Minderwertige Brustimplantate: TÜV haftet nicht
Hunderttausenden Frauen wurden Kissen aus Industriesilikon eingesetzt. Ein französisches Gericht hob nun ein Urteil gegen den Zertifizierer auf.
Die 1.700 geschädigten Frauen, denen 2013 in erster Instanz eine Entschädigung von insgesamt 5,8 Millionen Euro zugesprochen worden war, bekommen nichts, eventuell müssen sie dem TÜV sogar das Geld zurückzahlen.
Der TÜV war jahrelang für die Zertifizierung der Brustimplantate zuständig, die Hunderttausenden Frauen weltweit eingesetzt worden waren. 2010 war bekannt geworden, dass PIP seine Kissen statt mit Spezial- mit billigem Industrie-Silikon befüllt hatte. Sie rissen dadurch leichter, viele Frauen erlitten Entzündungen.
Der TÜV hatte nur Unterlagen und die Qualitätssicherung der Firma geprüft, nicht aber die Kissen selbst. Sie bekam das europäische CE-Siegel, mit dem Medizinprodukte verkauft werden dürfen. Die Klägerinnen warfen dem TÜV Schlamperei vor. Das Berufungsgericht erklärte nun, er habe die Verpflichtungen erfüllt.
Medizinrechtler hält Entscheidung für „bedauerlich“
Die Entscheidung sei auch ein „wichtiger Schritt“ in den weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen um den PIP-Skandal in Frankreich und Deutschland, sagte ein TÜV-Sprecher.
Der Berliner Medizinrechtler Jörg Heynemann, der zahlreiche deutsche Klägerinnen vertritt, hält die Entscheidung für „bedauerlich“. Er gehe „von eklatanten Verletzungen der Überwachungspflichten aus“, sagte er der taz. Künftig könnten sich Prüfer „von jeglicher Verantwortung für schadhafte Medizinprodukte freisprechen“.
Juristisch beendet ist der Skandal damit nicht: Eine Klägerin ist mit ihrem Anliegen bis zum Europäischen Gerichtshof vorgedrungen. Die Luxemburger Richter müssen nun klären, wie umfangreich die Prüfpflichten bei der Zertifizierung von Medizinprodukten sind und ob dazu beispielsweise auch unangemeldete Inspektionen gehören.
Der Gründer des mittlerweile insolventen Unternehmens PIP, Jean-Claude Mas, wurde 2013 in Frankreich zu vier Jahren Haft verurteilt. Sein Berufungsprozess soll im November beginnen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin