Milde Strafen für Überfall in Ballstädt: Und sie grinsen
Rechtsextreme verübten 2014 einen brutalen Angriff im thüringischen Ballstädt – und kommen nun mit Bewährungsstrafen davon. Die Opfer sind empört.
Ein anderer dagegen verfolgt die Worte konsterniert, vorne auf der Bank der Nebenkläger: Maximilian P. Der junge Mann gehörte zur Kirmesgesellschaft in Ballstädt, als diese vor sieben Jahren, in der Nacht zum 9. Februar 2014, von Neonazis überfallen wurde – von den neun Angeklagten, die ihm heute gegenüber sitzen. Und die nun zu Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurden. Eine Strafhöhe, die Maximilian P. später „völlig unverständlich“ nennt. Und auch die Generalkritik der Richterin findet er „unterste Kanone“.
Tatsächlich hatte der Überfall in Ballstädt 2014 bundesweit für Entsetzen gesorgt. Die Kirmesgesellschaft hatte damals im Kulturzentrum ein Dankesfest gefeiert, als die vermummten Rechtsextremen hineinstürmten. Wer die Scheibe im „Gelben Haus“, ihrer Wohngemeinschaft im Ort, eingeschmissen habe, rief der Anführer Thomas W.
Dann schlugen er und die anderen Rechtsextremen zu, selbst auf einen Schlafenden. Nach zwei Minuten blieben Scherben, Blutlachen und zehn teils schwer Verletzte zurück, mit Platzwunden im Gesicht, Knochenbrüchen, abgesplitterten Zähnen, einem verletzten Ohr.
Ein Angriff wie ein „Überfallkommando“
Von einem „Überfallkommando“ und einer gemeinschaftlich gefährlichen Körperverletzung spricht Richterin Rathemacher. Die Angeklagten hätten auf die eingeworfene Scheibe „völlig überzogen und ungerechtfertigt“ reagiert, es auf Gewalt abgesehen gehabt. „Selbstjustiz und Rache ist nie zu billigen.“ Die Opfer würden den Angriff wohl nie vergessen. Auch zwei Minuten könnten „sehr, sehr lange sein“.
Und dennoch kommen die Rechtsextremen – viele von ihnen seit Jahren Teil der Neonazi-Szene – nun milde davon. Alle erhalten Bewährungsstrafen, ausgesetzt auf bis zu drei Jahre. Einige müssen außerdem bis zu 3.000 Euro an den Förderverein einer Ballstädter Kita entrichten, andere bis zu 300 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Gegen einen Angeklagten, der Mitbeschuldigte breit belastet hatte, und eine Angeklagte, die beim Angriff Schmiere stand, wurde das Verfahren schon zuvor vorläufig eingestellt – sie mussten 3.000 und 6.000 Euro Geldauflage zahlen.
Die Milde hat auch mit der langen Verfahrensdauer zu tun: Ein erstes Urteil mit Haftstrafen bis zu dreieinhalb Jahren wurde 2020 vom Bundesgerichtshof aufgehoben, da es mangelhaft begründet gewesen sei. Diesmal einigte sich das Gericht auf Deals mit den Neonazis: Bewährungsstrafen gegen Geständnisse.
Die Rechtsextremen beließen es teils allerdings bei dürren Aussagen.Sie hätten an den Angriff keine Erinnerung mehr, wären aber wohl dabei gewesen, erklärten gleich mehrere. Und auch sie verwiesen auf das eingeworfene Fenster. Die Kirmesgesellschaft bestreitet indes bis heute, etwas damit zu tun zu haben. Auch ein Neonazi räumte im Prozess ein, man habe wohl die Falschen getroffen.
Ausdauernder Protest gegen die Deals
Mit Kundgebungen protestierten Linke jeden Prozesstag gegen die Deals. Auch die AnwältInnen der Verletzten verwahrten sich dagegen, verzichteten im Prozess am Ende aus Protest auf ihre Plädoyers. Der Prozess sei eine „Farce“ und „ein abgekartetes Spiel“ gewesen, kritisierten sie stattdessen in einer Stellungnahme. Die Rechte der Opfer seien übergangen worden. Es sei nur darum gegangen, das Verfahren „schnell vom Tisch zu bekommen“. Die milden Urteile stärkten nun die Neonazi-Szene.
Hinzu kommt: Drei der Angeklagten, darunter Thomas W., sitzen derzeit in U-Haft, weil sie mit ihrer rechtsextremen „Turonen“-Truppe Drogenhandel und Geldwäsche in größerem Stil betrieben haben sollen. Ein weiterer, Marcus R., wurde gerade erst wegen des Verdachts eines Sexualdelikts festgenommen. Für eine günstige Sozialprognose spricht das nicht. Dennoch erhalten auch sie Bewährungsstrafen. Richterin Rathemacher bezieht die neuen Vorwürfe in ihr Urteil nicht mit ein – sondern betont hier die Unschuldsvermutung.
Vielmehr teilt Rathemacher in Richtung Nebenklage-AnwältInnen aus. Diese hätten im Prozess haltlose Vorwürfe gemacht und ihre Mandanten politisch instrumentalisiert. Die Deals verteidigt die Richterin: Diese stünden grundsätzlich erstmal allen Angeklagten zu. Zudem sei es damit gelungen, Geständnisse zu erhalten und trotz dünner Beweislage alle Angeklagten zu verurteilten – andernfalls hätte es auch Freisprüche geben können.
Richterin sieht kein politisches Motiv
Und auch das behauptete politische Motiv gebe es nicht. Es sei um Rache für das kaputte Fenster gegangen, die auch Fußballfans oder Motorradrocker hätte treffen können. „Das hat mit rechter Gesinnung nichts zu tun.“ Ein kühner Vergleich für eine arglos überfallene Kirmesgesellschaft – umso mehr, da der Zuzug der Rechtsextremen ins Dorf zuvor zum Politikum wurde, Demonstrationen inklusive.
Rathemacher aber teilt noch weiter aus. Auch die Politiker:innen, die sich gegen die Deals ausgesprochen hätten, hätten die Gewaltenteilung nicht verstanden, erklärt die Richterin. Und die Öffentlichkeit habe zwar ein Recht auf Information, „aber kein Recht auf Einmischung“. Zudem könne man schon auch fragen, warum das „Gelbe Haus“ mit einem Stein attackiert worden sei. „Gibt es gute Gewalt? Keine Gewalt ist gut.“
Die Nebenklage sieht eine Täter-Opfer-Umkehr
Nebenklageanwältin Kati Lang spricht von einer „Täter-Opfer-Umkehr“ und einer „Verharmlosung rechter Gewalt, die ich so noch nicht erlebt habe“. Der Rechtsstaat werde hier zum „zahnlosen Tiger“. Es gebe keinen Anspruch auf einen Deal vor Gericht. Und natürlich sei der Angriff von Ballstädt eine politische Tat. Schließlich seien die Neonazis an dem Abend auf der Suche nach „Zecken“ gewesen, hätten zuerst ein linkes Projekt in Gotha aufgesucht und dann dem Dorf, das sie gegen sich sahen, eine Lektion erteilen wollen. „Die Tat war ein rechtes Dominanzsymbol.“
Die Rechtsextremen spazieren derweil gut gelaunt aus dem Gericht, auch ihre Gesinnungskameraden auf der Empore sind zufrieden. „Nazis raus“-Rufe schallen ihnen von der Kundgebung entgegen. Einige rufen dort auch: „Justizskandal“. Unter den Protestierenden steht auch die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, die das Urteil ebenfalls „eine Schweinerei“ nennt. „Das ist heute eine Diffamierung aller, die sich antifaschistisch engagieren oder sich für Betroffene rechter Gewalt einsetzen.“ Auch der SPD-Abgeordnete Denny Möller spricht von einem „verheerenden Signal“ durch das Urteil.
Vor dem Gericht steht da auch Maximilian P., der bei dem Angriff damals verletzt wurde. Auch er nennt die Urteilsverkündung „sehr unangenehm“. „Dass damit einer von uns abschließen kann, glaube ich nicht.“ Auch die Vorwürfe an die NebenklageanwältInnen sei abwegig. „Als ob wir die Kritik nicht selber üben würden.“ Und die Neonazis genössen dank der milden Strafen nun einmal mehr „Narrenfreiheit“. „Ich würde mich nicht wundern, wenn die heute noch feiern gehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko