Militärmanöver „Trident Juncture 2018“: Elchtest für die Nato
Krieg spielen, aber ökologisch: Beim größten Nato-Manöver seit 28 Jahren soll Stärke demonstriert werden – und Umweltbewusstsein.
„Trident Juncture 2018“ – das ist der Name des größten Nato-Manövers seit dem Ende des Kalten Krieges, an dem 50.000 Soldatinnen und Soldaten beteiligt sind. Trainiert wird die gemeinsame Abwehr eines fiktiven Gegners. Doch bei dem großen Kriegsspiel sind einige Regeln zu beachten. Darauf besteht die norwegische Regierung. Egal, ob gerade die „roten Kräfte“ in der Offensive sind oder die „blauen Kräfte“ ihren Gegenangriff starten, stets gelte: „Der Umweltschutz ist manövertechnischen Bedürfnissen übergeordnet.“
Das bedeutet: „Übungsmunition ist – wenn sie verwendet wurde – wieder einzusammeln.“ Auch solle kein Stacheldraht im Übungsgebiet hinterlassen werden. Außerdem: „Bereiche mit gepflanzten Nadelbäumen sind verbotenes Gelände.“ Und Achtung: „Die eigenmächtige Müllbeseitigung im Übungsgebiet ist streng verboten.“
Nicht zu vergessen: „Größere Verschmutzungen sind der Feuerwehr unter Tel. 110 zu melden.“ Auch die Nummer der Polizei ist in der Umweltbroschüre vermerkt. Es ist die 112. Ob die mehr als 8.000 BundeswehrsoldatInnen, die sich derzeit in Norwegen befinden, mit diesem für sie ungewohnten Zahlendreher zurechtkommen?
Das Nato-Manöver
Am 25. Oktober hat mit Trident Juncture (TRJE18) die größte Kriegsübung seit 1990 begonnen. Mit dem zweiwöchigen Manöver soll laut Nato-Militärs „die Zusammenarbeit beim Einsatz in großen Schlachten geübt“ sowie „Entschlossenheit gegenüber Russland demonstriert“ werden. 90 Millionen Euro kostet Deutschland die Teilnahme.
Die Teilnehmer
Beteiligt sind 50.000 Soldaten aus allen 29 Mitgliedstaaten sowie aus den skandinavischen Nato-Partnerländern Schweden und Finnland. Die Bundeswehr stellt mit 10.000 Soldaten, davon 8.000 in Norwegen, das zweitgrößte Kontingent nach den USA. Rund 10.000 Panzer, 65 Kriegsschiffe sowie 150 Kampfflugzeuge und -hubschrauber kommen auf dem norwegischen Festland, in der Ostsee und im Nordatlantik sowie im Luftraum zum Einsatz.
Umweltschäden im Emsland
Am 3. September war nach einem Raketentest auf einem Militärgelände bei Meppen ein Schwelbrand entstanden. Auf dem durch monatelange Dürre ausgetrockneten Moor breitete er sich insgesamt auf einer Fläche von etwa zwei mal vier Kilometern aus. Erst am 10. Oktober verkündete die Bundeswehr, dass der Brand gelöscht sei.
Die Forderung
Die Grünen fordern die Bundeswehr zu Investitionen in den Moorschutz auf. Durch den Moorbrand sei „ein gesamtgesellschaftlichen Schaden allein durch CO2-Emmissionen von knapp 100 Millionen Euro“ entstanden. „Diese Summe muss die Bundeswehr in den Moorschutz in Niedersachsen investieren“, forderte am Dienstag die energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Julia Verlinden.
Als Ursula von der Leyen am Mittwochmorgen auf dem Flughafen Oslo-Gardermoen landet, ist es nasskalt. Die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Ein feiner Nieselregen ist dabei, den Schnee vom Vortag in Matsch zu verwandeln. Wetter- und anlassgerecht mit einer warmen braunen Daunenjacke und beigefarbenen Wanderschuhen ausgestattet, entsteigt die Bundesverteidigungsministerin der Regierungsmaschine.
Ihr Ziel ist das 170 Kilometer nördlich von Oslo gelegene Örtchen Rena. Nur ein paar Minuten davon entfernt befindet sich Norwegens größter Truppenübungsplatz. Umrandet von riesigen Kiefernwäldern steht dort nun auf einem roten Schotterplatz das größte von 50 Feldlagern, die im ganzen Land für das „Trident Juncture“-Manöver aufgeschlagen worden sind. Bis zu 8.000 SoldatInnen können im Camp Rødsmoen untergebracht werden. Zurzeit sind es knapp 4.000, davon 2.300 Deutsche.
Wären da nicht die ganzen Panzer und das sonstige militärische Gerät, gliche das Camp einem überdimensionierten Pfadfinderlager: Geschlafen wird in großen weißen Zelten für bis zu 500 Personen, die unterteilt sind in kleinere Einheiten mit je sechzehn Feldbetten.
Von der Leyen schaut sich auch eines der beiden großen Verpflegungszelte an, die bis zu 2.500 Leute fassen. Wer hineintritt, muss erst mal ein langes Desinfektionsbecken für die Hände passieren. Auf der Speisekarte steht die obligatorische Erbsensuppe, es gibt aber auch diverse Salate – und viel Lachs.
Insgesamt hat Deutschland 8.000 SoldatInnen nach Norwegen verlegt und ist damit hinter den USA zweitgrößter Truppensteller. „Unsere Bundeswehr kann richtig stolz darauf sein, was sie hier leistet“, lobt von der Leyen bei ihrem Truppenbesuch.
Der starke deutsche Anteil hängt damit zusammen, dass die Bundeswehr im kommenden Jahr die Führung der schnellen Eingreiftruppe der Nato, der „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF), übernehmen wird. In Norwegen will sie unter Beweis stellen, dass sie für diese Aufgabe gerüstet ist.
So stammen 4.000 der insgesamt 10.000 eingesetzten Militärfahrzeuge von der Bundeswehr, darunter 30 Leopard-Kampfpanzer, 28 Marder-Schützenpanzer und 67 Fuchs-Transportpanzer. In der Luft ist sie mit vier Tornados, vier Eurofightern und einem militärischen Airbus-Transportflugzeug präsent. In den norwegischen Gewässern plätschert außerdem das Minenjagdboot Homburg. Es verdiene „Respekt und Anerkennung, was die Truppe hier auf die Beine stellt“, schwärmt von der Leyen.
Darüber hinaus ist die deutsche Marine gerade auch noch beim parallel stattfindenden Seemanöver „Northern Coasts 2018“ vor Finnland mit einer Fregatte, einer Korvette sowie drei Minenabwehrbooten vertreten. Bei diesem Manöver, an dem 4.000 Soldaten aus 13 Nationen teilnehmen, soll die Sicherung der Seewege in der östlichen Ostsee trainiert werden.
„Signal der Abschreckung“
Krieg zu spielen ist ein teures Vergnügen. Über die Gesamtkosten von „Trident Juncture“ macht die Nato zwar keine Angaben. Bekannt ist allerdings, dass sich alleine Deutschland den Spaß etwa 90 Millionen Euro kosten lässt. Insgesamt hat das Verteidigungsministerium für die Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Übungen und Manövern in diesem Jahr rund 298 Millionen Euro springen lassen. 2017 waren es 264 Millionen Euro.
Aber welchen Sinn machen solche Manöver überhaupt? Mag „Trident Juncture“ auch mit fiktiven Fronten arbeiten, lässt die Nato doch keinen Zweifel daran, auf wen das Planspiel abzielt: auf Russland. „Damit senden wir ein Signal der Abschreckung“, sagt der norwegische Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Wir machen das, um Konflikte zu vermeiden, und nicht um einen Konflikt zu provozieren.“
Die Putin-Administration spricht demgegenüber genau davon: von einer Provokation – und führt nun selbst seit Donnerstag Raketentests in den internationalen Gewässern vor Norwegens Westküste durch. Also dort, wo auch Kriegsschiffe der Nato kreisen. „Wir zählen auf Russlands Professionalität“, hofft Stoltenberg darauf, dass es zu keinem Zusammenstoß kommt.
Erinnerung an den Kalten Krieg
Tatsächlich hat es eine gewisse Brisanz, dass die Nato ausgerechnet solch eine Großübung in einem Land stattfinden lässt, das über eine gemeinsame Grenze mit Russland verfügt. Das erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten. Bis zur Auflösung des Warschauer Paktes führten die westlichen Verbündeten regelmäßig ein solches Schauspiel an der damaligen „Systemgrenze“ auf.
Der Vorteil für die Bundeswehr war seinerzeit, dass sie es nicht so weit hatte. Return of Forces to Germany“, kurz Reforger, hieß das Nato-Event, das von 1969 an jährlich in Westdeutschland stattfand und 1988 mit 124.800 beteiligten SoldatInnen seinen Höhepunkt fand. Für die Regulierung der angerichteten Flurschäden war die bundesdeutsche Verteidigungslastenverwaltung zuständig
Das letzte Reforger-Manöver, das größer als „Trident Juncture“ war, fand mit 57.300 TeilnehmerInnen im Januar 1990 statt, also wenige Monate nach dem Mauerfall. Nach Ende der Sowjetunion kam solch militärische Kraftmeierei aus der Mode.
Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass es auch in Russland eine Renaissance des Säbelrasselns gibt. Unter Beteiligung chinesischer und mongolischer Streitkräfte veranstaltete die Putin-Administration ihrerseits erst im September in Sibirien mit „Wostok 2018“ eine riesige Militärübung.
Es sei „so etwas wie die Wiederholung von ‚Sapad 81‘, aber in mancherlei Hinsicht sogar noch größer“, schwärmte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu. „Sapad 81“ gilt mit 150.000 Beteiligten als das größte Militärmanöver des Warschauer Paktes und fand im September 1981 in Polen und Kaliningrad statt.
Smalltalk und Händeschütteln
Ob „Wostok 2018“ oder „Trident Juncture“: Deeskalierend wirkt das eine so wenig wie das andere. Aber darüber spricht Ursula von der Leyen am Mittwoch nicht im Camp Rødsmoen. Stattdessen lobt sie, wie „hochmotiviert“ und „hochprofessionell“ die BundeswehrsoldatInnen zu Werke gingen.
Etwa zwei Stunden dauert der Besuch der Ministerin. Dann verlässt sie nach etlichen Smaltalks und noch mehr geschüttelten Händen das Lager und fährt zurück nach Oslo, wo sie noch kurz ein Logistikcamp der Bundeswehr besucht. Am späten Nachmittag steigt sie wieder in ihren Regierungsflieger.
Für die Soldatinnen und Soldaten geht das Manöver noch rund eine Woche weiter. Eine ganz besondere Herausforderung sind dabei die in Norwegen lebenden Hirsche, Rentiere und Elche. Es sei „sehr wahrscheinlich“, während der Übung auf sie zu treffen, heißt es in der norwegischen Umweltbroschüre.
Für diesen Fall gibt es die eindringliche Empfehlung: „Man sollte vermeiden, die Tiere dazu zu bringen, sich zu bewegen.“ Wenn „gestresste Tiere“ beobachtet werden, sei dies unverzüglich der Schadens- und Umweltschutzgruppe zu melden.
Noch bis zum 7. November ist das Camp Rødsmoen in Betrieb. Wenn die weiße Zeltstadt abgebaut ist, soll das Gelände wieder aufgeforstet werden, hat das norwegische Verteidigungsministerium angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten