Mieterbund über sozialen Wohnungsbau: „Das ist ein Konstruktionsfehler“
Ulrike Hamann vom Berliner Mieterverein kritisiert die Fördersystematik des sozialen Wohnungsbaus. Die Allgemeinheit müsse langfristig profitieren.
taz: Frau Hamann, laut einer neuen Studie wird die Bundesregierung ihr Ziel verfehlen, 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr zu schaffen. Wie bewerten Sie das?
Ulrike Hamann: Mit der Studie wird der Mangel an leistbarem Wohnraum unterstrichen. Aber selbst wenn die Bundesregierung unserer Forderung nach einem Sondervermögen folgt, ist es wichtig, aus alten Fehlern zu lernen.
Wie meinen Sie das?
Die Fördersystematik funktioniert ja bislang so: Private Eigentümer bekommen vom Staat Fördergelder dafür, dass gebaute Wohnungen temporär belegungsgebunden sind. Das heißt, die Wohnungen werden an Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein vergeben und die Mieten sind relativ günstig. Aber diese Sozialbindung ist zeitlich begrenzt, und kann auch vorzeitig aufgehoben werden, wenn die Eigentümer*innen ihre Darlehen früher zurückzahlen. In Berlin beträgt die Sozialbindung 30 Jahre, die Dauer variiert in den einzelnen Bundesländern. Danach können die Wohnungen nach den Regeln des freien Markts vermietet werden. Das ist doch ein Konstruktionsfehler.
Ulrike Hamann ist seit Juni 2022 in der Geschäftsführung des Berliner Mietervereins. Zuvor war die Sozialwissenschaftlerin Vorständin der Berliner Wohnraumversorgung AöR und in Mieterinitiativen wie Kotti & Co und dem Mietenvolksentscheid aktiv. 2016 gab sie das Heft „Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau“ mit heraus.
Der dazu führt, dass es immer weniger Sozialwohnungen gibt. 2007 gab es in Deutschland noch über 2 Millionen Sozialwohnungen, 2020 waren es nur noch 1,1 Millionen. Es fallen mehr Sozialwohnungen aus ihrer Bindung, als neue entstehen. Warum werden Sozialwohnungen überhaupt zeitlich befristet?
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben nicht genügend Baukapazitäten, deshalb wollte man die privaten Eigentümer zum Bauen motivieren. Nur diese haben kein Interesse daran, dauerhaft niedrige Mieten zu nehmen, also wird die Belegungsbindung zeitlich befristet.
Sie sind Mitherausgeberin des Heftes „Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau“. Ist der soziale Wohnungsbau gar nicht so sozial?
Es ist eine staatliche Eigentumsförderung für Privatpersonen, Fonds und Unternehmen mit einer sozialen Zwischennutzung. Die Allgemeinheit profitiert davon nicht dauerhaft. Tatsächlich war die soziale Wohnraumförderung immer schon für „breite Schichten der Bevölkerung“, also auch für Menschen mit mittleren Einkommen konzipiert, die sich keinen eigenen Hausbau leisten konnten. Erst später ab den 1960er Jahren wurde die Förderung für größere Mietshäuser ausgebaut.
Also hatte der soziale Wohnungsbau gar nicht das Ziel, günstigen Wohnraum zu schaffen?
Doch, das auch. Aber in der Bundesrepublik wurde mit dem sozialen Wohnungsbau die Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, auch an Private ausgelagert. In der DDR war es anders. Da gab es staatliche Wohnungsbauprogramme, und die Wohnungen wurden entweder von Genossenschaften oder von kommunalen Gesellschaften gebaut.
Haben wir so wenig Sozialwohnungen, weil die alte Wohngemeinnützigkeit 1990 abgeschafft wurde?
Das ging mit einher. Mit der Abschaffung der alten Wohngemeinnützigkeit wurde ein ganzer Teilbereich auf dem Wohnungsmarkt, der nicht gewinnorientiert war, abgeschafft. Zusätzlich wurde die Förderung für den sozialen Wohnungsbau immer weiter eingedampft, auch weil es Kritik an den Großwohnsiedlungen gab, die mit dem sozialen Wohnungsbau entstanden sind. Sie wurden als „überlastete Nachbarschaften“ diskreditiert.
Die Ampel will eine neue Wohngemeinnützigkeit beschließen: Gemeinwohlorientierte Wohnungsbauunternehmen, die dauerhaft günstigen Wohnraum schaffen, bekommen dann steuerliche Vorteile. Ein Wendepunkt?
Im Frühling soll es einen ersten Entwurf geben. Das Ziel ist, wieder einen nicht gewinnorientierten Sektor aufzubauen, der langfristige Bindungen und leistbaren Wohnraum bietet. Das ist insbesondere in den Zeiten explodierender Mieten dringend nötig, denn Wohnen ist Teil der Daseinsvorsorge.
Sind wir nicht darauf angewiesen, dass auch Private bauen?
Das ist tatsächlich ein Problem. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind gar nicht in der Lage, so viel selbst zu bauen. Das heißt, momentan kommen wir gar nicht an der privaten Bauwirtschaft vorbei. Aber es ist eine Trendwende in der privaten Immobilienwirtschaft zu beobachten: Angesichts der steigenden Bauzinsen und Unsicherheiten wird der soziale Wohnungsbau wieder attraktiver. Denn er garantiert ja über einen langen Zeitraum immerhin eine kleinere Rendite.
Ist das ein guter Trend?
Kommt darauf an. In Berlin gilt nach wie vor eine Bindungsdauer von 30 Jahren. In Hamburg dürfen landeseigene Grundstücke nicht mehr verkauft, sondern nur noch per Erbbaupacht vergeben werden – und zwar unter der Bedingung, dass darauf ein bestimmter Anteil von Sozialwohnungen entsteht mit einer Bindungsdauer von einhundert Jahren. Hamburg hat also vorgemacht, dass fast dauerhafte Bindungen bei Sozialwohnungen möglich sind.
Es ist also einfach eine politische Entscheidung, wie lange diese Bindungen laufen?
Ja, aber die Wohnungswirtschaft hat natürlich ein erpresserisches Moment. Sie kann sagen: Wir bauen nicht, wenn die Konditionen, die ihr uns anbietet, unattraktiv sind. Für das Hamburger Modell, was jetzt bekannt geworden ist, gab es auch sehr viel Schelte von der Immobilienwirtschaft.
Es wird auch viel geklagt, dass das Bauen angesichts der steigenden Baukosten fast unmöglich ist und so Projekte ruhen. Trifft das den sozialen Wohnungsbau besonders?
Die Immobilienwirtschaft will, dass die Förderbedingungen jetzt angepasst werden, also sie wollen mehr staatliches Geld. Aber die Frage ist doch: Welche Verpflichtungen haben sie im Gegenzug? In Berlin wurden die Förderbedingungen in Absprache mit der Wohnungswirtschaft angepasst. Mit der Folge, dass es jetzt Fördergelder vom Land Berlin gibt, aber es muss nicht mehr zwingend für niedrige Einkommen gebaut werden, sondern es geht auch für das mittlere Preissegment. Konkret: Momentan liegt die Sozialmiete in Kreuzberg bei 6,74 Euro. Die neue Förderung garantiert eine „Sozialmiete“ von 9,00 Euro. Es wird also wieder am Bedarf vorbeigebaut
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“