heuert im englischen Hull der Kriegsveteran und Armee-Chirurg Patrick Sumner (Jack O’Connell) auf dem Walfänger Volunteer an. Wer mit diesen Schiffen in arktische Gewässer aufbricht, fliehe vor der Zivilisation, sagt Kapitän Brownlee (Stephen Graham) über seinesgleichen, und zumindest in dieser Hinsicht ist Sumner genau dort, wo er hingehört.

Die Erbschaft, von der er sich eine goldene Zukunft versprach, hat sich zerschlagen, und aus dem Indien-Einsatz hat er neben einem Trauma eine Opiumsucht mitgebracht. In der Zivilisation hält den Arzt nicht mehr viel.

An Bord der Volunteer ist der Homer lesende Intellektuelle dennoch ein ziemlicher Fremdkörper, selbst wenn er sich dazu überreden lässt, bei der Robbenjagd zum Gewehr zu greifen. Der Rest der Crew besteht eher aus ungehobelt-brutalen Männern wie dem Ersten Offizier Cavendish (Sam Spruell) oder dem nicht nur gegenüber Walen gewalttätigen Harpunier Henry Drax (Colin Farrell), deren zwischenmenschliche Expertise aus Saufen und Vögeln besteht. Vor allem letzteren hat Sumner schnell in Verdacht, als auf dem Weg Richtung Arktis ein Schiffsjunge brutal vergewaltigt und wenig später erdrosselt aufgefunden wird.

Dreck, Dunkelheit und ein Übermaß an Testosteron dominieren diese Männerwelt, aus der es – einmal abgelegt – kein Entkommen mehr gibt. Schon die Serie „The Terror“ hatte vor ein paar Jahren eine Polar-Expedition im 19. Jahrhundert dazu genutzt, um von Isolation, Machtstrukturen sowie dem Guten und Bösen in der menschlichen Natur zu erzählen.

„The North Water“, produziert von der BBC und dem US-Sender AMC, nimmt sich nun ähnlicher Themen an – und ist keinen Deut weniger rau, erbarmungslos und grausam. Ein Happy End kann es für diese Männer in doppelter Hinsicht nicht geben.

Ein alter Trick wird angewandt

Nicht nur hat der Walfang keine Zukunft mehr, seit in den Städten begonnen wurde, Straßenlaternen mit Paraffin zu betreiben. Auch das Ende der Volunteer ist schon besiegelt: Kapitän Brownlee hat den heimlichen Auftrag, das Schiff sinken zu lassen, damit der Besitzer die Versicherungssumme einstreichen kann.

Ein wenig büßt „The North Water“ im Verlauf an Beklemmung und Atmosphäre ein, je mehr die Serie in den späteren Folgen zu einem Überlebensabenteuer wird. Eindrucksvoll anzusehen und spannend ist die Serie trotzdem. Die Schauspieler tragen einen Großteil dazu bei: Nicht zuletzt Farrell, der das animalisch Böse als Gegenpol zu O’Connells feinsinnigem Optimisten mit viel furchteinflößendem Grunzen und ebenso viel Charisma ohne plumpe Überzeichnung spielt.

Vor allem aber ist diese – übrigens größtenteils auf einem echten Schiff in der Kälte von Spitzbergen gedrehte – Serie in ihrer Art wie sonst in diesem Jahr wohl nur noch Barry Jenkins’ „The Underground Railroad“. Eine, die ganz und gar davon lebt, dass hier ein Filmemacher ohne Beschränkungen seine künstlerische Vision umsetzen durfte.

Nicht umsonst sind trotz des ungewohnten Settings und der durchaus martialischen Geschichte auch hier die zarte Sinnlichkeit und das sensible Beobachten zu spüren, die bislang Haighs queeren Geschichten wie „Weekend“ und „Looking“ oder das Ehedrama „45 Years“ auszeichneten.

The North Water“, sechs Episoden, Magenta TV

Fragwürdig ist, warum man sich für die deutsche Ausstrahlung entschlossen hat, die von Haigh vorgesehene Aufteilung in fünf Episoden zu ignorieren und die Geschichte stattdessen in sechs Folgen aufzuteilen. Denn „The North Water“ ist, was im Serienbereich ja nach wie vor unüblich ist, ein echtes Auteur-Werk, von einem der spannendsten Filmemacher unserer Zeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.