Merz und die AfD: Deutschland ist ein bisschen österreichischer geworden
Wenn sich Liberale mit Rechtsextremen verbünden, steht es nicht gut um die Demokratie. Auch Grüne und SPD tragen Schuld an der Verrohung der Debatte.
W as diese Woche im Bundestag los war, verdient in mehrfacher Hinsicht das Attribut „historisch“. Eine konservative, mittige Partei hat erstmals seit 1933 im Berliner Reichstagsgebäude wieder Mehrheiten mit den extrem Rechten gesucht und gefunden. Eine ehemalige Bundeskanzlerin nahm dies zum Anlass ihren Nachfolger zurechtzuweisen und damit aktiv in den Wahlkampf einzugreifen. Das war beispiellos.
Und eine völkische Partei, wie die AfD hat erfolgreich demonstriert, wie man beim Kernthema Migration, zunächst die Meinungsführerschaft übernimmt und dann politische Vorschläge mehrheitsfähig macht, die rassistisch konnotiert und rechtswidrig sind. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann hat es (leider) gut in Worte gefasst: „Jetzt beginnt was Neues, und das führen wir an“.
Nein, noch ist es nicht so weit. Das Zustrombegrenzungsgesetz der Union fand trotz AfD-Stimmen keine Mehreit im Bundestag, anders als der Unionsantrag am Mittwoch. Aber, Deutschland ist in dieser Woche ein bisschen mehr wie Österreich, wie Argentinien und die USA geworden. Länder, in denen sich das libertäre Lager mit der extrem Rechten verbündet hat, um ihre Besitzstände vor dem Staat zu schützen. Länder in denen Kompromisse nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft gesucht und gefunden werden, in denen der Kompromiss an sich verpönt ist und die Kettensäge, das Recht des Stärkeren, gefeiert wird.
Daran trägt Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz den größten Anteil. Er hat sich als Trumpdarsteller aufgespielt und dabei beängstigend viel Trottelpotenzial offenbart. Er hat der AfD Triumphszenen beschert, zerlegt die CDU und beschädigt die politische Kultur. Wohin soll das führen, wenn man anderen Fraktionen die eigenen Anträge vor den Latz knallt mit den Worten: „Da sind keine Kompromisse mehr möglich“?
Überzogene Panik
Man stelle sich mal vor, wie Tarifverhandlungen oder Sorgerechtsstreitigkeiten aussehen würden, wenn alle Parteien nach dieser Friss-oder-stirb-Maxime verfahren würden? Es ist schmerzhaft, aber nicht überraschend, dass trotz stundenlanger Gespräche zwischen den Fraktionen in letzter Minute und tumultartiger Szenen am Freitag im Bundestag kein Kompromiss über den Unionsentwurf zur Begrenzung der Zuwanderung gefunden wurde.
SPD und Grüne wollten sich von Merz zurecht nicht erpressen lassen. Denn was hieße das für künftige Koalitionsgespräche, etwa über die richtige Steuerpolitik: Entweder Union pur oder wir machen es mit der AfD? Trotzdem sind auch SPD und Grüne nicht schuldlos an der Verrohung der Debatte. Sie haben zugelassen, dass über die richtige Asylpolitik nur noch in Schlagworten wie Abschiebung und Begrenzung gestritten wird. Es geht längst nicht mehr darum, wie Asylbewerber:innen besser integriert werden können.
Vom Tisch sind Vorschläge zu einer sofortigen Integration in den Arbeitsmarkt, gekürzt wurde an der psychosozialen Versorgung und beim BAMF. Die ehemalige Ampel hat eine Asylrechtsverschärfung, nach der anderen beschlossen – Bezahlkarten, längeren Abschiebegewahrsam, Grenzkontrollen, Zurückweisungen. Und hat damit sogar Erfolg. Die Zahl der Asylanträge ist im vergangen Jahr um 30 Prozent gesunken, mehr Menschen wurden abgeschoben.
Doch das Starren darauf wie man Aylsuchende fern hält und los wird, hat solche grausigen und verstörenden Taten wie in Aschaffenburg und Magdeburg eben nicht verhindert. Da ist die Versuchung groß zu sagen: Jetzt muss aber wirklich was geschehen. Ob Deutschland sicherer und friedlicher wird, wenn man, wie die Union alle Asylsuchenden unter Generalverdacht stellt und ausschließlich Gesetze beschließen will, die ihre Integration weiter erschweren, etwa den Familiennachzug abschafft, darf bezweifelt werden.
Neue Ideen für die Migrationspolitik
Klar ist aber auch: Eine Wende in der Asyl- und Migrationspolitik ist nötig. Diese muss vorausschauender und besser koordiniert sein. Es gibt dazu Vorschläge aus der Fachwelt. Die Hilfsorganisation International Rescue Comitee regt an humanitäre Aufnahmeprogramme auszubauen, was auch Unionspolitiker wie Thorsten Frei in einem anderen Debattenzeialter mal richtig fanden. Naika Foroutan vom Progressiven Zentrum, einem SPD-nahen Thinktank schlägt ein Migrationsministerium vor, welches das Zuständigkeitswirrwarr bündeln soll.
Es wäre gut, solche und andere Vorschläge zu diskutieren. Dazu muss man aber zur sachlichen Debatte zurückkehren und wieder aufeinander zugehen. Das gilt für alle demokratischen Parteien vor allem aber gilt es für CDU und CSU. Sie muss sich aus der Umarmung durch die AfD lösen. Denn diese Umarmung erstickt nicht nur die Union.
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