Mikrokredite in Kambodscha: „Das schafft Armut“
Mikrokredite sollen Menschen unterstützen, die keine Chance auf ein Darlehen haben. In Kambodscha bewirken sie oft nur Verschuldung.
Die kambodschanische Nichtregierungsorganisation setzt sich für Landrechte und gegen Landraub ein. Seit einigen Jahren kritisiert sie die hohe Überschuldung von Einwohnern durch Mikrokredite. Dabei handelt es sich am Anfang meist um kleine Darlehen von umgerechnet ein paar Hundert bis Tausend Euro an Privatpersonen.
Die hohe Anzahl an verschuldeten Kreditnehmer:innen, die die Rückzahlungen nicht leisten können, führe „in einer nicht akzeptablen Zahl von Fällen zu der Notwendigkeit für die Schuldner:innen, Land verkaufen zu müssen“, bestätigt nun eine aktuelle Studie der Universität Duisburg-Essen mit Förderung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Neben Land verkaufen die Schuldner:innen auch andere Güter, die sie zum Erwerb benötigen, wie Fahrzeuge. Einige reduzieren ihre Nahrungsmittel, „in seltenen Fällen“ komme es zu Kinderarbeit oder forcierter Arbeitsmigration, so die Studie.
„50.000 Landtitel wurden in 5 Jahren privatisiert“
Somoul beschreibt im Video, wie das passiert: Viele verschulden sich, um ihre Rückzahlungen anderer Kredite zu begleichen. Pandemie, Wirtschaftskrise und Arbeitsverlust haben Probleme verschärft, sagt die Aktivistin aus der Provinz Pailin im Westen Kambodschas. „In den letzten 5 Jahren wurden 50.000 Landtitel privatisiert. Die Situation war schon vor Covid schlimm, aber die Pandemie hat es noch schwieriger gemacht“, sagt der Geschäftsführer von Equitable Cambodia, Eang Vuthy, der taz.
Eigentlich sollten Mikrokredite Armut verringern. Sie sind Teil der deutschen entwicklungspolitischen Strategie. Ziel ist es, Menschen, die sonst keinen Zugang zu Krediten hätten, Mittel zur Verfügung zu stellen, um Investitionen zu ermöglichen, etwa in ihren Landwirtschaftsbetrieb.
Heute sind viele Mikrofinanzinstitute jedoch eng mit ausländischen Banken, Investmentfirmen und westlichen Entwicklungsagenturen verbunden, die erhebliche Gewinne mit ihnen machen, schreibt die Menschenrechtsorganisation FIAN in einer Untersuchung zur Problematik im Februar. Demnach beliefen sich die Gewinne im Jahr 2017 auf 130 Millionen US-Dollar. Und auch im Jahr 2020, als die Covid-19-Pandemie ausbrach, waren es „nach Angaben der Nationalbank von Kambodscha sogar 453 Millionen US-Dollar“. Die Berechnung umfasste 81 Kreditinstitute. Banken, die ebenfalls im Mikrofinanzsektor tätig sind, werden nicht berücksichtigt.
Bundesregierung kennt das Problem
Aus Deutschland kommt das Geld für den Finanzsektor unter anderem von der staatlichen Deutschen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) in Höhe von rund 60 Millionen Euro. Es geht an zwei Geschäftsbanken, die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben. Zusätzlich gibt es regionale Mikrofinanzprogramme der KfW Entwicklungsbank. „Die Entwicklungsbanken und Mikrofinanzfonds haben ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Kambodscha zweifelsohne missachtet“, sagt Mathias Pfeifer, Referent bei FIAN. „Die Bundesregierung und andere Geber wissen seit mindestens 2017 um die gravierende Überschuldung in Kambodscha. Sie haben aber so gut wie nichts unternommen, um das Problem anzugehen, und pumpen bis heute Millionen von Euro in den Sektor“.
Bereits 2017 hatte das BMZ eine Studie in Auftrag gegeben, die eine ernsthafte Gefährdung für einkommensschwache Kreditnehmer durch Überschuldung und damit einhergehenden Verlust von Landtiteln feststellte. In der Konsequenz deckelte die kambodschanische Nationalbank 2017 die Zinsobergrenze auf 18 Prozent.
Das BMZ habe seit 2018 keine Neuzusagen im Mikrofinanzsektor in Kambodscha mehr vorgenommen und unterstütze keine neuen multilateralen Engagements in diesem Bereich, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Die aktuelle Studie werde als Grundlage für den weiteren Dialog mit dem kambodschanischen Partner dienen. „Im Oktober werden in Phnom Penh Regierungskonsultationen zur bilateralen Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt. Die Situation des Mikrofinanzsektors im Land wird dabei auf der Tagesordnung stehen“ und „Reformansätze“ sollen besprochen werden.
Landtitel sollten nicht an Kreditvergabe gekoppelt sein
Die aktuelle Studie empfiehlt unter anderem einen Schuldenerlass für arme Kreditnehmer:innen und die Entkoppelung von Landtiteln von der Kreditvergabe sowie sorgfältigere Vergabeverfahren.
Die Regierung in Kambodscha wies die Kritik der NGOs in einer Pressemitteilung vom Dienstag zurück. Vuthy überrascht das nicht. „Unsere Regierung ignoriert das Problem. Wir werden nicht zu Gesprächen mit den Kreditinstituten geladen und wurden sogar unter Druck gesetzt, unsere Befunde zu ändern“, empört er sich.
Zu den Privatinvestoren gehören ethische Banken wie Oikocredit, Triodos Bank, Invest in Visions, Vision Microfinance, die Bank im Bistum Essen und die GLS Bank. Viele von ihnen haben Gespräche zur Problematik mit kambodschanischen Mikrofinanzinstituten gesucht und sind laut Sprecher der Banken auch im Austausch untereinander. Sie beteuern die Problematik zu sehen, aber konnten sie in Bezug auf ihre Partner nicht bestätigen.
Somul bringt die Stimmung der überschuldeten Kreditnehmer:innen in Kambodscha auf den Punkt: „Die Politik der Banken ist es, die Armut zu verringern, aber wenn wir sie um Hilfe bitten und sie nicht einverstanden sind, verringert das nicht die Armut, sondern schafft Armut.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade