Mindestlöhne: Kampf um jeden Briefträger

Kurz vor der Spitzenrunde im Kanzleramt streiten sich die Regierungsparteien über die Einführung von Mindestlöhnen in der Postbranche. Die CDU-Führung sieht dafür keine Grundlage mehr.

PIN-MitarbeiterInnen demonstrieren gegen den Mindestlohn. Sie fürchten um ihren Job Bild: dpa

Angesichts des vielen Lobs, das sie von ihren Gastgebern in Indien bekommen hat, erklärte Kanzlerin Angela Merkel, daraus schöpfe sie "Kraft, weitere politische Probleme zu lösen, wo immer sie auch auftauchen".

Diese Kraft wird Merkel brauchen: Noch nie in ihrer Regierungszeit war die Stimmung in der großen Koalition so schlecht. Vor dem Spitzentreffen von Union und SPD am Sonntag im Kanzleramt türmen sich geradezu die inhaltlichen Streitfragen.

Besonders haarig dürfte es beim Thema Post-Mindestlohn zugehen. So offen wie nie zuvor droht die Union, die geplante Aufnahme der Briefdienste ins sogenannte Entsendegesetz platzen zu lassen - und damit einen De-facto-Mindestlohn in der Postbranche zu verhindern.

Für die SPD, die sich seit Monaten für einen Mindestlohn starkmacht, kommt dies einer politischen Kriegserklärung gleich. "Das könnte eine ganz ernste Angelegenheit werden", sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz der taz. "Wenn die Union den Zeitplan scheitern lässt, gibt es einen großen Krach." Man habe vereinbart, die Branche bis Jahresende in das Entsendegesetz aufzunehmen. "Von dieser Verabredung sollte sich niemand verabschieden."

Nach Ansicht des SPD-Arbeitsmarktexperten Klaus Brandner gefährdet der Streit gar den Fortbestand der Koalition. "Viele in der Union spielen an diesem Punkt mit dem Feuer. Das kann zum Spaltpilz im Regierungsbündnis werden", sagte Brandner der Saarbrücker Zeitung.

Hintergrund des harten Widerstands in der Union sind neue Zahlen der Bundesnetzagentur. Danach sind lediglich 33 bis 42 Prozent der Beschäftigten bei Briefdienstleistern vom Tarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste und der Gewerkschaft Ver.di erfasst. Er sieht einen Stundenlohn von 8 bis 9,80 Euro vor. Bedingung für die Ausweitung des Tarifvertrags auf die gesamte Branche und damit für die Aufnahme ins Entsendegesetz sind allerdings 50 Prozent. Umstritten ist in der Koalition zudem, wer überhaupt als Postdienstleister gilt: nur hauptberufliche Briefträger oder auch Sortierer und Paketboten?

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen jedenfalls sieht keine Grundlage mehr für ein Mindestlohngesetz. Stattdessen müssten die Tarifparteien neu verhandeln. Dann aber würde der Zeitplan von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD), der das Gesetz zum 1. Januar 2008 umsetzen will, wohl nicht mehr einzuhalten sein. Dafür müsste der Entwurf bis zum 9. November den Bundestag passiert haben.

Scholz wies die Argumentation des Koalitionspartners entschieden zurück. Von den im Arbeitgeberverband Postdienste vertretenen Unternehmen würden rund 94 Prozent aller Briefe zugestellt. "Wenn da jetzt alle möglichen Scheinbeschäftigten reingerechnet werden, sind das nichts als Hütchenspiele."

Hilfreich könnte für die SPD in den Verhandlungen am Sonntag werden, dass die CDU sich keineswegs auf eine einheitliche Position einigen kann. Gerald Weiß (CDU), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Arbeit und Vize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), sagte der taz: "Für die CDA kann ich sagen: Wir wollen auf jeden Fall einen tariflichen Mindestlohn im Postbereich erreichen." Allerdings gebe es durch die Zahlen der Bundesnetzagentur jetzt neue Zweifel.

Nach den bisherigen Plänen, so Weiß, soll es am Montag eine Expertenanhörung im Bundestag geben, am Mittwoch tagt der Arbeitsausschuss, am Donnerstag könnte die zweite und dritte Lesung stattfinden. "So ist der Fahrplan", sagte Weiß. "Aber wenn die Frage des 50-Prozent-Kriteriums bis dahin nicht geklärt ist, müssten wir es aufschieben." Wer die Frage klären soll? Weiß hofft auf eine "politische Vorklärung ganz oben" bei der Koalitionsrunde am Sonntag. "Dann kann der Zug rollen."

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