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Michel Serres Roman „Musik“Kraftvoll ausgedehnter Sinn

Der französische Philosoph Michel Serres erforscht in seinem neuen Roman die Musik. Sie ist für ihn die Quelle aller denkbaren Erfindungen.

Philosophieprofessor und Universaldenker Michel Serres am 25. Juni 2015. Foto: dpa

Musik und Sprache – vermutlich gibt es seit dem Aufkommen dieser beiden Artikulationsformen die Frage, in was für einem Verhältnis sie zueinander stehen. So wird immer wieder darüber debattiert, ob Musik auch eine Sprache sei. Evolutionär gesehen, kommt die Musik jedenfalls wohl an erster Stelle oder bildete einmal mit der Sprache eine Einheit, aus der sich die Sprache später erst als eigenes System herauslöste.

Mit Musik und Sprache und deren Verschlingungen ringt auch der französische Philosoph Michel Serres in seinem knapp „Musik“ betitelten Buch. Und was die Hierarchie der beiden angeht, gibt es bei ihm keinen Zweifel: „Die Musik ist kein Wissen, sondern ein Born, aus dem alle nur denkbaren Erfindungen entspringen. So auch die Philosophie.“

In der Musik sieht Serres dabei nicht nur die Sprache angelegt, sondern im Grunde die gesamte Struktur der Welt, von den Rhythmen – der Jahreszeiten, des Herzschlags, der Neuronenpulse – über die Harmonien, nach denen die Planetenbahnen geordnet sind, bis zur Sprache.

Die Musik ist es, die den Lärm am Beginn der Welt „glättet“, strukturiert, die ihm Sinn verleiht oder diesen vorzubereiten hilft. Diese musikalische Kosmogonie hat Serres in der ihm eigenen poetischen Sprache verfasst, er versucht sich daran, die Rolle der Musik in der und für die Welt selbst zu „singen“.

Der große Refrain des Buchs lautet: Musik erschafft fast alles in der Welt

In drei Anläufen schildert er die Rolle der Musik unter den Überschriften „Lärm“, „Stimmen“ und „Wort“. Den Auftakt macht ein „Gesang“ um Orpheus, der in der Unterwelt von der „Mutter Gedächtnis“ die verschiedenen Musen vorgestellt bekommt, angefangen mit Polyhymnia, der Muse der Pantomime, und Terpsichore, der Muse des Tanzes, denen Serres als „Musen des Körpers“ den Vortritt lässt.

Die Musen sind es auch, die Orpheus über die Musik zu Sinn und Sprache führen. Dass er am Ende wieder in der Unterwelt endet und ein böses Schicksal nimmt – er wird schließlich von dionysisch veranlagten Mänaden in Stücke gerissen –, zeigt für Serres, dass Musik „als bedrohtes, menschliches Werk“ immer wieder ins Chaos zurückfallen kann.

taz.am wochenende

Es ist ein Kampf um Begriffe und Erzählungen, global ausgefochten mit Kalaschnikows, Youtube und dem Koran. Was die Gelehrten der islamischen Welt dem „Islamischen Staat“ entgegensetzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./ 22. November 2015. Außerdem: Wie geht das Leben in Paris nach den Anschlägen weiter? Und: „Eisbären sind einfach nicht hilfreich“, sagt Srđa Popović. Der Revolutionsberater im Gespräch über Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Weniger tragisch gestaltet sich der zweite Gesang, in dem Serres seinen eigenen Weg schildert, den ihm die Musik gewiesen hat. Denn obwohl er als Kind Lieder komponiert habe, sei er mit der Musik nicht allzu weit gekommen. Aus Bequemlichkeit habe er sich bald allein der Sprache zugewandt, mit dem Ziel, die Kraft der Musik auf Worte zu übertragen. „Ich bin immer nur ein missratener Musiker“, fasst er seine Bemühungen zusammen.

Das Scheitern in der Sprache, wenn man so will, hat aber auch mit dem Bedeutungsverlust zu tun, den die Zuspitzung des Sinns in der Sprache mit sich bringt. Das Wort ist für Serres „einsaitig“, Musik hingegen ist „pansemisch“, hat einen Sinn, der „kraftvoll ausgedehnt“ ist. Für das semantisch pointierte Sprechen aber gilt: „Das Sagen-Wollen erschlägt die Sprache derart, dass es selbst die besten Schriftsteller zu Opfern ihrer Kunst macht.“ Eine Kritik, die auf die Philosophie gleichermaßen zutrifft – ein kleiner Seitenhieb vornehmlich gegen ihre analytischen Traditionen.

„Musik“

Michel Serres: „Musik“. Aus dem Französischen von Elisa Barth und Alexandre Plank. Merve, Berlin 2015, 168 S., 16 Euro

Serres‘Ungenügen an der Sprache hat zugleich sein Ohr verfeinert. Als er in jungen Jahren in Rom in einem Teehaus sitzt und den für ihn kaum verständlichen Kellnerinnen lauscht, erinnern ihn ihre Stimmen an die Klaviersonaten von Domenico Scarlatti. Ganz ähnlich lassen Rapper „ihre Phrasierungen aus der Musik heraus entspringen“, und auch im Jazz hört Serres ein „Komponieren durch Syntax“, in dem die musikalischen Verzierungen der Barockmusik bewahrt würden.

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4 Kommentare

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  • Mit Verlaub - conclusio -

    Meine - klar;) ->

     

    Was eine feine tour d' horizont.

    Was ein durchrüttelndes Lesevergnügen.

     

    Anmerkung:

    Schummelt er¿- klar - naturellemente.

    Was ne Frage. Wie alle.

    Aber - er versucht's halt.

    Und das ziemlich dufte.

     

    Zeit Raum Musik Sprache etc sind

    ihm dabei notwendige Bezugspunkte des erlebten Begreifens. But -

    Wie die Verabschiedung Gottes via Zufall - Instinkt = Weißnicht - usw usf

    im Ergebnis lediglich von der Kirchensteuer entbindet. &

     

    Von dem ziemlich wahrscheinlich unendlich wachsenden Wissensgebirge - die bisherigen Splitter - welcher Erkenntnis genau? -

    pars pro toto - Vermessen - & Hochgerechnet (iS Erwin Chargaffs)

    ->

    Bleibt alles - so auch hier - ein symphatischer menschzentrierter Versuch über - ja was denn genau?!

    - >

    Was leicht daraus erhellt - daß schon der abgeflachte nichteuklidische menschliche Raum diametral dem spitzkegeligen nichteuklidischen Raum des Falken unterschiedlich ist.

    Und das ad infinitum durchs belebte Universum.

     

    Wobei deren "Romane" - anders als dieser charmant-dankenswerterweise - uns - wenn überhaupt - allenfalls marginal - & da schließt sich ein weiterer seiner geliebten Kreise -

    Durch unsere menschliche Brille wahrnehmbar sein dürften.

    kurz - & finito ->

    Der Kreisel fällt um.Tod.!¡)

     

    & nochmals "…Danke für den Fisch!"

  • ok ok - Wenn du wirklich was gemacht haben willst, machs selber.

     

    Gelesen. Gekauft. Abgeholt. &

    Schnackeldidackel - ah... - da stehts ja:

    "...Mich vorwärts tastend schreib ich Bücher - wer kann sich schmeicheln, zwei Künste zu beherrschen? - ,

    in denen die Monosemierung der Sprache wie ein Hindernis bei weitem davon abhält, zu sagen, was ich zu sagen versuche.

    Ich bin immer nur ein mißratener Musiker..."

     

    Wem solches - .."Das Scheitern in der Sprache, wenn man so will,.."? - hm ->

    - öh eher wohl nicht, odr?

     

    Eher vielleicht so ->

    Der Philosoph verschließt sich -

    Weit einfacher - nicht der Einsicht,

    Daß auch er in die Anverwandlung von Welt begrenzt ist - wie jeder andere Sterbliche auch.

     

    (ps: So - gesehen wäre - meins ->

    "Das Scheitern in der Musik..." ?

    Ebenfalls überzogener Murcks -

    .... `Naturellemente´;)

     

    Feines Teil. ... - ach ja ->

    "...& Danke für den Fisch!"

  • Hallo Herr Boehme - en passant ->

     

    's is viel zu tun - sicher.

    Fänd's aber ganz nett - wie das ja andere Ihrer KollegInnen auch machen -

    Wenn Sie's zumindest mir klarstellen würden - ob ich wie angemerkt -

    Sie falsch verstehe - oder es wie Geschrieben - gemeint ist.

    (Bestätigendes Schweigen im Sinne ehrbarer Kaufleute mag ich ja schon

    wg fehlender Voraussetzungen

    wohl eher nicht einfach annehmen dürfen;)

  • Gelesen. Gekauft.

     

    Frage: Versteh ich da was falsch?

    "....Aus Bequemlichkeit habe er sich bald allein der Sprache zugewandt, mit dem Ziel, die Kraft der Musik auf Worte zu übertragen. „Ich bin immer nur ein missratener Musiker“, fasst er seine Bemühungen zusammen.

    Das Scheitern in der Sprache, wenn man so will, hat aber auch mit dem Bedeutungsverlust zu tun, den die Zuspitzung des Sinns in der

    Sprache mit sich bringt. .."

     

    Ist nicht vielmehr "Das Scheitern in der Musik..." gemeint?

    Dann hat - die folgende Sentenz - >

    "...Serres‘ Ungenügen an der Sprache hat zugleich sein Ohr verfeinert...."

    & ergibt - das Ganze einen für mich schlüssigen Sinn.

     

    (ps: Der einarmige Pianist by Oliver Sacks gäbe eine feine

    Folie der Einwertung -

    Denn mit Verlaub befremdet es schon ein wenig, ja gibt Rätsel auf -

    Daß jemand - MUSIK! - sagt/schreibt -> Projektion a Sprache -

    Gleichzeitig aber - wohl auch zutreffend - angibt ->

    Darin - in der Musik - bin ich ein Dilettant geblieben;).