Migrantengefängnisse in Libyen: Nur die Schmuggler sind vorbereitet
Drei Lager sind geräumt, die Flüchtlinge fort. Libyens Küstenwache erwartet eine neue Massenflucht nach Europa. Viele werden ertrinken.
Libyens Innenminister Fathi Bashaga hat am Wochenende drei Migrantengefängnisse in Westlibyen schließen lassen. In Tajoura und den Küstenstädten Misrata und al-Chums verließen Hunderte Westafrikaner die zu Gefängnissen umgebauten Lagerhallen und Schulen. Von Misratas Vorort al-Kararim machten sich am Sonntag 900 Menschen zu Fuß auf in Richtung Innenstadt.
Das UNHCR fordert seit Monaten die sofortige Freilassung der in Libyen wegen illegaler Migration inhaftierten Flüchtlinge. Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit sind nach UN-Erkenntnissen in vielen inspizierten Gefängnissen Alltag. Sie sind im Krieg zwischen der in Tripolis sitzenden Regierung und der im Osten stationierten Libyschen Nationalarmee (LNA) unter Feldmarschall Haftar nicht sicher: Bei einem LNA-Angriff auf ein Lager im Hauptstadtvorort Tajoura waren am 2. Juli mindestens 50 Menschen aus sechs Ländern getötet worden.
Innenminister Bashaga beklagte nach dem Luftangriff die mangelnde Unterstützung aus Europa. „Wir werden alle Lager schließen, sollte sich die Lage nicht ändern“, warnte Bashaga nach einem Treffen mit einer EU-Delegation am 17. Juli. „Wir können keinen Verteidigungskrieg gegen einen skrupellosen Gegner führen und uns gleichzeitig um Tausende Migranten und Flüchtlinge kümmern.“ Trotz dieser Ankündigung scheint die neue Entwicklung die internationalen Organisationen zu überraschen. UNHCR-Sprecher Mahecic bestätigte in Genf, dass man die Entscheidung begrüße, doch über das Schicksal der Freigelassenen habe man keine Informationen.
Gegenüber der taz berichten die Wachen von al-Kararim in Misrata jetzt, dass die meisten Westafrikaner das Lager eigenständig und praktisch mittellos in unbekannte Richtung verlassen hätten. Was ihnen blühen könnte, ist an den umliegenden Stränden zu sehen. Am Sonntag fanden Helfer des Roten Halbmonds 20 angespülte Leichen im benachbarten al-Chums. 100 Menschen werden vermisst, nachdem ihr hölzernes Fischerboot rund vier Kilometer vor der Küste gekentert war.
Ohne Funkgeräte auch keine Notrufe
Mit Mundschutz und roten Overalls patrouillieren mittlerweile täglich die Helfer die kilometerweiten Sandstrände zwischen der tunesischen Grenze und al-Chums. Mustafa Abuzeid, Kommandeur des Patrouillenbootes „Fezzan“, läuft von seiner Basis im Hafen von Tripolis fast täglich zu Rettungseinsätzen aus. Mit 12 aus Italien gelieferten Patrouillenbooten versucht die libysche Küstenwache, die 70 mal 300 Kilometer umfassende libysche Seerettungszone nach Schiffbrüchigen abzusuchen.
„Manchmal finden wir nach mehreren Stunden die von der Rettungsstelle in Tripolis gemeldeten Unglücksorte. Manchmal finden wird auch nur noch Teile der Schlauchboote. Boote, die wir nicht rechtzeitig finden, haben keine Chance“, sagt Abuzeid. „Denn die Schlepper überladen die mit nur drei Luftkammern ausgestatteten 10-Meter-Schlauchboote in diesem Sommer mit bis zu 200 Menschen. Zuvor waren es höchstens 120.“
Abuzeid schätzt, dass die Hälfte der aus Libyen abfahrenden Boote unentdeckt und ohne Überlebende sinkt. „Ohne Funkgeräte gibt es auch keine Notrufe.“ Aus abgehörten Funksprüchen und Telefonaten der Schmuggler wissen die libyschen Marineoffiziere, dass die Menschenhändler mit einem erneuten Ansturm aufs Meer rechnen. In Tunesien und Ägypten werden neue Fischerboote geordert, online werden chinesische Schlauchboote bestellt. Geliefert werden diese über die Containerhafen in Chums oder Tripolis, rund 2.500 Euro pro Boot.
Abuzeid fürchtet, dass in den nächsten Wochen alle 5.000 Insassen der Internierungslager für Migranten unorganisiert freikommen. Darauf seien zurzeit nur die Schmuggler vorbereitet.
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