Milizen in Libyen: Amnesty sieht „Kriegsverbrechen“
Menschenrechtler beklagen „die totale Geringschätzung für das Leben von Zivilisten“ in Libyen. Insbesondere Racheakte seien weit verbreitet.
BERLIN afp | Die rivalisierenden Milizen in Libyen begehen nach Angaben von Amnesty International massive Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Entführungen, Folter, Brandschatzungen und Hinrichtungen seien an der Tagesordnung, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation. „Bewaffnete Gruppen und Milizen laufen Amok, greifen wahllos zivile Gebiete an und begehen völlig straflos unzählige Menschenrechtsverletzungen, von denen einige als Kriegsverbrechen geahndet werden könnten“, erklärte Amnesty-Expertin Hassiba Hadj Sahraoui.
Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in Libyen ein Dauerkonflikt rivalisierender Milizen. Die Menschenrechtler werfen in ihrem Report sowohl der nationalistischen Miliz aus der Gebirgsstadt Sintan als auch der islamistischen Miliz Fadschr Libya (Libyens Morgendämmerung) „unzählige Racheakte“ an verfeindeten Kämpfern und Zivilisten vor. Die Kämpfer hätten „die totale Geringschätzung für das Leben von Zivilisten unter Beweis gestellt“ und rücksichtslos Raketen und Artilleriegeschosse auf dicht besiedelte Gebiete abgefeuert.
Der Amnesty-Bericht stützte sich den Angaben zufolge auf 53 Gespräche mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen in West-Libyen sowie auf die Auswertung von Satellitenbildern, die unter anderem Angriffe auf Wohnhäuser und medizinische Hilfszentren dokumentieren sollen.
Amnesty International appellierte an alle Milizen und bewaffneten Gruppen, „sofort und bedingungslos“ alle politischen Gefangenen freizulassen und andere Häftlinge „menschlich und nach den Regeln des Kriegsrechts“ zu behandeln. Hadj Sahraoui forderte außerdem den Internationalen Strafgerichtshof auf, in Libyen tätig zu werden, um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuklären: „Wenn niemand zur Rechenschaft gezogen wird, versinkt Libyen weiterhin in einer Spirale der Gewalt.“
Bengasi und die Hauptstadt Tripolis waren im August zu großen Teilen an die islamistische Fadschr-Libya-Miliz gefallen, Mitte Oktober starteten ihre Rivalen eine Gegenoffensive. Sowohl die Regierung als auch das Parlament haben ihren Sitz aus Furcht vor den Aufständischen in den Osten des Landes verlegt. Die Islamisten setzten ihrerseits eine Parallelregierung in Tripolis ein.
Seit Juli sind nach UN-Schätzungen fast 400.000 Menschen durch die Kämpfe vertrieben worden. Rund 100.000 von ihnen sahen sich demnach gezwungen, das nordafrikanische Land ganz zu verlassen.
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