: Migrantenstudie
■ 63 Prozent der Kinder sprechen bei ihrer Einschulung kein Deutsch
Der Berliner Erziehungswissenschaftler Ali Ucar hat zwanzig ErzieherInnen von Kreuzberger Vorschulklassen zu den Sprachkenntnissen ihrer Schüler befragt. Das Ergebnis: 63 Prozent der Kinder nicht deutscher Herkunft sprachen bei der Einschulung nach Einschätzung der Erzieherinnen gar kein oder wenig Deutsch. Im Focus der Studie standen Schulen in Südost-Kreuzberg. Von den 328 Kindern, die die Vorklassen besuchten, stammten dort 273 aus Migrantenfamilien. Hinter den mangelnden Sprachkenntnissen, so Ucar, verberge sich ein ganzes Bündel von Ursachen: Immer mehr Migranten lebten in „ghettoähnlichen Wohnsituationen“, in denen der Kontakt zur deutschen Sprache immer schwieriger wird. Zudem lassen immer mehr junge Erwachsene, die seit langem in Berlin leben, ihre Ehegatten aus dem Herkunftsland nachziehen.
Resultat: Die Kinder werden in Familien geboren, in denen ein Elternteil kein Deutsch kann. Nachgezogene Ehefrauen leben in der Isolation als Hausfrau und Mutter oft zehn Jahre lang in der Stadt, ohne Deutsch gelernt zu haben und ohne zu wissen, wo sie es hätten lernen sollen. Türkische Massenmedien werden zudem immer verfügbarer, Telefonate in die Heimat billiger. Deutsch tritt zunehmend in den Hintergrund. „Manche Kinder sitzen sechs oder sieben Stunden täglich vor dem Fernseher“, so Ucar. „Wenn sie wenigstens deutsche Programme sehen würden, wäre schon einiges gewonnen.“
Weitere Ursachen: Fehlendes Interesse der Eltern an einer guten Ausbildung ihres Kindes, starker Einfluss der ersten Generation in der Familie, Pendlerdasein zwischen Deutschland und dem Herkunftsland, mangelndes Wissen über zweisprachige Erziehung. „Viele Eltern sind hilflos. Sie wissen nicht, welche Sprache sie mit dem Kind wann sprechen sollen“, sagt Ucar. „Oft ist es am einfachsten, bei Türkisch zu bleiben.“ Dazu komme die oft gnadenlose Überforderung des pädagogischen Personals. „Es hat Versuche in Kreuzberg gegeben, Kitakinder, die kein Deutsch können, eine halbe Stunde früher kommen zu lassen“, erzählt Ucar, der lange als Schulpsychologe in Kreuzberg gearbeitet hat. „Aber dann stehen die Erzieherinnen da und fragen: Und wie sollen wir denen das beibringen?“ jago
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen