Mini-Flüchtlingsgipfel in Brüssel: Guantanamo Bay für Migranten?
Die EU-Kommission hat einen eigenen „Masterplan“ für die Flüchtlingspolitik vorgelegt. Er kommt Seehofer weit entgegen und schottet Europa noch härter ab.
„Ich bin gegen ein Guantanamo Bay für Migranten“, betonte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopolous am Donnerstag. Das sei mit den Aufnahmezentren auch nicht gemeint. Dennoch sollen die Auffanglager, die auch EU-Ratspräsident Donald Tusk für den regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag empfohlen hat, der Abschreckung und Abschottung dienen. „Wer es in ein Boot schafft, darf deshalb keine freie Fahrt in die EU haben“, so Avramopolous.
Zu Details dieser neuen Pläne wollte sich Avramopolous nicht äußern. Er betonte jedoch, dass Zurückweisungen von „illegalen“ Flüchtlingen künftig schon an den EU-Außengrenzen rund um das Mittelmeer möglich werden sollen. Die EU-Kommission will dazu eine „echte EU-Grenzpolizei“ schaffen und die Grenzschutzbehörde Frontex massiv aufrüsten. Außerdem sollen die umstrittenen Abschiebungen besser koordiniert und beschleunigt werden.
Mit all dem kommt die EU-Kommission den Hardlinern in Ungarn, Italien und Österreich entgegen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz übernimmt am 1. Juli den halbjährlichen EU-Ratsvorsitz. Der konservative Politiker, der zusammen mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, hat bereits den „Schutz“ der Außengrenzen zur absoluten Priorität erklärt.
Seehofer kann zufrieden sein
Die EU-Behörde macht auch einen großen Schritt auf Seehofer und seinen umstrittenen „Masterplan“ für Migration zu. In der Tischvorlage für den Sondergipfel am Sonntag, die der taz vorliegt, empfiehlt sie „einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen“. Dies würde die Abweisung von bereits registrierten oder abgelehnten Asylbewerbern an der österreichisch-bayerischen Grenze erleichtern. Seehofer kann zufrieden sein.
Migranten sollen künftig auch an Flughäfen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen kontrolliert werden. Auch das würde den Grenzübertritt erschweren. Allerdings bleibt in dem Papier unklar, wie Flüchtlinge in andere EU-Staaten abgeschoben beziehungsweise „zurückgenommen“ werden sollen. In dem Entwurf ist vage von „flexiblen gemeinsamen Rücknahme-Mechanismen“ die Rede. Bisher existieren diese Prozeduren jedoch nicht – oder es kommt ständig zu Reibereien.
So hatte Deutschland zeitweise Beschränkungen für Flugreisende aus Griechenland eingeführt, um mutmaßliche „illegale“ Flüchtlinge abzufangen. Dies führte jedoch zu einem Streit mit der Regierung in Athen, bei der die EU-Kommission vermitteln musste. Derzeit kommt der Widerstand vor allem aus Italien. So ging der neue, rechtspopulistische Innenminister Matteo Salvini auf Gegenkurs.
Sollte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte am Sonntag nach Brüssel fahren, um einen Entwurf zu unterschreiben, der von Deutschland und Frankreich vorbereitet wurde, „tut der Premier gut daran, die Reisekosten zu sparen“, twitterte der Chef der fremdenfeindlichen Lega in der Nacht zu Donnerstag. Salvini fordert mehr Solidarität von den Europäern, die Asylbewerber aus Italien übernehmen sollen, weigert sich jedoch, seinerseits Migranten etwa aus Deutschland zurückzunehmen.
Plan könnte zu Domino-Effekt führen
Doch dies ist nicht das einzige Problem, an dem der Minigipfel am Sonntag scheitern könnte. Die Vorlage von Kommissionschef Jean-Claude Juncker könnte nämlich genau wie Seehofers „Masterplan“ zu einem Domino-Effekt führen. Wenn Deutschland Flüchtlinge an der Grenze zurückweist, werde Österreich dasselbe tun, kündigte Kanzler Kurz an. Ähnlich äußerte sich der österreichische Europaabgeordnete Heinz Becker. „Ich glaube, wir werden dann einen entsprechender Domino-Effekt erzeugen müssen“, sagte der ÖVP-Politiker.
Genau diesen Domino-Effekt hat Merkel jedoch ins Feld geführt, um sich gegen Seehofers Pläne zu wehren und einen Sondergipfel zu fordern. Sie wirbt für eine „europäische Lösung“. Doch mit der Vorlage der EU-Kommission zeichnet sich diese nicht ab. Bestenfalls sind bilaterale Absprachen und neue Versuche zu erwarten, die Asylpolitik aus der EU auszulagern, etwa nach Ägypten oder Tunesien. Merkels Türkei-Deal könnte dabei als Vorbild dienen.
Von einer echten europäischen Lösung hingegen, die auch eine faire Lastenteilung zwischen allen EU-Ländern enthalten müsste, ist kaum noch die Rede. Er hoffe auf eine Einigung bis Ende dieses Jahres, sagte Avramopoulos. Ursprünglich sollte die Einigung aber schon beim regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag auf dem Tisch liegen.
Merkels „informeller“ Minigipfel am Sonntag weist jedoch in eine ganz andere Richtung: Die Abschottung wird forciert, die Solidarität auf die lange Bank geschoben.
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