Merz-Debatte im Abgeordnetenhaus: Wegners Brandmauer
Berlins Regierungschef will im Bundesrat Gesetze, die mit AfD-Stimmen zustande kommen, ablehnen. Die Linke fordert die SPD zum Koalitionsbruch auf.
Die SPD-Landesspitze hatte ihn gedrängt, „klare Kante“ zu zeigen. Wenn Wegner das Vorgehen seines Kanzlerkandidaten Friedrich Merz wortlos toleriere, „macht sich auch er mit all seinen Bekundungen zur Abgrenzung gegen die AfD unglaubwürdig“.
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte am Donnerstag erstmals mit Stimmen der AfD einen Beschluss zu einer unverbindlichen Resolution zu verschärfter Migrationspolitik gefasst, am Freitag steht eine folgenreiche Gesetzesänderung an. Von jenen nur 8 von insgesamt 196 Unionsabgeordneten, die dem nicht zustimmten, indem sie gar keine Stimme abgaben, gehören zwei zur 5-köpfigen Berliner Landesgruppe: Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Ex-Senator Thomas Heilmann.
SPD, Grüne und Linke sehen darin am Donnerstagmorgen das Ende der von der CDU zuvor beschworenen Brandmauer zur AfD. Gleich zwei Mal fordert die Linksfraktion die SPD zum Koalitionsbruch auf. Direkt an deren Fraktionschef Raed Saleh richtete sich die Linken-Abgeordnete Elif Eralp: „Raed, könnt ihr mit dieser CDU weiterregieren?“ Aus ihrer Sicht nicht, sie fordert: „Liebe SPD, brich die Koalition mit der CDU und lass uns eine antifaschistische Koalition bilden.“ SPD, Grüne und Linkspartei, die schon von 2016 bis 2023 zusammen regierten, hätten im Abgeordnetenhaus genauso eine Mehrheit wie SPD und CDU.
Saleh bleibt Antwort schuldig
Ähnlich wie Eralp hat sich zuvor schon Linksfraktionschef Tobias Schulze geäußert. Saleh könnte nun direkt auf sie antworten und die Zukunft von Schwarz-Rot klären, nutzt jedoch diese von der Parlamentspräsidentin angebotene Möglichkeit nicht. Auch gegenüber der taz wird der Fraktionschef sich dazu nicht äußern. Die Landesvorsitzenden der von Eralp so angesprochenen „lieben SPD“ lassen auf taz-Anfrage später zum Koalitionswechsel-Angebot ausrichten, „dass sich diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht stellt“.
Die spannendste Frage des Tages aber, nämlich Wegners Haltung zu Merz, steht noch an, nachdem klar ist, dass der Regierungschef selbst reden wird und nicht etwa der Kultursenator – nominell geht es ja um die Befreiung des KZs Ausschwitz 1945 und damit um ein Thema der Erinnerungskultur. Die Linksfraktion hat den Titel allerdings um den Satz ergänzt: „Die Brandmauer gegen Faschismus und Rechtsextremismus darf nicht fallen“.
Was also würde Wegner sagen, der am Schluss der Debatte ans Mikro kommt? Sich abgrenzen von Merz, auf den er seit gut zwei Jahren kritisch schaut? Oder die Parteiräson vorne anstellen und sich nicht 24 Tage vor der Wahl gegen den eigenen Kanzlerkandidaten stellen? Wegner versucht den Spagat – und gemessen an den Reaktionen im Parlament, wo anders als bei vorigen Rednern laute wütende Zwischenrufe ausbleiben, gelingt ihm das.
„Die Brandmauer steht“, widerspricht er einerseits. Aber dann folgt eine klare Festlegung: Der Senat werde im Bundesrat „niemals einem Gesetz zustimmen, das nur in Abhängigkeit von AfD-Stimmen zustande gekommen ist“. Eine Minute später erweitert er „niemals zustimmen“ auf „ablehnen“. Das kommt im Bundesrat zwar aufs Gleiche hinaus. Doch Nichtzustimmung in Form von Enthaltung sieht der Koalitionsvertrag bei fehlender Einigkeit ohnehin vor – Wegner aber legt seine CDU nun auf ein Nein fest.
Wegner: „Die Stunden nutzen, die uns bleiben“
Vollkommen still ist es zeitweise bei seinen Worten. Nur ein-, zweimal kann sich eine Linken-Abgeordnete nicht zurückhalten, bleibt mit ihrem Zwischenruf aber allein. Man will ihm merklich genau zuhören. Und tatsächlich hat Wegner noch mehr zu sagen. Er fordert von „allen demokratischen Parteien der Mitte“, vor den weiteren Bundestagsabstimmungen am Freitag eine Lösung zu finden. Im Kreise der Ministerpräsidenten gehe das doch über Parteigrenzen hinweg auch, argumentiert er.
Schon seit über einem Jahr hat er darauf verwiesen, dass sich dort alle 16 Länderchefs – von CSU-Söder über den Grünen Kretschmann bis zum bis vor sieben Wochen amtierenden Linkspartei-Mitglied Ramelow – über ein Umsteuern bei der Migration einig seien. Wegner drängt darauf, „die Stunden, die uns bleiben (bis Freitag; Anm. d. Red.) zu nutzen.“ Dazu müsse man auch zu Kompromissen bereit sein. „Das ist mein Appell auch an die Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.“
Das sagt innerhalb des christdemokratischen Spektrums nicht irgendwer. Wegner war die meist beachtete Stimme, als er im Sommer 2023 nach einem verunglückten ZDF-Interview von Merz auf die Brandmauer zur AfD pochte. Er ist auch einer der führenden CDU-Kritiker an Merz’ Festhalten an der Schuldenbremse.
Begleitet wird all das am Donnerstagvormittag von einer Aktion jener drei Fraktionen, die die Linksfraktion wieder in einer Koalition vereint sehen möchte. Als AfD-Redner Martin Trefzer ans Mikrofon tritt, wenden sich alle Abgeordneten von SPD-, Grünen- und Linksfraktion in ihren Sitzen von ihm ab. Für Distanz zum Redner und seiner Partei steht das offenbar. Am Mikro beschreibt der AfD-Abgeordnete derweil das Leiden der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und kritisiert Antisemitismus.
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