Militärtribunal im Kongo: Massenvergewaltigung vor Gericht
Im Kongo hat der bisher größte Prozess gegen Milizionäre begonnen. Die Anklage: Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Vor einem Militärtribunal in der Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo begann am Donnerstag der bisher größte Prozess des Landes gegen Milizenkommandeure. Angeklagt sind sie wegen Massenvergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist ein Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit. Im Vorverfahren wurden praktische Fragen besprochen: die Ernennung von Pflichtverteidigern, Probleme beim Zeugenschutz. Zahlreiche Zeugen und Mittler haben bereits Drohungen erhalten.
Als der Militärstaatsanwalt die Anklage verliest, verschränken die vier Angeklagten in blauen Häftlingsanzügen die Arme: Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Plünderung, Folter, Mord, Terrorismus, Teilnahme oder Anführung einer bewaffneten Gruppe, liest der Richter vor.
Auf der Anklagebank sitzen vier von acht Angeklagten, die für eine Massenvergewaltigung im Juli 2010 in dem kleinen Dschungeldorf Luvungi und den benachbarten Orten im Urwalddistrikt Walikale rund 150 Kilometer westlich von Goma verantwortlich gemacht werden. Nach UN-Angaben wurden 387 Menschen vergewaltigt: 300 Frauen, 23 Männer, 55 Mädchen und 9 Jungen. Das älteste Opfer war 79 Jahre, das jüngste 2 Jahre alt. Es war eines der größten Einzelverbrechen in der Horrorgeschichte der Bürgerkriege im Kongo. 2011 erließ Kongos Militärjustiz acht Haftbefehle gegen die mutmaßlichen Täter.
Vier weitere Angeklagte im Dschungel oder tot
Die Ermittlungen zogen sich über Jahre hin. Um Zeugenaussagen aufzunehmen, musste die UN-Mission im Kongo (Monusco) die Militärstaatsanwaltschaft von Goma ausstatten – vom Kugelschreiber bis zum Transport mit Hubschraubern. Die Sachlage war komplex: Drei Milizen und Kongos Armee hatten sich nahe Luvungi um eine Goldmine gestritten und sich gegenseitig jeweils an den Frauen und Verwandten ihrer Gegner vergriffen.
Dann kam den Militärstaatsanwälten der Zufall zu Hilfe: Bei einer Militäroperation 2015 ging der kongolesischen Armee Hauptmann Seraphin Lionceau ins Netz, ein Kommandeur der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Er hatte die FDLR-Truppen rund um Luvungi angeführt. Sein Gegner: Ntabo Ntaberi Sheka, Anführer der in Walikale beheimateten Miliz Nduma Verteidigungskräfte (NDC) und seit Jahren im Ostkongo berüchtigt. Sheka stellte sich 2017 den UN-Blauhelmen. Die zwei anderen mutmaßlichen Täter auf der Anklagebank sind als Unteroffiziere weniger bekannt. Die vier weiteren Angeklagten sind weiterhin im Dschungel oder bereits tot.
Zum ersten Mal steht nun im Kongo ein Kommandeur der ruandischen FDLR-Miliz, eine der brutalsten bewaffneten Gruppen der Region, vor Gericht. Und erst am vergangenen Sonntag gingen Kongos Armee zwei wichtige FDLR-Funktionäre ins Netz, als sie gerade von einer Reise ins Nachbarland Uganda zurückkamen und den Grenzposten Bunagana überquerten: der langjährige FDLR-Sprecher Laforge Fils Bazeye und der Vize-Geheimdienstchef der Miliz, bekannt unter dem Kriegsnamen „Mwenebantu“. Beide wurden nach Kinshasa geflogen, um dort von Kongos Militärgeheimdienst verhört zu werden. Danach sollen sie nach Ruanda überstellt werden, versichert die Regierung.
„Die FDLR ist quasi erledigt“, sagt ein Analyst in Goma, der in der Monusco für die Entwaffnung der FDLR zuständig ist und aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden kann. In den vergangenen Monaten ergaben sich wöchentlich rund fünf bis zehn Kämpfer, die von der UN in ihr Heimatland zurückgebracht werden. Übrig sind im kongolesischen Dschungel noch rund 300 Kämpfer.
Kongos Armee geht gezielt gegen die FDLR vor. Auch lokale Milizen, die früher mit der FDLR kollaborierten, wenden sich jetzt gegen sie. Die lokale Bevölkerung in den von der FDLR besetzten Gebieten versorgt die Armee mit Informationen über FDLR-Verstecke im Dschungel – auch das ist neu. Nach der Festnahme vom Sonntag sind nur noch drei hohe Generäle übrig, die den Fortbestand der FDLR garantieren.
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