Mieten in Hamburg: Kleine Wohnung, teure Wohnung
Die vom Jobcenter übernommenen Mieten sind in Hamburg in den vergangenen Jahren doppelt so stark gestiegen wie im Bundesdurchschnitt.
„Bei den Mieten wird oft rausgeholt, was rauszuholen ist“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Dabei bauten Vermieter auf die Jobcenter als „zuverlässige Zahlstelle“. Das Institut geht auf Eduard Pestel, einen Mitbegründer des Club of Rome, zurück und befasst sich nach eigenen Angaben mit Forschung und Beratung zu Nachhaltigkeitsthemen.
Dem Institut zufolge ist die Hamburger Entwicklung auch im Vergleich mit anderen Städten besonders drastisch. Bremen verzeichnete nur einen Anstieg von knapp 28 Prozent, Kiel 25 und die Region Hannover knapp 27 Prozent – Bundesdurchschnitt. Den Spitzenwert in Niedersachsen erreicht Vechta mit 48 Prozent, was Günther überrascht.
Brisant findet er, dass der Mietenanstieg Wohnungen einfachen Standards betreffe – nur für diese übernimmt das Jobcenter bis zu gewissen Grenzen die Miete. „Auf genau diese Wohnungen sind aber nicht nur Hartz-IV-Empfänger angewiesen, sondern eben auch die vielen anderen Haushalte mit niedrigen Einkommen“, sagt Günther. Das Angebot an günstigen Wohnungen sei rar. Gerade Neuvermietungen nutzten viele Vermieter, um abzusahnen.
„Überproportionaler Anstieg der niedrigen Mieten“
Die Analyse des Pestel-Instituts stütze das, was der Mieterverein zu Hamburg seit Langem wiederhole, sagt dessen Vorsitzender Siegmund Chychla. Jedes Frühjahr werteten Schüler des Gymasiums Ohmmor die Immobilienanzeigen diverser Online-Portale sowie des Hamburger Abendblatts aus. „Insbesondere in den vergangenen Jahren haben wir dabei einen überproportionalen Anstieg der niedrigen Mieten festgestellt“, sagt Chychla. Die Mieten der angebotenen Wohnungen lägen im Schnitt 50 Prozent über denen im offiziellen Mietenspiegel.
Dieser wird alle zwei Jahre erhoben. Im Vergleich der Jahre 2013 und 2019 ergibt sich darin ein durchschnittlicher Preisanstieg über alle Wohnungen von 14 Prozent. Bezogen auf die kleinsten Wohnungen in einfacher Lage beträgt der Anstieg 17 Prozent.
Dass der Anstieg hier nicht so krass ausfällt, ist aber nicht überraschend, denn der Mietenspiegel erfasst den Preisanstieg der Bestandsmieten, dem ein größeres Trägheitsmoment innewohnt als dem Markt für Neuvermietungen. Geringverdiener und Transferleistungsempfänger zögen überdurchschnittlich häufig um, sagt Chychla, was einen entsprechenden Anstieg der Kosten nach sich ziehen könnte. Dazu komme die große Konkurrenz um die kleinen Wohnungen. Mehr als die Hälfte der Hamburger lebt allein.
Pestel-Chef Günther befürchtet, dass der Staat unfreiwillig als Preistreiber agieren könnte. „Weil der Staat erpressbar ist, muss er mangels eigener Wohnungen alles an Mieten zahlen, was irgendwo aufgerufen wird“, sagt er. Schließlich könne er ja nicht zulassen, dass die Menschen auf der Straße landen.
Allerdings sind 40 Prozent der Mietwohnungen in Hamburg in der Hand der städtischen Saga sowie der Wohnungsbaugenossenschaften, gemeinsam organisiert im Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Sie verweisen stets auf ihre günstigen Durchschnittsmieten und deren preisdämpfende Wirkung. „VNW-Unternehmen nutzen bei der Neuvermietung einer Wohnung keineswegs immer die zulässigen Erhöhungsspielräume aus, sondern bleiben oft deutlich darunter“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner.
Das Jobcenter verweist auf die Coronakrise
Eine Erklärung für die vom Pestel-Institut ermittelte Entwicklung könnte Breitner zufolge der Anstieg der Mietnebenkosten wie Aufwendungen für Heizung, Warmwasser und Kabelanschluss sein, die der Senat zu den Kosten der Unterkunft rechnete. „Gerade die Kosten der sogenannten zweite Miete sind in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen“, sagt Breitner.
Das Jobcenter verweist als mögliche Erklärung auf die Coronakrise. Im März, zur Zeit des Lockdowns, der das Einkommen vieler Menschen einbrechen ließ, sei der Zugang zur Grundsicherung vereinfacht worden, sagt Luisa Deistung vom Jobcenter. „Alle, die bei uns Leistungen beantragt haben, bekommen die vollen Wohnkosten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen