Messerangriffe und Amokfahrten: Gewalttaten in China nehmen zu
Am Samstag kam es erneut zu einem Amoklauf. Die vermehrte Gewalt wird in den chinesischen sozialen Medien auch mit der Wirtschaftslage in Verbindung gebracht.
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Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben der Sicherheitsbehörden nicht. Doch ist bemerkenswert, dass sie überhaupt ein Tatmotiv angeben. Denn in ähnlichen Fällen löschte die Zensur nicht nur alle Informationen aus den sozialen Medien, sondern verpasste auch den traditionellen Medien einen Maulkorb – wohl auch aus Angst vor Nachahmern.
Der tragischste Fall ereignete sich am Montag vor einer Woche im südchinesischen Zhuhai: Dort raste ein 62-Jähriger mit seinem Auto in eine Menschenmenge und tötete 35 Personen und verletzte 43 Personen. Chinas Medien konnten erst einen Tag verspätet darüber berichten – und nur auf Grundlage des offiziellen Polizeiberichts. Dieser enthielt jedoch durchaus fragliche Informationen.
Fokus auf persönliche Schicksalsschläge
So soll der Täter angeblich aus Frust über die Vermögensaufteilung bei seiner Scheidung gehandelt haben. Dies ist erstaunlich, da sich die Autoritäten in vergleichbaren Fällen mit eiligen Schlussfolgerungen zurückhalten – und der Täter selbst konnte nicht mehr befragt werden, da er nach der Tat wegen eines Suizidversuchs im Koma lag.
Den Fokus auf persönliche Schicksalsschläge zu legen, ist von den Behörden sogar gewollt, um die soziale Stabilität nicht zu gefährden. Denn in der Bevölkerung werden durchaus strukturelle Zusammenhänge der scheinbar willkürlichen Gewaltakte unter dem Schlagwort „Rache an der Gesellschaft nehmen“ debattiert. Und diese Rachetaten häuften sich im Zuge der angespannten wirtschaftlichen Lage.
„Wenn es einen Mangel an Arbeitsplatzsicherheit und einen enormen Überlebensdruck gibt, dann ist die Gesellschaft voller Probleme, Feindseligkeit und Terror“, hieß es in einem Kommentar in den sozialen Medien. Ein anderer User schrieb nach der Tragödie von Zhuhai: „Wir sollten die tief verwurzelten, sozialen Faktoren untersuchen, die so viele wahllose Angriffe auf die Schwachen in der Gesellschaft begünstigt haben.“
Vermehrt Gewalttaten im öffentlichen Raum
Die Gewalttaten im öffentlichen Raum haben in den letzten Wochen zugenommen: Im Oktober griff ein Mann in einer Pekinger Schule mehrere Kinder mit einem Messer an und verletzte fünf Personen. Einen Monat zuvor waren drei Personen bei einem Messerangriff in einem Schanghaier Supermarkt gestorben. Und immer wieder rasen Autofahrer scheinbar wahllos in Menschenmengen.
Der Großteil der Fälle kommt jedoch wegen der Zensur nie in die Schlagzeilen. Dass die internationale Öffentlichkeit überhaupt davon erfährt, ist chinesischen Aktivisten zu verdanken, die blitzschnell Smartphone-Aufnahmen der Zeugen archivieren und auf X publizieren.
Die Tragödien deuten daraufhin, dass es in China unter der gesellschaftlichen Oberfläche stärker brodelt, als es die Zensur unter Verschluss halten kann. Hinter jeder Tat mag ein persönliches Schicksal stehen, doch zusammengenommen können die Fälle nicht losgelöst von der wirtschaftlichen Situation betrachtet werden – etwa der Rekordjugendarbeitslosigkeit.
Mutmaßlich Taten aus Fremdenhass
Nicht selten richten sich die willkürlichen Racheakte auch gezielt gegen Ausländer. Im Juni wurden etwa mehrere Dozenten einer US-Universität im Nordosten Chinas von einem Mann in einem Park mit einer Stichwaffe verletzt. Im selben Monat kam es zu einem Angriff auf eine Japanerin und deren Kind im ostchinesischen Suzhou. Und im September erstach ein Mann einen japanischen Schüler im südchinesischen Shenzhen.
Auch wenn jene Taten mutmaßlich aus Fremdenhass begangen wurden, haben sich die öffentlichen Sicherheitsorgane nicht zu den Motiven der Täter geäußert – sondern wochenlang auf laufende Ermittlungen verwiesen. Das lässt tief in den Umgang der Behörden mit kritischen Informationen blicken: Diese werden nämlich immer nur dann rasch veröffentlicht, wenn sie auch politisch genehm sind.
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