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Mindestens 100 Tote in NigerMassenmord zum Wahlergebnis

Angriffe auf zwei Dörfer erschüttern Niger am Tag der Verkündung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl. Der Staat erscheint hilflos.

Traditionelle Getreidespeicher aus Lehm in einem nigrischen Dorf Foto: reuters

Cotonou taz | Sie kamen wieder einmal auf Mopeds und richteten in der Region Tillabéri eins der größten Massaker an, das Niger bisher erlebt hat. Am Samstag haben mutmaßliche Terroristen die Dörfer Tchombangou und Zaroumdareye in der Nähe der malischen Grenze angegriffen, mindestens 100 Personen ermordet und laut Innenminister Alkache Alhada weitere 20 verletzt.

Welcher Miliz sie angehören, war am Sonntagnachmittag noch nicht bekannt. In der Region operieren sowohl Gruppen, die al-Qaida nahestehen, sowie der „Islamische Staat der Größeren Sahara“ (ISGS). Allerdings sind die Kämpfer oft weniger überzeugte Islamisten, sondern vielmehr Söldner, die ihre Auftraggeber wechseln.

Es heißt, dass es sich bei dem Angriff um einen Racheakt gehandelt hat. Jugendliche aus Tchombangou hatten sich zuvor zu einem Selbstverteidigungsbündnis – staatlicher Schutz fehlt in den ländlichen Gebieten Nigers oft – zusammengeschlossen und zwei mutmaßliche Terroristen mit Macheten getötet. Wenig später wurde das Dorf umstellt und der Angriff begann.

Die Region Tillabéri ist in der Vergangenheit immer mehr destabilisiert worden. Erst vor knapp zwei Wochen gerieten dort sieben nigrische Soldaten in einen Hinterhalt und wurden ermordet. Im Mai 2020 töteten Terroristen in Anzourou 20 Zivilist*innen. Sechs Wochen später wurden zehn Mit­ar­bei­te­r*in­nen der nichtstaatlichen Organisation „Aktion und Programm im Sahel“ (APIS) entführt.

Längst gilt in Teilen der Region der Ausnahmezustand, der alle drei Monate verlängert wird. Vor einem Jahr wurden zudem mancherorts Mopeds verboten, wovon sich Angreifer jedoch in keinster Weise abschrecken lassen. Beobachter kritisieren, dass sie weiterhin viel mobiler als die Sicherheitskräfte sind.

Zwischen Mali, Burkina Faso und Niger

Dass Tillabéri besonders betroffen ist, liegt auch an der geografischen Lage. Die Region grenzt an Mali und Burkina Faso. Die langen Grenzen sind kaum gesichert. Dschihadisten sind in weiten Gebieten im ländlichen Mali und Burkina Faso präsent, kontrollieren einige Gegenden sogar und dringen so in den Westen Nigers ein. Weder gelingt es durch die Präsenz ausländischer Sicherheitskräfte noch durch das eigene Militär, Gebiete zurückzuerobern.

Das liegt, so die Denkfabrik International Crisis Group (ICG), auch daran, dass Strukturen zusammen gebrochen seien: Weder funktioniere traditionelles Konfliktmanagement, noch ist es dem Staat gelungen, Vertrauen zu den Einwohner*innen aufzubauen.

In der Region Diffa im Südosten – Grenzgebiet zu Nigeria und Tschad – ist wiederum Boko Haram weiter aktiv. Erst vor drei Wochen griffen Anhänger dieser Miliz den Ort Toumour an und ermordeten 34 Menschen.

Stichwahl am 20. Februar

Nigers Sicherheitslage ist in den vergangen Wochen viel diskutiert worden. Grund dafür sind die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember gewesen, bei denen mit Anschläge gerechnet wurde. Tatsächlich ist es am Wahltag ruhig geblieben. Da keiner der 30 Präsidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit erreicht hat, kommt es am 20. Februar zu einer Stichwahl.

Aussichtsreichster Kandidat ist wie bereits vor dem ersten Wahlgang Mohamed Bazoum, 61, der unter dem scheidenden Präsidenten Mahamadou Issoufou zuerst Außen- und dann Innenminister war.

Bazoum, der 39,33 Prozent der Stimmen erhielt, gilt als Hardliner, der die Bür­ge­r*in­nen­rechte weiter beschränken könnte. Mit 17 Prozent hat Expräsident Mahamane Ousmane, 70, ebenfalls den Einzug in die Stichwahl geschafft. Die Wahlkommission verkündete das Ergebnis am Samstag, kurz vor dem blutigen Angriff.

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